"Ein bisschen Selbstbescheidung" üben

Moderation: Thorsten Jabs · 27.04.2013
Unmittelbar vor dem Kirchentag in Hamburg hat Kirchentagspräsident Gerhard Robbers die diesjährige Losung "Soviel du brauchst" aufgegriffen. Er sagte, jeder sei dazu aufgerufen, sich selbst zu fragen, "was man eigentlich wirklich braucht zum Leben".
Thorsten Jabs: Das evangelische Großereignis des Jahres wirft seine Schatten voraus: Am Mittwoch wird der 34. deutsche Evangelische Kirchentag in Hamburg eröffnet. Hunderttausende Besucher werden an der Elbe zu Bibelarbeiten, Gottesdiensten und Podiumsdiskussionen erwartet. Kirchentagspräsident ist in diesem Jahr Gerhard Robbers, Professor für öffentliches Recht, Kirchenrecht, Staatsphilosophie und Verfassungsgeschichte an der Universität Trier. Guten Tag, Herr Robbers!

Gerhard Robbers: Schönen guten Tag, Herr Thorsten Jabs.

Jabs: Die Kirchentagslosung lautet in diesem Jahr: Soviel du brauchst – aus dem zweiten Buch Mose im Alten Testament. Wie viel brauchen Sie, Herr Robbers?

Robbers: Die Kirchentagslosung ruft alle dazu auf, sich diese Frage selbst zu stellen, und auszumessen, was man eigentlich wirklich braucht zum Leben, durchaus auch ein bisschen Selbstbescheidung zu üben. Wenn Sie mich so persönlich fragen, was ich brauche, das ist wirklich eine Gewissensfrage. Ich denke, ich brauche auch immer mal ein bisschen mehr Aufmerksamkeit, mehr Wissen darum, was andere von mir erwarten, und was sie von mir brauchen.

Jabs: Also es geht bei dieser Kirchentagslosung nicht nur um das Materielle?

Robbers: Nein, gar nicht nur, natürlich auch, wir müssen auch sehen dabei, dass es sehr viele Menschen gibt, die eben nicht genug haben, die nicht das haben, was sie brauchen, auch im Materiellen nicht, um die müssen wir uns alle kümmern, das ist also auch der Aufruf, das Du in dem, was du brauchst zu betonen, sich um die zu kümmern, die zu wenig haben materiell, aber auch geistig, emotional Gesellschaft brauchen. Menschen, die einsam sind, dass man ihnen aus der Einsamkeit hilft, wenn ihnen diese Einsamkeit wehtut. Es gibt vieles, was man zum Leben braucht.

Jabs: Wie leicht oder wie schwer fällt es aus Ihrer Sicht Menschen, sich auch darüber Gedanken zu machen, wie viel andere brauchen?

Robbers: Ich glaube, das ist eine Frage, die jeden immer mal wieder anders trifft. Es gibt Zeiten, in denen Menschen offener sind für andere, manchmal verhärtet man sich. Das sehe ich auch bei mir natürlich selber. Es gibt Zeiten, in denen konzentriert man sich auf sich selbst und in anderen Zeiten auf andere. Ich bin aber ganz zuversichtlich, dass Menschen offen genug sind und die Möglichkeit haben, sich um andere zu kümmern, und auch in dem, was sie selber brauchen, sich selbst gegenüber offen zu sein.

Jabs: Sie haben es eben selber angedeutet, auch in Deutschland gibt es viele, die weniger haben, als sie brauchen, oder vielleicht nur unwesentlich mehr. Inwiefern kann ein Kirchentag dazu beitragen, auch zu Taten beizutragen, also vom Gedanken an andere auch das Handeln bestimmen zu lassen.

Robbers: Ja, gerade darum geht es beim Kirchentag. Kirchentag ist nicht nur, darüber zu reden, sondern auch es selber zu tun. Der Kirchentag selber muss sich das auch immer wieder sagen, und der Kirchentag trägt dazu bei, möchte dazu beitragen, dass die Menschen, wenn sie denn vom Kirchentag dann nach Hause kommen, in ihre eigenen Gemeinden gehen, in ihre Städte und Dörfer, in Ihre Wohnungen gehen, diese Idee weitertragen und sich dann auch aktiv einbringen.

Jabs: Für Aufsehen sorgt in diesen Tagen natürlich der Fall Uli Hoeneß. In der Diskussion geht es natürlich auch um Gier und Gerechtigkeit. Gehen sie davon aus, dass dieser aktuelle Fall, der landauf, landab hitzig besprochen wird, auch den Kirchentag antreiben kann? Schließlich liegt ein Schwerpunkt ja auf dem Thema verantwortungsvolles Wirtschaften.

Robbers: Ja, wir haben da ein Beispiel, um das es natürlich auch beispielhaft auf dem Kirchentag gehen wird, aber ich würde es auch nicht konzentrieren auf nur den einen konkreten Fall, sondern sehen, dass es diese Art Fälle eine ganze Menge gibt, und dass auch das System, in dem wir leben, wir uns fragen müssen, ob wir auch nicht an diesem System auch das eine oder andere ändern müssen, dass wir auch Menschen gar nicht erst in die Versuchung bringen, solche Dinge zu tun, wenn sie denn getan worden sind.

Jabs: Was heißt für Sie verantwortungsvolles Wirtschaften?

Robbers: Möglichst nicht zu verschwenden, das zu verbrauchen, was man wirklich braucht, sich um die zu kümmern, mit denen man arbeitet, mit denen man zusammenarbeitet, also die Menschen in den Betrieben, verantwortlich zu sein auch gegenüber und für die, die keine Arbeit haben, dass man Menschen, die hart arbeiten, auch ermöglicht, von dem Lohn, den sie bekommen, menschenwürdig zu leben. Es gibt viele Felder, die dieses verantwortliche Wirtschaften betrifft.

Wir wollen auf dem Kirchentag genau darüber diskutieren, man kann ja auch nicht zum Kirchentag gehen und denken, man hätte auf alles und jedes schon eine fertige Antwort, dann bräuchten wir den Kirchentag nicht. Im Gegenteil, es gibt viele offene Fragen, und man wäre unehrlich, wenn man sagen würde, ich wäre unehrlich, wenn ich sagen würde, ich habe auf all diese Fragen eine Antwort. Ich bin gespannt auf die Antworten, die dort gegeben werden.

Jabs: Beim Fall Uli Hoeneß – nur, um einmal an diesem Beispiel zu bleiben, Sie haben ja recht, es gibt noch so viele andere Beispiele –, aber hier geht es möglicherweise um einen Fall von Doppelmoral, denn einerseits hat er ja vieles von dem gemacht, was sie sagen, auf der anderen Seite war er vielleicht auch gierig. Was können oder sollten gläubige Christen dem entgegensetzen?

Robbers: Erst einmal bei sich selbst anfangen und nicht immer mit Fingern auf andere zeigen, sondern selber sich so verhalten, wie es ihrer Überzeugung nach richtig ist. Im Falle Uli Hoeneß möchte ich auch dafür plädieren, das werden Sie mir nachsehen, ich bin Jurist, dass man auch erst einmal sieht, was ist wirklich geschehen. Im Moment sind wir alle angewiesen auf Berichte aus den Medien, und die mögen stimmen oder sie mögen auch nicht ganz stimmen. Ich würde da erst einmal abwarten, was tatsächlich passiert ist, es muss Transparenz in die Dinge gebracht werden, es muss aufgeklärt werden, es ist wichtig, die Fakten auch wirklich zu kennen und nicht vorzuverurteilen.

Jabs: Welche Signale erhoffen sie sich insgesamt beim Thema soziale Gerechtigkeit, das durch die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise ja extrem befeuert wird?

Robbers: Sie haben es schon gesagt, ein Zentrum des Kirchentages wird sein, aufzurufen, aufzuhören mit der Gier, dass wir immer mehr haben wollen, immer mehr zu brauchen meinen, zu nehmen, was wir kriegen können und nicht nur zu nehmen, was wir brauchen, dass wir eine Selbstbescheidung haben, dazu soll der Kirchentag wesentlich aufrufen.
Jabs: Der Kirchentag hat diesmal auch eng mit dem deutschen Gewerkschaftsbund zusammengearbeitet, der Kirchentag findet auch nicht über Himmelfahrt, sondern über den 1. Mai statt. Wie viel Symbolkraft steckt dahinter?

Robbers: Ich verspreche mir davon und ich erhoffe mir davon viele neue Impulse. Dass der Kirchentag am 1. Mai beginnt, ist zunächst einmal eher dem Zufall geschuldet, Termine, die möglich waren. Aber wir wollen die Symbolkraft, die ja dann doch da drin liegt, auch nutzen, zu zeigen, dass Kirche und Gewerkschaften, die in der Vergangenheit so oft auch gegeneinander gestanden haben, doch so viel gemeinsam haben, Kirche und Gewerkschaften müssen sich kümmern um die, die es nicht so dicke haben, denen es nicht so gut geht, und für vernünftige Strukturen in der Wirtschaft zu sorgen.

Wenn wir diskutieren über verantwortliches Wirtschaften, dann wollen wir die zusammenbringen, die etwas von Wirtschaft verstehen, und das sind einmal Menschen eben, die in der Wirtschaft verantwortlich handeln, und dazu gehören auch die Gewerkschaften. Wir wollen von den Gewerkschaften lernen, wir wollen mit ihnen diskutieren, man muss auch selbstkritisch fragen, wie steht es mit den Dienstnehmern, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in kirchlichen Einrichtungen, auch darüber werden wir diskutieren.

Jabs: Diskutieren tun eigentlich Menschen aus allen Gesellschaftsbereichen, natürlich eben von der Gewerkschaft, Wirtschaftler, aber eben auch Politiker, und kritisch beobachtet werden zum Beispiel zahlreiche Auftritte von prominenten Politikern, allen voran zum Beispiel von Angela Merkel und SPD-Spitzenkandidat Peer Steinbrück, denn in diesem Jahr ist ja die Bundestagswahl. Wie groß ist die Gefahr, dass der Kirchentag auch zu Wahlkampfzwecken missbraucht werden könnte?

Robbers: Ich glaube, wir können dieser natürlich sehr berechtigten Frage mit großer Zuversicht und großer Ruhe entgegenschauen. Es wird natürlich schon Wahlkampf sein, aber erstens ist das nicht das erste Mal, dass ein Kirchentag stattfindet in einem Wahljahr, das kommt immer mal wieder vor, das kennen wir, und außerdem, ich denke, Wahl und Wahlkampf ist ja etwas, was als solches gar n icht schlecht ist. Wir leben in einer Demokratie, und dazu gehört auch Wahlkampf, und das ist zunächst einmal nichts Böses.

Es gibt natürlich Formen, die dann über das Geschuldete und Gute hinausgehen könnten, da hoffen wir, und sind ganz zuversichtlich, dass das gelingt, dass alle Beteiligten, verantwortlichen Politikerinnen und Politiker das auch respektieren, und da nicht platten Wahlkampf betreiben. Aber ich finde es durchaus gut und richtig, dass Politiker auch offen sagen können, auch auf dem Kirchentag, wofür sie stehen. Das erfüllt mich nicht mit Sorge, sondern im Gegenteil, ich bin ganz zuversichtlich.

Jabs: Die letzten Jahre waren ja zum Beispiel auch geprägt von Kirchenaustritten. Was kann der Kirchentag in Hamburg dem entgegensetzen?

Robbers: Ich denke, wir sollten nicht zu sehr immer nur schauen auf Kirchenaustritte. Wir sollten sehen, dass so sehr viele Menschen auch wieder religiös werden, dass Religion wieder wichtig wird für so viele Menschen, ob sie nun in der Kirche sind oder drum herum. Die Statistiken sprechen auch nur eine bestimmte Sprache, ich kenne so viele Menschen, die nicht in der Kirche sind, die aber durchaus ihre religiösen Bedürfnisse, ihre Wünsche, ihre Hoffnungen haben, durchaus auch glauben. Und um die sollten wir uns kümmern, und nicht immer nur auf die Zahlen schauen. Dafür steht auch Kirchentag – Kirchentag lädt ja nicht nur die ein, die immer schon im Glauben sind, sondern Kirchentag lädt alle die ein, die Fragen haben und die sich verantwortlich um diese Dinge kümmern, und dazu gehören auch viele, die nicht auf dem Papier in der Kirche sind.

Jabs: Also das heißt, der Kirchentag ist bewusst auch dazu da, Nichtgläubige anzusprechen, oder Menschen, die sich von der Kirche vielleicht abgewendet haben, aber trotzdem dem christlichen Glauben noch zugetan sind?

Robbers: Ja, natürlich, und auch die, die nun gerade nicht Christen sind, sondern anders glauben. Ein zentrales Thema dieses Kirchentages ist das gute, friedliche, offene Zusammenleben mit anderen Kulturen und Religionen. Wir gehen zum Beispiel, um das deutlich zu machen, wir gehen auf dem Kirchentag in die Moscheen, in die Synagogen, in die Tempel anderer Religionen, wir sind von diesen Religionen dort in Hamburg eingeladen, und wir kommen dort als Gast. Also wir machen uns auch auf den Weg zu anderen Religionen, damit wir einen offenen und friedlichen Dialog führen können für ein gutes Zusammenleben.

Jabs: Wie schwer ist dieser Weg, glauben Sie, in Deutschland?

Robbers: Wenn wir uns darüber klar werden, dass so viel wie wir brauchen an Gemeinsamkeit, auch an Gemeinsamkeit besteht zwischen den Religionen, dass Religionen sich auf jeweils ihre Art um gutes Leben bemühen, dann, denke ich, haben wir gute Ansätze, dass ein solcher Dialog, ein solches Zusammenleben auch wirklich gelingen kann. Es gibt natürlich Schwierigkeiten, das ist klar, wir dürfen nicht blauäugig durch die Welt gehen und alles nur schönreden. Natürlich gibt es Schwierigkeiten, aber wenn wir offen miteinander umgehen, wenn wir sehen, was die anderen denn eigentlich wollen, dann, glaube ich, haben wir wirklich genug an Gemeinsamkeit, dass wir in Deutschland und in Europa friedlich miteinander leben können.

Jabs: Als Kirchentagspräsident bedeutet das Treffen für Sie natürlich viel Arbeit und auch Stress. Was sind abseits davon Ihre persönlichen Höhepunkte in der nächsten Woche?

Robbers: Ich habe mir angewöhnt, auf Kirchentagen möglichst immer dorthin zu gehen, wo nicht so viele Menschen sind, gerade dort kann man sehr häufig wirklich gute und tiefe Begegnungen erleben. Also es kommt auf jeden Einzelnen an, es kommt auf jeden einzelnen Gedanken, jede einzelne Veranstaltung an, und, wenn Sie wollen, auf einem evangelischen Kirchentag auch auf jedes einzelne Gebet.

Jabs: Gibt es da eine Erfahrung, die Sie in den letzten Jahren zum Beispiel besonders geprägt hat auf einem Kirchentag?

Robbers: Es sind diese Begegnungen mit Menschen, die auch durchaus anders denken, die andere Schwerpunkte haben, die auch anderes glauben, die einen immer mal wieder wachrütteln und immer mal wieder neue Impulse geben, neue Ideen, das ist auf jedem Kirchentag so, das ist auf jedem Kirchentag immer ein bisschen anders, und ich bin gespannt, wie das in Hamburg sein wird.

Jabs: Herr Robbers, vielen Dank für das Gespräch!

Robbers: Ich danke Ihnen, Herr Jabs!

Jabs: Kurz vor dem 34. evangelischen Kirchentag in Hamburg waren das Einschätzungen vom Kirchentagspräsidenten Gerhard Robbers.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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