Ein bisschen Ordnung für die Welt

02.11.2013
Nach der Lektüre dieses populär geschriebenen Sachbuchs dürfte so mancher Leser die Mathematik mit anderen Augen sehen: Rudolf Taschner schildert nicht nur ihre Entstehungsgeschichte, sondern zeigt auch, wie viel Zahlenwissenschaft in Kunst, Philosophie oder Elektrotechnik drinsteckt.
Mathematik und Abenteuer? Das passt eigentlich nicht zusammen. Mathematik, das klingt immer noch nach Strenge und Regelhaftigkeit, nach Rechnen mit Unbekannten, nach einer Disziplin, die keine Fehler verzeiht. Aber nicht nach Abenteuer. Rudolf Taschner macht trotzdem eines draus.

Sein Abenteuer ist ein Streifzug durch die Entwicklung der Mathematik und den Umgang mit Zahlen. Der Wiener Mathematikprofessor pickt sich dazu Momente der Geschichte heraus, in denen neue Erkenntnisse ein bisschen Ordnung in die Welt gebracht haben, und schildert anschaulich besondere Errungenschaften oder Persönlichkeiten von Archimedes über Newton, Leibniz, Pascal bis Kurt Gödel.

Er beginnt mit einer Geschichte aus dem Altertum. Wer vor 3000 Jahren die Überschwemmung des Nilufers oder eine Sonnenfinsternis vorhersagen konnte, galt als Prophet. Dabei wusste er - im Gegensatz zur einfachen Bevölkerung - nur, wie man mit großen Zahlen rechnen konnte. Aus dieser Abhängigkeit von wenigen Wissenden wurden die Menschen in Europa erst durch ein Buch im 16. Jahrhundert befreit, schreibt Taschner. Er meint das Rechenbuch von Adam Ries, das bei ihm zum ersten erfolgreichen Projekt der Aufklärung wird.

Heute ein auf leeren Axiomen beruhendes Spiel
Tendenziell werden die Zahlen während der Lektüre immer größer, wie in der Geschichte vom Reis auf dem Schachbrett. Potenzen, Potenztürme und Primzahlen – hier darf ein Kapitel über die Welt der Spione und das Verschlüsseln von Nachrichten nicht fehlen – recken sich in Schwindel erregende Höhen, bis hin zum Fluchtpunkt aller Zahlen, der Unendlichkeit. Überhaupt hat das Unendliche es Rudolf Taschner angetan - 2005 hat er ihm schon ein eigenes Buch gewidmet. Ist das noch eine Zahl? Kann man damit noch normal rechnen? Kann man überhaupt sinnvoll darüber sprechen?

Auf diese Frage gab der Grundlagenstreit der Mathematik Anfang des 20. Jahrhunderts unterschiedliche Antworten, die Rudolf Taschner im letzten Kapitel kurz rekapituliert. Am Ende kommt er zu dem Schluss: Mathematik, so wie sie heute betrieben wird, ist ein auf leeren Axiomen fußendes Spiel!

Leichtfüßig verknüpft er die Mathematik mit Themen aus Kunst, Philosophie, Elektrotechnik, Logik und Metamathematik: Wie funktioniert ein Transistor? Können Computer denken? Wird Mathematik erschaffen oder entdeckt?

Dadurch wird "Die Zahl, die aus der Kälte kam" eine reichhaltige, unbeschwerliche und lohnenswerte Lektüre. Manchmal wirkt sein Buch etwas willkürlich zusammengestellt, selten verliert es sich in Details. Aber spannend und lehrreich und eingängig bleibt es immer. Mathematik als Wissenschaft vom Unendlichen (Hermann Weyl), darüber wüsste man am Ende gerne noch mehr. Das wäre ein guter Anlass, auch noch andere Bücher von diesem sich aufs Populäre verstehenden Mathematiker kennenzulernen.

Besprochen von von Gerrit Stratmann

Rudolf Taschner: Die Zahl, die aus der Kälte kam - Wenn Mathematik zum Abenteuer wird
Hanser Verlag, München 2013
250 Seiten, 19,90 Euro