Ein bisschen mehr Experiment

Von Carsten Probst |
Im September wird die 11. Architekturbiennale in Venedig eröffnet. Mit den beiden jungen Berliner Stadtplanern Friedrich von Borries und Matthias Böttger hofft man im Deutschen Pavillon auf frischen Wind. Es wird zum Beispiel Schiffe zu sehen geben, die mit Kite-Segeln angetrieben werden.
Nachdem die Architekturbiennale in den letzten Jahren gegen ihren Bedeutungsverlust anzukämpfen versuchte, indem man sich stark allgemeinen gesellschaftlichen Fragen widmete wie der Klimakatastrophe oder der Überbevölkerung in den Städten, versucht man es in diesem Jahr wieder mit einer Rückbesinnung auf den architektonischen Diskurs. Dafür steht auch Biennalen-Leiter Aaron Betsky:

Biennalen-Leiter Aaron Betsky: " Wenn Sie ein Haus wie dieses ansehen, müssen Sie schon länger hinschauen, um die Architektur daran zu finden. In den meisten Häusern, in denen wir wohnen, muss man sehr genau hinsehen, um die Architektur zu erkennen. Das kommt daher, weil Architektur nicht dasselbe ist wie Gebäude. Häuser enthalten Architektur, entstehen aufgrund von Architektur, aber sie sind eben nicht gleichzusetzen mit Architektur. Man könnte sagen, sie sind das Grab von Architektur, und man muss gewissermaßen die Architektur aus ihnen exhumieren. "

Was sich zunächst ein wenig nach einem architektonischen Splattermovie anhört, verbirgt eigentlich eine Wertschätzung für das Reine und Visionäre, für die Betonung der Autonomie des Architekten, dessen eigentliche Entwurfskunst ja gewissermaßen gerade unter der physischen Welt und den ganzen sozialen Bedingungen drumherum leidet. Betsky, der in den USA und Niederlanden studiert hat und sechs Jahre lang Direktor des Niederländischen Architekturinstituts in Rotterdam war, dem der Ruf einer der renommiertesten Einrichtungen ihrer Art in der Welt vorauseilt – Betsky möchte die Biennale wieder einer geistigen Dimension zuführen:

" Konkret heißt das, dass wir eine Architekturbiennale machen wollen ohne Gebäude. Keine Architekturmodelle von Dingen, die man irgendwoanders in Realität sehen kann. Keine Fotografien von Häuser, die man besser im wirklichen Leben anschaut. Gut, es wird einige Modelle und Zeichnungen und Fotografien geben, aber sie werden Strukturen zeigen, die unmöglich sind. Oder noch unmöglich sind. Oder es sind Deformationen, Kritiken, Reflexionen auf die physikalische Welt um uns herum. "

Was manche Kritiker bereits Schlimmes ahnen lässt, die sich noch an die reichlich ornamentalen Megashows der neunziger Jahre erinnern, in denen sich die Biennale wie ein Hochamt abfeiern ließ. Manches spricht dafür, dass es tatsächlich so kommt, nicht zuletzt die Einladungsliste, die sich wie eine Revue der Berühmten und Etablierten liest. Zaha Hadid und Frank O.Gehry, Asymptote und Coop Himmelblau und andere, die Installationen und Manifeste liefern sollen. In einem experimentellen Teil dürfen dann Herzog de Meuron, Rem Koolhaas und andere Unvermeidliche sich selbst darstellen. Immerhin wird es auch einen "Paradiesgarten" geben, angelegt von der Architektin und Künstlerin Kathryn Gustafson. Alles in allem kündigt sich ein großes Spektakel an, dessen innovative Qualitäten aber noch nicht ohne weiteres aufscheinen.

Aaron Betsky erwidert: " Ich glaube nicht, dass etwas nur schon deshalb gut ist, weil es noch nie gesehen wurde oder weil es neu ist. Ich stimme Ihnen aber zu, dass die geografische Verteilung der Biennalenbeiträge nicht so weit geraten ist, wie ich es gewünscht hätte. Wir haben einige Leute aus China, aus Asien bei den Installationen, auch aus Japan, gerade im experimentellen Teil. Ich hätte gern mehr in Afrika gefunden und in Südamerika, aber ich fand nichts. Vielleicht hat das mit der Verbreitung von Architektur in diesen Gegenden der Welt zu tun. Mein Vorgänger Ricky Burdett legte großen Wert darauf, dass die Biennale eine globale Ausstrahlung hat, Aber das war für mich nicht der Punkt. Mir kam es auf ganz bestimmte Themen an. Es gibt eine Notwendigkeit, sich wieder hinsichtlich des "Spirit" und des Experimentellen in der Architektur zu engagieren. Das ist, wenn Sie so wollen, ein bisschen Luxus, aber ich hoffe, wir können diesen Luxus umwandeln in eine Vorlage für kritisches Denken und Erfinden neuen Formen. "

Anschließend erste Einblicke in das, was vom Deutschen Pavillon zu erwarten ist. Nach der etwas biederen Präsentation von Grüntuch&Ernst erhofft sich das Bundesbauministerium, das dafür immerhin einen Etat von 500.000 Euro bereitstellt, mit den beiden jungen Berliner Stadtplanern Friedrich von Borries und Matthias Böttger wieder auf etwas frischen Wind, den diese zumindest heute auch teilweise schon machten.
Matthias Böttger: " Angesichts von Klimawandel und Naturkatastrophen, die vermutlich Menschen gemacht sind und daraus auch folgenden Klimakriegen, die gerade diskutiert werden, könnte man von uns natürlich fordern, dass wir jetzt sozusagen eine groß angelegte Revolution starten. Und wir sind vielleicht auch ausgewählt worden als die Jungen, wie auch immer, die jetzt diese Revolution anzetteln können. Da müssen wir ein bisschen enttäuschen, weil wir leider nicht wirklich an diese Revolution glauben. A) ist sie für uns ein bisschen zu risikoreich, weil sie hohe Reibungsverluste, Kollateralschäden mit sich bringt, und außerdem ist unsere Gesellschaft wahrscheinlich gerade nicht an dem Punkt, dass wir sie zu einer Revolution überreden können. Dennoch glauben wir, dass wir radikale Schritte tun müssen, um uns dieser besseren Zukunft nähern zu können. "

Keine Revolution, aber immerhin ein bisschen Experiment, ein bisschen raus aus den eingefahrenen Debatten. Man wird hochmoderne Schiffe sehen, die mit Kite-Segeln angetrieben werden, und Häuser, die aus sandgefüllten Plastikfalschen bestehen. Das alles muss nicht zwingend etwas mit Architektur zu tun haben, und mehr verraten die beiden einstweilen nicht. Wir sind gespannt.