Ein bekannter Unbekannter

20.09.2007
Heute vor 50 Jahren starb im Alter von 91 Jahren der große finnische Komponist Jean Sibelius in seinem legendären Landhaus Ainola unweit von Helsinki. Bis heute ist er ein bekannter Unbekannter geblieben, musikalisch wie menschlich. Von seinen Werken sind vor allem Ausschnitte oder eher randständige Stücke bekannt geworden wie Finlandia, Valse Triste, der Jägermarsch oder das unter großen Mühen entstandene Violinkonzert. Auch seine Sinfonien werden hie und da gespielt, etwas häufiger derzeit im Sibeliusjahr 2007.
Aber es gibt noch viel zu entdecken, nicht nur viele bedeutende Werke - auch seine Persönlichkeit muss in ihrer Komplexität erst erfasst werden: Der anekdotenhaften Überlieferung nach lebte er als junger Mensch das Leben eines Bohemien, von dem eine große Liebe zum Alkohol übrig blieb. Als älterer Mensch pflegte er ein ungeklärt enges Verhältnis zum Faschismus in seiner Heimat Finnland, aber auch zu den deutschen Nazis und ihren Geistesbrüdern in Europa. Mit seiner Musik errang er frühzeitig großen Erfolg gerade in den privatwirtschaftlich organisierten Musikkulturen Englands und der USA - nicht zuletzt deshalb traf ihn der Bannstrahl einiger deutscher Musik- und Gesellschaftstheoretiker wie zum Beispiel Theodor W.Adorno. Aus der heutigen Sicht betrachtet scheinen manche Urteile der Kritiker wie der glühenden Anhänger Sibelius unreflektiert und ungerecht. Weil Sibelius ein quasi biblisches Alter erreichte, erscheint er als romantisches, naturverklärendes Fossil im rationalen Zeitalter. In der Tat konnte er mit vielen künstlerischen, sozialen und politischen Zeiterscheinungen des 20. Jahrhunderts nicht recht umgehen.
In der finnischen Heimat wurde Sibelius schnell - und nicht unbedingt freiwillig - zur Ikone. Davon ist heute vor allem eins übrig geblieben: Sibelius lässt sich gut vermarkten. Die Marke "Sibelius" wird in ihrem Erfolg vielleicht nur von einem Produkt übertroffen: Der Mozartkugel.
Der Themenabend stellt die unbekannten und fehlgedeuteten Aspekte von Sibelius’ Leben und Werk zur Diskussion und präsentiert neben der Musik Sibelius’ auch die anderer Komponisten, die zwischen die Mühlsteine des Jahrhundertübergangs und der Ideologien gerieten.
Am 19. September feierte ein großer deutscher Dirigent seinen 95. Geburtstag - Kurt Sanderling. Er hat sich Zeit immer sehr für Sibelius Gesamtwerk eingesetzt, gegen alle Vorbehalte und Klischees. Mit seinem Berliner Sinfonie-Orchester hat er alle Sinfonien von Sibelius eingespielt. In der Sendung gibt er Auskunft über seinen speziellen Zugang zum Werk des finnischen Komponisten und über vermeintliche Gegensätze und wahre Ähnlichkeiten zwischen Sibelius, Gustav Mahler und Dmitrij Schostakowitsch. Die Sinfonien von allen dreien hat Kurt Sanderling maßtabsetzend interpretiert. Außer ihm beschreiben auch Hans Schmidt-Isserstedt und Herbert Bloomstedt ihre Beziehung zur Musik von Jean Sibelius.


Themenabend Musik
"Sah Kraniche - hörte wieder meine Klänge" –
Vor 50 Jahren starb Jean Sibelius, der Übervater der finnischen Musikkultur

Jean Sibelius
Sinfonie Nr. 3 C-Dur op. 52
Ballettszene JS 163
Luonnotar op. 70
Andante Festivo
u.a.

Helena Juntonen, Sopran,
Berliner Sinfonie-Orchester
Leitung: Kurt Sanderling
Sinfonia Lahti
Leitung: Osmo Vänskä
Finnisches Rundfunkorchester
Leitung: Jean Sibelius
u.a.

Studiogast: Tomi Mäkelä
Moderation: Volker Michael

ca. 21:30 Konzertpause mit Nachrichten