"Ein Beamter weiß, am Ende kriege ich meine Pension ja sowieso"

Christoph Birnbaum im Gespräch mit Britta Bürger · 10.07.2012
Schon in Kürze kommen auf Länder, Kommunen und den Bund gigantische Summen für die Versorgung ihrer Ruhestandsbeamten zu, sagt der Journalist Christoph Birnbaum. Er spricht von einer "Katastrophe mit Ansage", denn in den öffentlichen Haushalten wurden dafür keinerlei Rücklagen gebildet.
Britta Bürger: Wer in die deutsche Rentenkasse einzahlt, hat längst begriffen, dass die Rente alles andere ist als sicher. Anders die Beamten: Sie wiegen sich in der Sicherheit, dass der Staat für ihre Pensionen sorgt. Allerdings haben Bund, Länder und Kommunen für die Beamtenpensionen fast keine Rücklagen angespart. Deshalb spricht der Journalist Christoph Birnbaum im Titel seines neuen Buches von der "Pensionslüge", auf dem Einband verdeutlicht durch einen Bundesadler, der nur noch ein knochiges Gerippe ist. Christoph Birnbaum ist jetzt in unserem Kölner Studio – ich grüße Sie, Herr Birnbaum!

Christoph Birnbaum: Hallo!

Bürger: Sie haben umfassend recherchiert, wie der Staat künftig die Beamtenpension finanzieren will, und dabei vor allem eines entdeckt, nämlich ein tiefes, tiefes Loch. Welche Pensionslasten bauen sich da derzeit auf?

Birnbaum: Also das ist eine Katastrophe mit Ansage, denn wir wissen natürlich um die demografische Entwicklung, auch im öffentlichen Dienst, und können ganz einfach errechnen, dass die geburtenstarken Jahrgänge im öffentlichen Dienst, die Babyboomer, die in den 60er-, 70er-Jahren eingestellt wurden, in Massen eingestellt wurden, verbeamtet wurden, ab dem Jahr 2015 in Ruhestand gehen werden. Das sind 600.000 neue Ruhestandsbeamte, die bezahlt werden wollen vom Bund, von den Ländern, von den Kommunen, in einer Größenordnung von einer Billion Euro für die nächsten 30, 40 Jahre.

Manche Institute errechnen, wenn man Beihilfe und Hinterbliebenenversorgung dazu nimmt, einen Betrag von 1,3 bis 1,4 Billionen Euro – das sind gigantische Summen. Vergegenwärtigen Sie sich, dass die Bundesrepublik zurzeit mit zwei Billionen Euro verschuldet ist auf allen Gebietskörperschaftsebenen, dann ist das etwas, was uns zu tiefster Sorge veranlassen sollte.

Bürger: Für diese Billionen hat der Staat keinerlei Rücklagen gebildet, schreiben Sie. Was bedeutet das denn?

Birnbaum: Das bedeutet, dass die Pensionen für Beamte aus dem laufenden Staatshaushalt von Bund und Ländern und Kommunen bezahlt werden müssen. Das heißt also, die Ausgaben für Personal, für aktives und passives Personal, werden in den nächsten Jahren enorm steigen.

Bürger: Vermutlich besonders dramatisch wird das für die ohnehin armen Stadtstaaten. Heißt das, keinerlei Spielraum mehr für künftige Investitionen?

Birnbaum: Nein, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass 80 Prozent der 1,2 Millionen Beamten, die es in Deutschland gibt, in den Ländern beschäftigt sind, dann trifft es vor allen Dingen diese Länder, deren Haushalte in der Zukunft in einem Ausmaß geknebelt werden, die jeden Bürger treffen werden. Es wird für freie Aufgaben, freie Politikmaßnahmen, Infrastrukturmaßnahmen in Zukunft immer, immer weniger Geld da sein, weil die Personalkosten dies alles überlagern werden, plus Schuldzinsen plus das, was wir zurzeit auf der europäischen Ebene im Zuge der EU-Staatsschuldenkrise besprechen – die Schuldenbremse, die ganz besonders den Ländern zu schaffen machen wird.

Bürger: Sind das im Grunde griechische Verhältnisse, hat auch der deutsche Staat also in seiner Haushaltsplanung absolut missgewirtschaftet?

Birnbaum: Wenn ich bremischer Beamter wäre, oder wenn ich Beamter in Berlin wäre, dann würde ich mir um meine Ruhestandsbezüge größte Sorgen machen. Vor allen Dingen, wenn Sie wissen, mit welchen Tricks die Politik für die Vorsorge der eigenen Staatsdiener sorgt.

Bürger: Lassen Sie uns ein bisschen in die Geschichte schauen, das machen Sie auch in Ihrem Buch, Herr Birnbaum: Wie konnte es nämlich zu dieser jetzigen Situation überhaupt kommen? 1957 wurde die gesetzliche Rentenversicherung eingeführt und ebenfalls eine Reform gesetzt für die Beamtenversorgung. Hat man denn damals schon ausgeblendet, dass der Staat Vorsorge leisten muss?

Birnbaum: Nein, überhaupt nicht. 1957 gab es das Bundesversorgungs-Reformgesetz – das ist ein ziemlich sperriger Titel, wie ja alles im Beamtenrecht relativ umständlich ausgedrückt wird –, und in diesem Bundesversorgungs-Reformgesetz wurden die Beamten mit einem siebenprozentigen Eigenbeitrag dazu herangezogen, für ihren eigenen Ruhestand vorzusorgen, also ein kapitalgedecktes Verfahren für die Pensionszahlungen. Man hat sich dann im Laufe der Zeit stillschweigend von diesem Verfahren verabschiedet, man hat diesen Pensionsfonds 1957 sehr schnell auslaufen lassen, in den allgemeinen Haushalt übertragen. Es gab keine großen Proteste vonseiten der Beamten, denn ein Beamter weiß, am Ende kriege ich meine Pension ja sowieso vom Steuerzahler – aus welchem Topf das dann insgesamt kommt, das kann einem Beamten, oder konnte einem Beamten damals relativ egal sein.

Bürger: Könnte man so etwas nicht wieder neu auflegen?

Birnbaum: Man hat Pensionsfonds aufgelegt, in den 90er-Jahren, weil der Politik schon bewusst wurde, auch dank der Wissenschaft, dass es hier dringenden Reformbedarf gibt. Aber diese Pensionsfonds, die es in den Ländern vor allen Dingen gibt, aber auch natürlich beim Bund und bei den Bundesoberbehörden, diese Pensionsfonds greifen für die großen geburtenstarken Jahrgänge, die jetzt in Ruhestand treten, nicht, sondern sie greifen erst ab dem Jahr 2020 folgende.

Bürger: Also es gab irgendwann mal einen kleinen Berg, einen kleinen Posten an Rücklagen – wo sind die denn versickert?

Birnbaum: Die sind im allgemeinen Haushalt des Bundes eingeflossen. Übrigens gibt es das vergleichbare Beispiel auch aus jüngst zurückliegender Zeit – ich erinnere an das Land Niedersachsen, das im Zuge der Einrichtung von Pensionsfonds einen eigenen Beamten-Pensionsfonds unter der Ministerpräsidentschaft von Christian Wulff eingerichtet hat. Dieser Pensionsfonds wurde kurze Zeit darauf sang- und klanglos eingestellt, in den Haushalt überführt, damit Niedersachsen weniger Schulden ausweisen konnte.

Bürger: von der Pensionslüge spricht der Journalist Christoph Birnbaum in seinem gleichnamigen Buch, Thema unseres Gesprächs hier im Deutschlandradio Kultur. Warum sind denn eigentlich in den vergangenen Jahrzehnten anstelle von Beamten nicht viel mehr Angestellte eingestellt worden, Menschen, die also in die Rentenkassen einzahlen? Das Problem war doch absehbar.

Birnbaum: Das Problem war absehbar und ist ein ganz deutliches Zeichen darüber, dass die Politik alles andere als eine nachhaltige Finanzpolitik betreibt. Beamte sind in ihrer aktiven Zeit billiger als Angestellte – nicht wenn man die Ruhestandsgehälter dazu nimmt, denn sie zahlen natürlich keine Sozialabgaben.

In jedem Landtagswahlkampf, den wir in der Vergangenheit erlebt haben, zog der Ministerpräsident oder der Ministerpräsidentenkandidat durch die Lande und hat gesagt, ich stelle so und so viel Tausend neue Lehrer ein, ich stelle so und so viel Tausend neue Polizeibeamte ein. Keiner, auch der Steuerzahler, hat sich gefragt, wie sollen denn deren Ruhestandsgehälter bezahlt werden.

Bürger: Es ist ja immer von besonderem Treueverhältnis des Staates zu seinen Beamten die Rede: Der Beamten dient dem Staat und der Staat versorgt den Beamten. Wird es tatsächlich dazu kommen, dass der Staat diese Treue in der Zukunft aufkündigen muss?

Birnbaum: Also erst mal hat es das schon gegeben, ich erinnere an das brüning’sche Beamtennotopfer in der Weimarer Republik, dort mussten auch die Beamten – vor allen Dingen die kleineren Beamten – ganz erhebliche Einbußen erleiden.

Und wir brauchen uns nur in der jüngsten Zeit umzusehen, wenn Sie an die Staatsschuldenkrise in Europa denken: Das Erste, was ein Staat wie Irland gemacht hat, war, den eigenen Pensionsfonds für die irischen Banken aufzulösen, in den Staatshaushalt einzuführen, in Griechenland wird es den Beamten über kurz oder lang an den Kragen gehen, in Spanien hat es Gehaltseinbußen für Beamte gegeben. Sollte es für Deutschland im Zuge dieser EU-Staatsschuldenkrise einmal eng werden, werden auch die Beamten nicht verschont werden.

Bürger: Sie haben sich eben auch in anderen Ländern umgesehen, nicht nur im bankrotten Griechenland – haben Sie dabei auch positive Beispiele gefunden? Von wem könnte Deutschland etwas lernen?

Birnbaum: Es gibt solche positiven Beispiele. Man muss gar nicht weit gehen, man muss nur einmal kurz über die Landesgrenze im Süden schauen nach Österreich und in die Schweiz. Die Schweiz hat ihre Beamtenverträge in Angestelltenverträge umgewandelt und hat wirklich den Beamtenstatus nur auf die Exekutivfunktionen des Staates reduziert. In Österreich werden auch die Verbeamtungen radikal zurückgeführt, das muss nicht unbedingt im ersten Moment billiger werden, aber die Kostenstruktur wird transparenter. Und so was wünsche ich mir natürlich auch hier in Deutschland.

Bürger: Wie hoch ist denn die Bereitschaft der Politik, die Probleme wahrzunehmen, aber auch ernsthaft anzugehen?

Birnbaum: Also, ich bin da sehr skeptisch. Wenn Sie den neuen Koalitionsvertrag zum Beispiel der nordrhein-westfälischen rot-grünen Landesregierung nehmen, der ja gerade erst vor Kurzem unterzeichnet worden ist, finden Sie zum Stichwort Dienstrechtsreform drei oder vier Zeilen. Ich glaube, dass die Politik sich immer noch davor drückt, die notwendigen Schritte überhaupt gehen zu wollen, ja, weil sie natürlich Angst hat, sich mit einer großen Gruppe an Menschen anzulegen.

Bürger: Aber was wird dann geschehen, wenn nichts getan wird?

Birnbaum: Nun, dann wird es dazu kommen, dass einige Staaten wie Bremen, Berlin, das Saarland vor allen Dingen auch, die schon jetzt unter der Ägide des Stabilitätsrats sind, das heißt, die einen Sparkommissar sozusagen vor die Nase gesetzt bekommen haben …

Bürger: Dann kriegen wir eine Troika?

Birnbaum: … – die kriegen Besuch von einer Troika, ja, die gibt es in Deutschland, gibt es schon seit einiger Zeit –, dass diese Staaten noch viel weniger für Ihre Bürger machen können als bisher schon. Das heißt, die Bürger werden doppelt getroffen werden durch Einsparungen in den Länderhaushalten und durch Leistungsreduzierungen in der öffentlichen Verwaltung.

Bürger: Herr Birnbaum, für wen haben Sie dieses Buch geschrieben? In erster Linie für die Regierungs-Finanzbeamten?

Birnbaum: Ach, wissen Sie, ich habe das Buch, glaube ich, in erster Linie auch für Beamte selbst geschrieben. Wie ich eingangs sagte, wenn ich dummer Beamter heute wäre, dann wäre ich sehr unruhig, was meinen eigenen Ruhestand, meine eigenen Ruhestandsbezüge angeht.

Ich habe das Buch auch für gesetzlich versicherte Rentner geschrieben, weil ich die große Sorge habe, dass die Kluft zwischen Renten und Pensionen immer größer wird, und ich habe das Buch natürlich auch für Steuerzahler geschrieben, die sich natürlich fragen müssen, wie teuer kommen uns unsere Beamten, und wie sollen sie bezahlt werden.

Bürger: "Die Pensionslüge – warum der Staat seine Zusagen für Beamte nicht einhalten kann und warum uns das alle angeht", so heißt das Buch von Christoph Birnbaum, ist als Taschenbuch in der Reihe dtv Premium erschienen, und ich danke Ihnen, Herr Birnbaum, fürs Gespräch!

Birnbaum: Ich danke Ihnen!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.