Ein Bauer kämpft gegen die Behörden

Michael Kohlhaas aus Meck-Pomm

Eine Herde von Milchkühen steht auf einer Weide des Milchviehbetriebes im brandenburgischen Münchehofe (Dahme-Spreewald). Der Betrieb gehört zur Agrargenossenschaft Münchehofe.
Auf dem Hof von Klaus Wohldmann wurden zuerst die Kühe krank, dann der Sohn. © picture-alliance / ZB / Jan Woitas
Von Nora Bauer · 21.11.2017
180 Milchkühe und die Gesundheit seines kleines Sohnes sind der Krankheit zum Opfer gefallen: Auf dem Hof von Klaus Wohldmann hat sich 2002 "Chronischer Botulismus" ausgebreitet. Seitdem kämpft er gegen Behörden und fordert eine Entschädigung.
"Mein Name ist Klaus Wohldmann, bin 50 Jahre alt, habe nun mittlerweile den zweiten Landwirtschaftsbetrieb im kausalen Zusammenhang mit dem Krankheitsgeschehen des Chronischen Botulismus verloren, Familienvater, ich habe einen körperlich-geistig schwerstbehinderten Sohn durch das Krankheitsgeschehen von damals, und wir streiten immer noch mit Behörden, Ämtern, und hoffen ja, dass man das, was man nicht nur im Krankheitsgeschehen verloren hat, sondern was man uns vor allen Dingen hinterher angetan hat, dass das mal entschädigt wird, und dass man sich da an einen Tisch setzen kann, damit man eine Lösung findet."
In Wohldmanns Büro stapeln sich Aktenordner mit dem Schriftwechsel, den er seit 15 Jahren wegen seiner erkrankten Tiere führt: mit dem Landwirtschaftsministerium, den Abgeordneten im Landtag, Bundestag, und Brüssel. Mit Amtstierärzten und Landwirtschaftlichen Prüfungsbehörden. Die Antworten schwanken zwischen Verständnislosigkeit und offener Ablehnung. An den Wänden hängen fein säuberlich gerahmt Prämierungen für die Milch, die Wohldmann mit seinen Kühen produziert hat. Das war einmal. 2002 kommt das Jahrhundert-Hochwasser und die Warnow – Trinkwasser-Reservoir für das Einzugsgebiet Rostock – tritt über die Ufer. Als sich die Flut zurückzieht, mäht Wohldmann seine Wiesen und füttert mit der Grassilage, wie jedes Jahr, seine Kühe.
"Das war im September 2002. Wir haben die Silage aufgemacht, haben das an das weibliche Zuchtvieh auch verfüttert und dann merkten wir schon, dass da was nicht stimmt. Es fing denn an mit Verkalbungen … die Kuh hat dann auch zum Teil im vierten, fünften Monat die Frucht abgeworfen, ne Menge Totgeburten nachher auch. Dann haben wir auch umgehend den Rindergesundheitsdienst dazu gerufen, weil, der Haustierarzt hat schon geahnt, dass da richtig Probleme auftauchen, die er alleine nicht bewältigen konnte. Dann wurden umfangreiche Untersuchungen angeschoben und Ende Januar hatten wir bereits die Befunde und die Diagnose."

Die verschwiegene Gefahr

Der Rindergesundheitsdienst nimmt Proben von der Silage und den erkrankten Tieren auf dem Hof und schreibt einen Bericht an die Leitung des zuständigen Veterinärsamtes, mit Kopie an den Landwirt Wohldmann. Diagnose "Chronischer" oder wie die wissenschaftliche Bezeichnung lautet "Viszeraler" weil "aus den Eingeweiden kommender" Botulismus. Wenige Tage später erhält Wohldmann offiziellen Besuch.

"Da war ja auch der Abteilungsleiter, der Herr Dr. Buchwald und die Amtstierärztin aus Güstrow, die Frau Day, die waren bei mir in der Küche und haben mir am Küchentisch erzählt, ‚Herr Wohldmann, Sie sind ein Einzelfall, und es ist nicht ansteckend für die Menschen, es gibt keine Infektionsgefahr!‘ Hätten wir gewusst, dass es doch eine Zoonose ist, und ansteckend ist, dann hätte ich meine Frau und unser Kleinkind, damals war er ja noch gar nicht geboren, aber da hätte meine Frau sofort vom Hof müssen."
Eine Zoonose ist eine zwischen Tier und Mensch übertragbare Infektionskrankheit. Der viszerale oder chronische Botulismus ist nicht nur eine Vergiftung an verdorbener Nahrung – wenn man das Toxin aufnimmt, nimmt man auch die Bakterien auf, die sich im Körper ihres Wirts weiter vermehren und wieder in die Umgebung gelangen können.
"Wenn die Krankheit auftritt, dann können Sie bloß davon ausgehen, dass dieser Krankheitserreger in der Umgebung ist. In der ganzen Umgebung, also im Stall, auf dem Feld, in den Kleidern des Bauern, überall."
Helge Böhnel, heute emeritierter Professor für Tiermedizin und Mikrobiologie der Georg-August-Universität in Göttingen, hat 2003 weitere Proben auf Wohldmanns Hof in Mecklenburg-Vorpommern genommen und die Diagnose des Rindergesundheitsdienstes bestätigt.

Der kleine Sohn steckt sich an

"Das ist jetzt die Geschichte aller Clostridien, aber es ist durchaus so, dass Sie eben den Krankheitserreger überall haben und eben in erster Linie über die Nahrung aber auch über die Luft oder die Haut den Erreger aufnehmen können."
"Meine Frau war damals schwanger mit Marten. Marten ist denn im August 2003 geboren, ist drei Wochen zu früh geboren, aber so war alles in Ordnung. Er ist dann ein halbes Jahr gestillt worden, ist ganz normal auf dem Hof gewesen, im Kinderwagen, zur Stallhülle hatte er Kontakt, er hatte auf dem Hof Kontakt, es ist eben nach seiner Geburt geschehen, dass er sich da irgendwo durch die Umwelt oder durch Muttermilch, man weiß es nicht … muss er sich die Schädigungen zugezogen haben."
Marten zeigt bald dieselben Symptome wie die Kühe im Stall.
"Er lag da schlapp wie so ‘ne Wärmflasche. Er konnte ganz spät erst kriechen und das Laufen hat er erst mit zweieinhalb Jahren gelernt, nachdem wir ein halbes Jahr den Hof verlassen hatten. Die Nervenbahnen, die sind einfach blockiert bei ihm, und das merkt man einfach, er kann nicht richtig schlucken, nicht richtig kauen."
"Nach dem zweiten, dritten Lebensmonat, wo andere Babys anfangen sich zu bewegen und den Kopf heben, da konnte er absolut das nicht und war zu schwach in der Muskulatur und dann wurden wir zur Universität nach Rostock geschickt, um irgendwelche anderen genetischen Ursachen auszuschließen. Für uns war das unfassbar. Und dann kamen wir immer mehr dazu, dass das doch mit den Umwelteinflüssen bei uns auf dem Hof zu tun haben müsste."
Wohldmann erfährt inzwischen, dass ihn die Behörde auch in einem anderen Zusammenhang nicht korrekt informiert hat. Er ist gar kein Einzelfall.

Die Fälle häufen sich

"Anfang 2003 wurde uns von einem Futtermittelhändler erzählt, dass die Familie Bratrschovsky in Groß Stieten schwerst betroffen ist, und da waren 800 Tierverluste und die beiden Söhne, zwischen neun und elf Jahre damals, die waren schon schwerst erkrankt und da sind wir sofort beigegangen und haben alles untersucht auch, haben Stuhlproben eingeschickt, Blutserum habe ich auch damals eingeschickt, 2005 da hat man denn auch das Toxin gefunden bei meiner Frau und bei mir, wir waren beide positiv."
Bis 2003 zählt allein der Rindergesundheitsdienst in Meck-Pomm 25 vergleichbare Fälle. In den anderen Bundesländern mit intensiver Tierhaltung sieht es ähnlich aus.
Gewarnt wird das Ehepaar Wohldmann von den offiziellen Stellen nicht. Im Gegenteil. Die betreffenden Behörden zweifeln die Diagnose grundsätzlich an. Eine kleine Anfrage der Grünen im Mai 2012 beantwortet der zuständige Ministerialrat und oberste Tierarzt des Landes Hans-Joachim Bätza, der einen Sitz im Kuratorium der Tönnies-Forschung und seit 2014 eine Honorarprofessur an der Tierärztlichen Hochschule Hannover inne hat, schriftlich: Das beschriebene Krankheitsbild sei aus Sicht des BMLE nicht auf Clostridium botulinum zurückzuführen.
Mündlich bekräftigt er:
"Man muss sich dann in der Tat auch vor Augen führen, mit welcher Klinik wir es zu tun haben, ich wiederhol mich insoweit, es geht von Lahmheiten, es geht über Klauenprobleme, es geht über Labmagenverlagerungen, es geht über Durchfälle, es geht über Verstopfung, Milchrückgang, es ist letztendlich eine ganze Bandbreite von klinischen Symptomen, die aus meiner Sicht jedenfalls, der ich in der Mikrobiologie so ein bisschen bewandert bin, sich schwerlich auf einen Erreger zurückführen lässt."

Hochschule Hannover gibt dem Bauern die Schuld

Mit anderen Worten: Die Krankheit, an die Wohldmann 180 Kühe und die Gesundheit seines Sohnes verloren hat, gibt es offiziell gar nicht. Die Tierärztliche Hochschule Hannover schreibt im Abschlussbericht ihres Forschungsvorhabens zum Viszeralen Botulismus: Tierhaltung und Ställe seien verantwortlich zu machen für den chronischen Krankheitsverlauf.
"Der Stall ist sogar gefördert worden. Wenn ein Bauer einen Kuhstall baut, dann hat er erst mal seinen Betriebsberater auf dem Hof, dann denken die nach, was machen wir. Bevor ein Stall überhaupt fertig ist, haben ja genug Leute von behördlicher Seite drauf geguckt. Und wie kann man in Deutschland einen Kuhstall fördern, wo die Kühe nachher Botulismus kriegen? Wenn es wirklich am Stallbau liegt? Das passt ja gar nicht. Dann müssen wir ja den Architekten und das Ministerium verklagen, weil die sowas gefördert haben."
Wohldmann schreibt bis heute wieder und wieder an den Landwirtschaftsminister von Mecklenburg-Vorpommern Til Backhaus und alle zuständigen Stellen, weil ihm die Entschädigung für den Verlust seiner Milchkühe verweigert wird. Strenggenommen ist er ja sogar ein Flut-Opfer. Zum Selbstschutz und Informationsaustausch gründet er 2010 mit anderen betroffenen Bauern und Tierärzten die Interessengemeinschaft Botulismus. Auch aus anderen Bundesländern stoßen betroffene Landwirte dazu. Sie laden regelmäßig zu ihren Treffen Wissenschaftler zu Vorträgen ein und gehen an die Öffentlichkeit.

Kein Einzelfall

In den Ämtern einigt man sich schnell auf den Sprachgebrauch vom Einzelfall und der Selbstverschuldung und weicht nicht mehr davon ab. Das Ergebnis der Untersuchung aus Hannover macht diese Position nun offiziell: Die Bauern seien selbst schuld, hätten die Ställe nicht adäquat gebaut und ihre Tiere nicht ordentlich gehalten, Gemeinsamkeiten bei den vielen gemeldeten Fällen gebe es nicht. Wohldmann wird allerorts zum Querulanten und Troublemaker gestempelt. Ausgrenzung ist die Folge.
"Es ist ja so gekommen, dass sogar Mitarbeiter des Ministeriums meine Geschäftspartner vor uns gewarnt haben. Und das ist schon sehr heftig gewesen. Und dann ist das so gekommen, dass Banken aussteigen – die Leute, mit denen man zusammenarbeitet, die verlieren ja dann auch schnell das Vertrauen. Man wird ja als Spinner dargestellt, weil man sich mit dem Land und mit dem Bund anlegt. Das kann ja nicht sein, dass sich ein Bauer mit der Obrigkeit anlegt."
Heinrich von Kleist hat in seiner Erzählung so einen Bauern, den Michael Kohlhaas, als einen der rechtschaffensten und zugleich entsetzlichsten Menschen seiner Zeit bezeichnet. Er besiegt seinen Landesherren, aber endet auf dem Rad. Klaus Wohldmann ist weit davon entfernt, seinen Landesherren zu besiegen. Aber er hat neue Flächen gepachtet.
"Jetzt ist man auch vom Kopf her soweit, dass man wieder einen Neustart wagen kann, die Verpächter konnte ich überzeugen, dass wir eine andere Form wollen, wir wollen keine Substrate verklappen, wir wollen ökologisch wirtschaften, wir wollen auf unserem Sandboden hier möglichst unsere Trinkwasserqualität halten. Durch kontinuierliches Arbeiten konnten wir das Vertrauen dieser Menschen erlangen und für das Selbstwertgefühl ist das doch schon einiges. Marten muss langsam lernen ins Leben zu kommen. Er ist sehr wissens- und lernbegierig und er freut sich, wenn er Kontakt zu anderen Menschen hat. Er ist unser kleiner Sonnenschein auch, der sehr behütet werden muss."
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