Ein Autor fischt nach Geschichten

Der israelische Schriftsteller und Filmemacher Etgar Keret
Der israelische Schriftsteller und Filmemacher Etgar Keret © dpa/Ulrich Perrey
Von Renate Schönfelder · 08.01.2013
Der 45-jährige Autor Etgar Keret gilt als der bekannteste Kurzgeschichtenerzähler Israels. Kein Wunder, dass fremde Leute sich nicht scheuen, bei Keret anzuklopfen - um ihm neue, ungeheuerliche Ereignisse zuzutragen. Einige davon hat er nun aufgeschrieben.
Sichtlich erleichtert wirkt Etgar Keret, wenn er bequem auf einem Sofa lümmelnd von der mehrjährigen Schreibpause redet, die er überwunden hat. Er ist jetzt 45 und trägt wieder schulterlange Locken. Nachdem er und seine Frau Shira Geffen 2007 bei den Filmfestspielen von Cannes den ersten Preis für ihren gemeinsam gedrehten Debütfilm "Jellyfish" gewonnen hatten, kamen ständig Drehbuchaufträge ins Haus. Aber auch andere Veränderungen hielten ihn vom Erzählen ab:

"Ich habe geheiratet, bin Vater geworden, habe eine Wohnung gekauft und einen Kredit aufgenommen, und nun saß ich da und dachte: Oh je, werden mir jetzt etwa Versicherungsvertreter und Banken, denen ich Geld schulde, die Themen diktieren? Aber als ich dann die Geschichte 'Plötzlich klopft es an der Tür' schrieb, kapierte ich, dass die neuen Lebensumstände und Verpflichtungen meine Grundhaltung nicht verändert haben. Das Leben funkelt immer noch ironisch und abenteuerlich, selbst wenn es von außen betrachtet kleinbürgerliche Züge angenommen hat."

Nach einer Verletzung ließ Etgar Keret sich eine Zeit lang von einem chinesischen Arzt, der kaum Hebräisch sprach, akupunktieren, und schon nahm vor seinem inneren Auge ein Szenario Konturen an.

"Wenn ein Chinese so simple Wörter wie Schabbat oder Schnupfen mit einem starken Akzent ausspricht, dann bekommen sie plötzlich ein anderes Gewicht. Auf einmal schaust du wie ein Fremder von außen auf Schabbat und Schnupfen und dein Leben. Ich habe einen Vater erfunden, der seinen schweigenden Sohn zur Akupunktur-Behandlung begleitet. Sie sitzen im Behandlungszimmer wie bei einem Scheidungstermin. Der Chinese, der fast ohne Sprache auskommt, bringt etwas in ihrer Beziehung zum Vorschein."

In Etgar Kerets Geschichten passieren laufend absurde Unfälle. Unglückliche Verwicklungen auszuschmücken hilft ihm, die eigenen wilden Angstfantasien zu zähmen. Auffällig ist auch, dass Etgar Kerets Figuren häufig schwindeln. Seine Eltern haben den Holocaust überlebt. Schon die Vorstellung, ihnen Kummer zu bereiten, war quälend. Aber auch die Eltern wollten ihre Kinder nie mit etwas belasten. Um sich gegenseitig zu schonen, sagt Etgar Keret, habe man in seiner Familie stets kleine Lügen erfunden.

"Als mein Vater ernstlich erkrankte, veränderte sich mein Schreiben. In Israel würde ich nie meine ganz privaten Empfindungen öffentlich machen, aber in Deutschland und Amerika habe ich erzählt, was der drohende Verlust für mich bedeutet. Es war, als wenn ich der Welt sagen wollte, was für einen großartigen Vater ich habe, was für eine außerordentliche Persönlichkeit er ist. Instinktiv wollte ich meine Traurigkeit mit Leuten teilen und sie nicht verstecken."

Ganz anders wuchs Etgar Kerets Frau Shira Geffen auf. Ihre Eltern waren Hippies. Vater Jonathan ist ein bekannter Lyriker. Musiker gingen zuhause ein und aus. Ihr Bruder Aviv war mit 18 schon ein Popstar und einer der ersten, die den Militärdienst in Israel verweigerten. 1990 erregte das viel Aufsehen, auch weil ihr Onkel der als Kriegsheld verehrte Verteidigungsminister Moshe Dayan war. Mit Shira, die als Schauspielerin arbeitet, Gedichte und Theaterstücke schreibt, treibt Etgar Keret unaufgeregt durchs Leben. Dafür, dass die beiden rechtzeitig aufstehen, sorgt der sechsjährige Sohn.

"Wir arbeiten jetzt an einer Fernsehserie über die Immobilienbranche. Wahrscheinlich kommen wir mit den Franzosen ins Geschäft. In Israel ist der Markt für experimentelles Fernsehen einfach zu klein."

Viele Jahre hat Etgar Keret Drehbuchseminare an der Filmhochschule von Tel Aviv gegeben. Jetzt verdient er den Lebensunterhalt als Literaturdozent an der Universität Be'er Sheva in der Negev-Wüste. Wenn man sieht, wie er sich darüber freut, dass in seiner Schreibwerkstatt Beduininnen und fromme Siedlerinnen zusammenkommen, versteht man sofort, warum fremde Leute sich nicht scheuen, bei Etgar Keret anzuklopfen, um ihm etwas Ungeheuerliches zu erzählen oder ihm ihrerseits eine gute neue Geschichte abzuluchsen.

"In meine Kurse kommen eher die Außenseiter; Leute, die glauben, dass ihre Stimme in der Gesellschaft nicht zählt. Irgendwann wünscht man sich, dass das ganze Land doch bloß ein einziger Schreib-Workshop wäre. Vielleicht hätten wir dann Frieden."

Etgar Keret: Plötzlich klopft es an der Tür. Stories.
Aus dem Hebräischen von Barbara Linner
S. Fischer Verlag, Frankfurt 2012
256 Seiten, 18,99 Euro


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