Ein aus Worten gewobener Mann

03.05.2013
In seinem neuen Roman macht sich Péter Esterházy zum Helden seiner Geschichte - und lässt sich selbst als Hund, schöne Studentin, betender Karpfen und König auftreten. Ein lustvoll verrätselter, stilistisch eleganter Text voll von Selbstironie.
In seinem neuen Roman "Esti" hat Péter Esterházy sein virtuoses Spiel mit literarischen Formen, Sprachphilosophie und Sprachschöpfung, mit der Einarbeitung von Fremdtexten und raffinierten Selbstbespiegelungen und Selbstmystifikationen weiter verfeinert. Wie alle Werke dieses Autors hat auch "Esti" eine offene, fragmentarische Form – das Buch ist ein sich selbst absolut setzendes Text-Universum.

Der Titel "Esti" verweist nicht nur auf den Autor selbst (und seinen Spitznamen als Student), sondern zugleich auf eine berühmte Gestalt der ungarischen Literatur, auf Kornél Esti, den Helden der Novellensammlung von Dezsö Kosztolányi von 1927 bis 1933. Diese gilt als der Beginn der Moderne in der ungarischen Literatur. Esti ist ein Doppelgänger des Autors – eine elegante, unberechenbare, spielerisch spöttische, sich ständig wandelnde, mitunter auch dämonische Figur. Esterházy borgt sich diese Figur und paraphrasiert sie, um sich selbst darin zu spiegeln, sich dahinter zu verbergen, sein selbstironisches und selbstreflexives, stilistisch elegantes, linguistisch raffiniertes und frivoles Spiel mit Identifikationen und Fiktionen mit ihr zu treiben.

Der Held des Romans ist immer der Autor selbst, der hinter der Romanfigur Kosztolányis ("Kornél Esti – c‘est moi") unentwegt die Gestalt wechselt und auch schon mal als Hund, als schöne Studentin, als betender Karpfen oder als König Matthias Corvinus auftritt: "Kornél Esti ist ein aus Worten gewobener Mann". Esti ist ein schillerndes Alter Ego, das sich lustvoll selbst verrätselt und zugleich in Vexierbildern autobiografisch enthüllt. Das erzählende Ich wird vervielfacht oder auch aufgelöst in unterschiedliche Erzähl- und Redeweisen; vorgeführt werden stattdessen unterschiedliche Modalitäten des Sprechens, die ihre eigenen narrativ-semantischen Voraussetzungen ständig mitreflektieren. Das klingt vielleicht kompliziert, ist aber in Wahrheit die Grundrechenart der Postmoderne.

Der Text nennt sich Roman, doch er besteht aus einer Fülle von ganz unterschiedlichen Textsorten in drei Teilen. Der Hauptteil besteht aus zwölf lose miteinander verknüpften, verbrämt autobiografischen Kurzgeschichten oder Episoden. Das Ganze ist eine Sammlung von oft sehr kurzen Geschichten, Fragmenten, Skizzen, Entwürfen, möglichen ersten Sätzen ("Ouvertürenkollektion"), möglichen Mottos ("Mottokollektion"), kleinen Feuilletons, lauter Arabesken und Girlanden, die um das Hauptgeschäft des Romans spielerisch herumgewunden werden, lauter falschen Eingängen in den Roman, die den Leser narren und auf eine falsche Spur bringen, die sich dann vielleicht doch als die richtige Spur herausstellt.

"Esti" hat eine lose, lockere und doch kohärente Struktur, die auf die zentrale Figur zuläuft und sich in ihr konzentriert: Kornél Esti, der die Welt durch seine eigene Optik filtert. Und das Hauptgeschäft ist natürlich die Entstehung von Literatur als Literatur und aus Literatur. Die Erzählung existiert also einzig im grammatikalischen Raum, im Kosmos des Textes selbst.

Besprochen von Sigrid Löffler

Péter Esterházy: Esti
Aus dem Ungarischen von Heike Flemming
Hanser Berlin Verlag, Berlin 2013
368 Seiten, 24,90 Euro


Mehr zum Thema:

Der Wörterverrückte
Der ungarische Schriftsteller Dezsö Kosztolányi

Ironie macht unangreifbar
Péter Esterházy: "Ein Produktionsroman (Zwei Produktionsromane)"

"Ene unglaubliche Leichtigkeit"
Rosa Ribas über Péter Esterházys "Keine Kunst"