Ein Armutszeugnis

Von Gerhard Schröder, Hauptstadtstudio |
Die Privatvermögen in Deutschland sind sehr ungleich verteilt. Wer wollte das schon bestreiten. Die Datenlage ist eindeutig. Die reichsten zehn Prozent der Deutschen haben mehr als die Hälfte des Vermögens auf sich vereint, die weniger wohlhabende Hälfte der Bevölkerung dagegen besitzt nur vier Prozent. Man kann es drehen und wenden, wie man will, aber das ist eine sehr ungleiche Verteilung.
In der ersten Fassung des Armuts- und Reichtumsberichts ist dieser ebenso nüchterne wie zutreffende Befund noch nachzulesen, in der nun überarbeiteten Fassung ist davon keine Rede mehr.

Es ist nicht das einzige Beispiel, wie sich die Bundesregierung die Realitäten - ein Jahr vor der Bundestagswahl - schön färbt. Die Einkommensspreizung hat zugenommen? Die Lohnschere öffnet sich? Auch das offenbar zu heikel. Daher: gestrichen. Ebenso wie die Feststellung, dass vier Millionen Beschäftigte weniger als sieben Euro pro Stunde verdienen.

Die Bundesregierung verhält sich wie ein Kind, das sich die Hände vor die Augen hält im Glauben, die Dinge, die es nicht sieht, existierten auch nicht.

Keine Frage: Deutschland hat die Finanzkrise besser gemeistert als die meisten anderen europäischen Staaten, die Wirtschaft steht gut da, viele Jobs sind neu entstanden. Aber eine Regierung, die glaubwürdig bleiben will, darf die Schattenseiten des Aufschwungs nicht verschweigen.

Und dazu gehört die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, die sich vertiefende Spaltung der Gesellschaft. Doch davon will die Bundesregierung nichts wissen. Der Grund liegt auf der Hand: Wer die Probleme klar benennt, der muss auch handeln. Und genau dazu fehlen dieser Koalition der Wille und die Kraft.

Sonst würde sie tun, was sie im ersten Entwurf noch angekündigt hatte: nämlich - so wörtlich - zu prüfen, ob und wieweit über die Progression hinaus privater Reichtum für die nachhaltige Finanzierung öffentlicher Aufgaben herangezogen werden kann. Auch davon jetzt kein Wort mehr.

Dabei gäbe es gute Gründe, die Wohlhabenden stärker zu beteiligen. Schließlich haben sie profitiert von den milliardenschweren Rettungspaketen des Staates für die Banken, ihre Vermögen wurden dadurch gesichert, ihr Reichtum hat sich in der Krise noch vermehrt. Die Staatsschulden aber schnellten in die Höhe. Jetzt muss gespart werden. Stichwort: Schuldenbremse. Eisernen Sparwillen zeigt diese Regierung bislang aber nur, wenn es um Langzeitarbeitslose und Hartz-IV-Empfänger geht.

Es ist höchste Zeit, die Lasten gerechter zu verteilen. Sonst vergrößert sich die Kluft. Und der "gesellschaftliche Zusammenhalt gerät in Gefahr". Auch das eine Formulierung aus dem Armuts- und Reichtumsbericht, der inzwischen geschwärzt wurde.