Ein Angstgespenst in der Kleingartenkolonie

06.07.2012
Ein österreichischer Verein fühlt sich von dem Bau eines islamischen Begegnungszentrums bedroht. Monika Kalcsics, Autorin des ORF Kulturradios, hat den Konflikt mit dem Mikrofon begleitet und für "Die Gartengallier" 2011 den Featurepreis der Stiftung Radio Basel erhalten.
Wir schreiben das Jahr 2030 nach Christus. Ganz Österreich ist unter den Einfluss des Islam gefallen. Ganz Österreich? Ja: ganz Österreich.

"In den Schulen wird in Türkisch unterrichtet, auch in Arabisch – je nach der Mehrheit. Die wenigen österreichischen Kinder müssen sich eben anpassen. Alex, unser Zehnjähriger, spricht zu Hause meist gebrochen Deutsch, fällt aber immer wieder ins Türkische. Da wir das nicht können, schämen wir uns."

Diese Zukunftsvision findet sich Anfang des Jahres 2011 auf der Webseite von Mitgliedern der Kleingartensiedlung "Badener Straße" in der österreichischen Kleinstadt Wiener Neustadt. Sie nennen sich "Die Gartengallier" und sehen sich als unbeugsame Rufer gegen ein in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft geplantes und von ihnen sogenanntes "Mega-Islam-Zentrum".

"I wüll vielleicht amol de Gartengallier vorstellen: des bin I, der Scheiber Hans, Schüler Michel, Heder Gerhardt und die Frauen dazua. Und ma soll’s net für möglich hoidn, des is scho ois, mehr samma net."

Das von ihnen beschworene Angstgespenst hinter dem Protest: Die Überfremdung der österreichischen Gesellschaft.

"Für wo I kämpfen wollte, des is eben für die Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder. Jo, des schaut scho traurig aus, ja, wos denen die Zukunft bringt, das im eigenen Land die Minderheit san, sogmers mal so, vornehm ausgedrückt."

Ein halbes Jahr lang begleitet die Journalistin Monica Kalcsics die Auseinandersetzung zwischen den Gartengalliern, der Stadt und den Bauherren des Zentrums, dem türkischen Integrationsverein "Havas".

Autorin: "Wolln’s net mit anander reden a bisserl?"
Gartengallier: "Na, kaan Bedarf. "
Vorsitzender Havas: "Ich auch ungern. (lacht)"

Das Problem: Die bisherigen Räumlichkeiten des Integrationsvereins befinden sich in einem eng bebauten Wohnviertel mit wenigen Parkplätzen. Anwohner beschweren sich über Lärmbelästigung. Also hat der Verein sich mithilfe der Stadt ein Grundstück im "Industriegebiet" gesucht, um dort ein Begegnungszentrum zu errichten. Fevzi Demir ist Vorsitzender des Vereins:

"Unser Ziel ist eigentlich die Jugendlichen, wie man die Jugendlichen unterstützen. Die san dauernd in Wettbüro drinnen und die san um fünf Uhr in der Früh zuhause, die kennen sich nicht mehr aus, was Welt ist… es ist wurscht, ob Türke oder on Österreicher…"

In ihrem Feature lässt Monika Kalcsics alle Seiten zu Wort kommen, ohne durch ihre Fragen oder die Montage der O-Töne offen Position zu beziehen. Das muss sie aber auch nicht:

"Der lügt ihna ins Gsicht, alle, des könnens perfekt. I mein, I kanns auch, aber so perfekt net, muss I sogn."

Denn die Gartengallier führen sich im Lauf des Features in ihrer Argumentation selbst ad absurdum. Zum Beispiel, wenn eine der Gallierfrauen sagt:

Gartengallierin: "Sie soll’n ihr Festl machen, ja. Aber sie soll’n die Autos do unten stehen lassen – des is für uns a Provokation."
Autorin: "Sehen Sie die Autos von ihrem Garten aus?"
Gartengallierin: "Wir hören sie! Wir müssen Fenster und Türe zu machen, das mer wirklich nix hörn! Und des kanns net sein! Wieso soll’n mir uns ruhig verhalten im Garten, wieso? Mir san da genauso zuhause, ja?"
Gartengallier: "Schon länger!"

Dabei liegen die Grundstücke an einer Bahntrasse und – in fast jedem O-Ton hörbar – in der Einflugschneise eines Militärflugplatzes.

"Des is mer klar, wenn i neben der Bahn ahn Grund nehm, das da a Bahn vorbeifährt, die her i gor nimmer. Aber wenn zwei Österreicher mit nicht-deutscher Sprache da drüben san, des hör i bis do umme. Da glaubst, zwaanzig son do, net zwa."

Feature-Ausschnitt: "Kabarettfreunde könnten sich hier an die Figur des Herrn Karl erinnert fühlen, jener Paraderolle Helmut Qualtingers als österreichschem Spießbürger. Die brachte dem Schauspieler in seinem Heimatland zu Beginn der 60er Jahren sogar Morddrohungen ein. Und man könnte das Treiben der Gartengallier für relativ harmlose Realsatire halten, wenn da nicht der Ex-Präsidentschaftskandidat der Christlichen Partei Österreichs CPÖ, Rudolf Gering wäre. Mit Hinblick auf die Revolutionen in Ägypten sagte er auf einer Veranstaltung der Gartengallier:"

"Und das ist auch der Unterschied – die christliche Religion, des is ja eine Religion des Friedens und der Nächstenliebe, während der Islam eine Religion der Gewalt ist. Leider Gottes." (Applaus)"

Das Feature besteht zum größten Teil aus O-Tönen, nur gelegentlich kommt ein Kommentator zu Wort. Akustisch illustriert wird das Ganze durch Musik des österreichischen Elektrokünstlers Christian Fennesz einerseits und mal mehr, mal weniger verfremdeten Versionen populärer Schlager andererseits.

"Die Gartengallier" ist der Inbegriff eines engagierten Hörfunkfeatures – das als Fernsehbericht wahrscheinlich nicht funktioniert hätte. Denn die Ohren haben eben den vorurteilsfreieren Blick. So bemerkt man unter anderem, wie sehr auch die Mitglieder des türkischen Integrationsvereins österreichischen Dialekt sprechen.

Fevzi Demir: ""Und anmol hat der Schüler oder der Scheiber, die hom’ gsagt: Mir san in Österreich, hier wird’s deitsch gredt! Also der hod uns so zwoickt… also, der hod mit unsern Obmann gschimpft, des hob i ned ausghoiden."


Besprochen von Ralf Bei der Kellen


Monika Kalcsics: "Die Gartengallier - Unbeugsamer Widerstand in Wiener Neustadt "
Christoph Merian Verlag, CD ca. 13 Euro, der Download des Features von der Homepage des Verlags kostet 8,99 Euro.