Ein alter, knorriger Pole

Von Herbert A. Gornik |
Mit Karol Wojtyla bestieg zum ersten Mal seit 1522 ein Nichtitaliener den Stuhl des Apostels Petrus. „Ich komme aus einem fernen, so fernen Land“, waren seine ersten Worte, als er sich an jenem 16. Oktober 1978 der Öffentlichkeit vorstellt. Als seine letzten Worte wird zitiert „Ich bin froh, seid Ihr es auch.“ Die ersten Worte sind verbürgt, die letzten nicht.
Er ist den Menschen in den 26 Jahren seines Pontifikats sehr nahe gekommen, vielen aber fern geblieben. Und ob er froh geworden ist angesichts des Leidens der Welt und seines eigenen, steht dahin. Über sein Erbe wird jetzt gestritten. Erbe ist doppeldeutig. Das kann eine Hypothek sein, die materiell und ideell auf den Schultern lastet. Oder ein Nährboden, auf dem nun das gut wachsen wird, was der katholischen Kirche und dieser Welt gut tut. Hypothek oder Humus. Was hinterlässt der Papst?

Dieser Papst war in Wesen und Wirkung ein widersprüchliches Phänomen: seine Außenwirkung – auch bei Menschen, die dem christlichen Glauben nicht sehr nahe sind, war und ist beträchtlich. Und viel positiver als seine Binnenwirkung. In die Welt außerhalb des Vatikans, die politische und die religiöse Welt, hat der Papst Türen geöffnet, in der eigenen Kirche und der christlichen Familie hat er eher Türen verschlossen.

Um es mit einem Satz zu sagen: Der Papst ist in den langen Jahren in die Geschichte eingegangen als alter, knorriger Pole. Alle drei Begriffe waren sein Markenzeichen: Das Alter und die damit verbundenen Gebrechen, die Starrsinnigkeit und die mit ihr verbundenen holzschnittartigen Züge und das Polentum, die politische Ausrichtung also verbünden mit der Eigenschaft, sich nicht vereinnahmen zu lassen von den Mächtigen dieser Welt – dies alles kennzeichnete ihn: den alten knorrigen Polen.

Alt und gebrechlich hat er die Herzen aller angesprochen, wie er in sich versunken, anrührend in seiner Hinfälligkeit, stammelnd oft ein Bild war für die unverlierbare Würde in Alter und Krankheit. Der alte, gebrechliche Papst ist ein menschliches Symbol für die christliche Grundüberzeugung, dass Gott auch in den Schwachen mächtig ist.

Knorrig bis zur Starrsinnigkeit war er, wenn er dem Zeitgeist trotzte oder dem, was er dafür hielt. Christliche Werte brauchen ebenso klare Formen, das war seine Grundüberzeugung. Außerhalb der Kirche gibt es kein Heil, diesen Glaubenssatz teilte er mit seinen Vorgängern im Amt. Er hat sie nur noch einmal verschärft: Außerhalb der katholischen Kirche gibt es kein Heil, sagte dieser Papst und war damit ein ökumenischer Bremser. Außerhalb der Familie darf es keinen Sex geben, war ein weiterer Eckstein seines Denkens. Diese Denkstruktur hob historische Formen wie Ehe und Familie, männliches Priestertum oder auch den Zwangszölibat in den Rang von zeitlosen Inhalten. Verheerend wirkt die Sexualmoral in der AIDS-Prophylaxe. Mit dem Kondomverbot entschied sich dieser Papst, der das Leben so liebte und schützen wollte, tatsächlich für den Tod all jener, die sich anstecken, wenn sie ungeschützt die gute Gottesgabe der Sexualität nutzen.

In die Amtszeit dieses Papstes fällt auch der erzwungene Ausstieg der Katholischen Kirche aus der Schwangerenberatung in Deutschland. Ein Pyrrhussieg der Herren in Rom, weil die Glaubwürdigkeit der deutschen Katholiken und ihr Einfluss in Politik und Gesellschaft darunter Schaden nahm.

Die konservativen Grundrichtungen nach innen nötigen aber , so unbeirrbar wie sie vorgetragen und durchgesetzt werden, auch Respekt ab. Meist bei jenen, die eine Aufweichung aller Werte befürchten und den Eindruck gewinnen, dieser Papst sei ein unbeirrbarer Fels in der Brandung der Zeit.

Dieser Papst, zum letzten war ein politischer Pole. Ein grober Antikommunist und Antisozialist, der die Soldarnosz-Bewegung förderte, die Menschenrechte anmahnte, wo immer er konnte; Seine Grundüberzeugung war, dass Kriege auf jeden Fall nicht Gottes Willen entsprechen und, so wörtlich, eine „Niederlage der Menschheit sind“. In den Zeiten des Kalten Krieges stellte sich der Papst auf die Seite der Amerikaner und verfocht deren Verfassungswerte. Eben weil das so war, nahm er sich das Recht, die amerikanische Weltmacht ebenso scharf der Kriegstreiberei zu beschuldigen und lehnte den Irakkrieg deutlich ab. Die politischen Initiativen stehen seiner Reisetätigkeit um nichts nach. Immer waren die Reisen mit scharfer Kritik an der Ungerechtigkeit verbunden. Das kapitalistische Wirtschaftsystem war für ihn ebenso vom Teufel wie die kommunistische Planwirtschaft. Dieses polnische Element einer Öffnung nach allen Seiten in den Außenbeziehungen der Katholischen Kirche zeigte sich auch in der Fähigkeit dieses Papstes zu großen Versöhnungsgesten:

Er besuchte als erster Papst eine Moschee, er suchte als erster Papst eine Synagoge auf und bat das jüdische Volk, um Vergebung für das Verhalten aller, die Leiden über es gebracht hatten.

Der alte knorrige Polenpapst war Jahre vom Tod gezeichnet. Er sah sich von Scheitern, Tod und Sterben umgeben. Zwei Jahre vor seiner Wahl zum Papst schrieb der Kardinal von Krakau Sätze, die heute nichts von ihrer Herausforderung verloren haben: „Die Erde ist ein Friedhof geworden. Wie viele Menschen, so viele Gräber. Ein großer Planet von Gräbern.“