Ein Albtraum in schwarzweiß

Von Volkhard App |
Dankbar wäre man für menschliche Wärme und für Humor von einer nicht-zynischen Art. Aber solche Elemente würden diesen schwarzweiß gemalten Albtraum aus Mord und Prostitution in "Sin City" gefährden. Die Verfilmung nach Comics von Frank Miller bietet dunkle Gestalten statt Superhelden.
Je länger dieser Film dauert, desto stärker wird der Wunsch, das Tageslicht möge in den düsteren Kosmos von "Sin City" einfallen. Geradezu dankbar wäre man für menschliche Wärme und für Humor von einer nicht-zynischen Art. Aber solche Elemente würden diese geschlossene Welt aus Mord und Prostitution gefährden, diesen schwarzweiß gemalten, mit wenigen Farbsprengseln versetzten Albtraum.

Erträglicher wird die Gewaltorgie allenfalls durch die Vorstellung, dass hier eine Comicerzählung verfilmt wurde, die ihrerseits den harten, trivialen Bildergeschichten, den "pulps", huldigt und dem "film noir".

Seit gut zehn Jahren kennen Sprechblasen-Fans dieses Werk Frank Millers in deutscher Übersetzung. Das breite Publikum erfährt jetzt nebenbei, dass "Sin City" eine Comicverfilmung ist. Martin Jurgeit, Chefredakteur der Fachzeitschrift "Comixene", über den besonderen Stellenwert dieses Films:

" Das ist relativ schwierig. Wenn man sich die Optik dieses Films anguckt, dann meint man, dass er mit all seinen Stilisierungen relativ nahe am Comic dran ist. Aber inhaltlich ist er doch ein ganzes Stück von dem entfernt, was man in den letzten Monaten und Jahren mit Comicverfilmungen verbunden hat - das waren Superhelden-Filme wie Batman oder Spiderman. "

Tatsächlich: Unter den vielen Comicverfilmungen dominieren die Superhelden, die - anders als die dunklen Gestalten von "Sin City" - die Zuschauer zur Identifikation einladen.

Ob Fledermausheld, menschliche Spinne oder wütendes grünes Monster, die Erwartungen sind bei solchen Spektakeln hoch.

Jurgeit: " Das Hauptkriterium ist: Fühle ich mich gut unterhalten? Es gibt immer wieder Filme, wo ich nicht mal das behaupten kann. Darüber hinaus ist man als Comicfan daran interessiert, das wiederzufinden, was man aus den Comics kennt. Dadurch unterscheiden sich diese Fans vom Mainstream-Publikum. Umso schöner ist es, wenn - wie bei "Spiderman" - beides zusammenfällt, die Erwartungen der Comicinteressenten und die des Mainstream-Publikums erfüllt werden."

In Erinnerung sind "Spiderman", "Batman" und die "X Men", manch anderer Held wie "Daredevil" ist wieder in der Versenkung verschwunden. Frank Neubauer hat viele "Batman"-Comics ins Deutsche übersetzt. Einige der comicbeseelten Kinofilme mag er besonders, z.B. "Batman Begins":

" Das ist ein guter Regisseur und ein vorzüglicher Hauptdarsteller, der der Batman-Figur wirklich gerecht wird. Auch die "X-Men" darf man nicht vergessen, wenn man heute über moderne Superheldenfilme spricht. Alles in allem geht es aber immer auch ums Merchandising. Diese Filme sind ein zweistündiger Werbeclip für Actionfiguren und Comichefte."

Dass die Filmindustrie so gern zu Superhelden greift, hat mit diesen Verwertungschancen zu tun: Die Heldenfiguren sind dem Publikum längst vertraut, am Markt also bereits etabliert, sind Teil der Kulturgeschichte.

Auch die digitale Technik begünstigt den Boom: die Verwandlungs- und Bewegungsprobleme all dieser Helden und Bösewichte können nun auf elegante Weise gelöst werden: Mitstreiter der Fantastic Four strecken ihre Gliedmaßen meterweit oder verwandeln sich blitzschnell in eine fliegende Fackel, Batman turnt atemberaubend über die Dächer, Spiderman schwingt an selbstproduzierten Netzen durch die Häuserschluchten, während Dr. Octopus, sein Erzfeind, schwindelerregend an den Fassaden emporklettert. Vor allem aber waren die heutigen Filmemacher selber leidenschaftliche Comicleser.

Neubauer: " Heute erhalten Regisseure von den Studios sehr viel Geld, um die Seifenblasen ihrer Jugend auf der großen Leinwand platzen zu lassen. Und die als Kinder diese Hefte früher unter der Bettdecke lasen, gehen heute ins Kino und schauen sich die Abenteuer dort an."

Dass es das große Publikum überhaupt nach Superhelden verlangt, hat mit dem eigenen Wunsch zu tun, über sich hinauszuwachsen, die täglichen Kämpfe zu bestehen und gelegentlich sogar Wunder zu vollbringen. Dabei haben diese Figuren sicher auch ihre Sorgen.

In ihrer Alltagsexistenz werden die comicbunten Helden von zwischenmenschlichen Krisen geplagt und von Vorgesetzten gebeutelt, aber das widerspricht dem heroischen Status keineswegs. Die Glaubwürdigkeit dieser Figuren wird dadurch erhöht und die Identifikation erleichtert.

Superhelden - und kein Ende. Demnächst kehrt auf die Leinwand mit "Superman" der Urvater dieser übermächtigen Gestalten zurück, dessen medialer Siegeszug bereits vor mehr als 60 Jahren begann. Ein Welterlöser in blauem Wams und mit rotem Umhang. Was aber dürfen wir im Kino von dem neuen Superman erwarten?

Neubauer: " Was ich gesehen habe, lässt eine im besten Sinne klassische Verfilmung vermuten, das heißt, Kostüm und Figur erinnern an einen Superman, wie man ihn aus den vierziger Jahren kennt. "

Eines dürfte feststehen: Der neue Superman wird sich dank fortgeschrittener Technik nicht mehr so zittrig durch die Lüfte bewegen wie Christopher Reeves Heldenfigur Ende der siebziger Jahre.

Andererseits sind die digitalen Effekte ja nicht alles. Traditionelles Handwerk wie ein gutes Drehbuch bildet immer noch die Grundlage für einen gelungenen Film, wirkliche Einfälle sind gefragt, und auch tiefere Zeitbezüge. Sonst wirkt das lärmende Opus leer und länglich - das Publikum spürt solche Mängel. Oder etwa nicht?