"Ein Absturz der Gesellschaft in den Darwinismus"

Moderation: Birgit Kolkmann |
Der Vorsitzende des Marburger Bundes, Rudolf Henke, hat ein Verbot kommerzieller Beihilfe zur Selbsttötung gefordert. Die provokanten Spiele mit dem kalkulierten Rechtsbruch der Sterbehilfe-Organisation Dignitas in Deutschland müssten unterbunden werden, sagte Henke. Kommerzielle Beihilfe zur Selbsttötung müsse ein Straftatbestand werden.
Birgit Kolkmann: Sie möchte an der Hand eines Menschen sterben, und nicht durch die Hand eines Menschen. Das sagte die evangelische Landesbischöfin Margot Käßmann in einem Interview. Einige sehr schwer kranke Menschen sehen das anders. Sie wünschen sich die helfende Hand des Arztes, der ihnen Gift reicht, um zu sterben.

Was in Deutschland verboten ist, das geht in der Schweiz. Und der Sterbehilfeverein Dignitas macht es möglich, gegen Geld. So starben kürzlich zwei Deutsche in ihrem Auto auf einem Rastplatz. Ein unwürdiges Ende? Der deutsche Ableger von Dignitas, Dignitate, will das auch in Deutschland möglich machen, und einen juristischen Präzedenzfall schaffen. Deswegen will ein pensionierter Berliner Urologe, der stellvertretende Vorsitzende von Dignitate, jetzt einen Sterbewilligen suchen, dem er denn bei der Selbsttötung helfen will. Ärzten ist das schon durch ihren Eid verboten.

Rudolf Henke ist der neue Chef des Marburger Bundes, der die Krankenhausärzte vertritt. Schönen guten Morgen in DeutschlandRadio Kultur.

Rudolf Henke: Guten Morgen, Frau Kolkmann.

Kolkmann: Herr Henke, was hat das mit dem Handwerk und der Kunst des Arztes noch zu tun?

Henke: Nichts. Ich glaube, dass dann, wenn wir die Tötung auf Verlangen, oder die kommerzielle Beihilfe zur Selbsttötung zulassen, dann sorgen wir dafür, dass Menschen sich zu Herren über Leben und Tod anderer machen. Die Hemmschwelle für das Töten sinkt, und so werden wir sehr viel Sorgfalt im Umgang mit dem Leben und sehr viel Respekt vor dem Leben zerstören.

Kolkmann: Sterben in Würde, als Teil des Lebens, das wird immer wieder unterstrichen auch in der Diskussion, wird das allerdings nicht auch von vielen Ärzten verhindert, die das Sterben durch die Apparate-Medizin hinauszögern, qualvolles Leiden also verlängern?

Henke: Also ich glaube, dass es das früher gab, in auch einer solchen Fülle, dass viele Menschen dieses Bild vor Augen haben. Das ist die Herausforderung der Ärzte durch die Einführung der Intensivmedizin gewesen, in der vielleicht auch manchmal das Maß nicht gestimmt hat.

Aber wir haben natürlich inzwischen sehr viel dazugelernt und wir haben in einem Umfang, den ich kaum für möglich gehalten hätte, die Palliativmedizin ausgebaut. Wir haben Hospize, wir haben diesen Weg der Tötung nicht mehr nötig.

Kolkmann: Nun haben ja gerade viele Menschen Angst davor, dass sie nicht schmerzfrei und nicht würdevoll an ihr Ende kommen müssen, auch zu Recht. Denn Sie sprechen zwar an, es gibt Hospize, es gibt Palliativstationen und viel mehr, als noch vor Jahren, aber es gibt bei weitem nicht genug für alle.

Henke: Ja, wir brauchen dort vor allen Dingen eine bessere Ausstattung und bessere Finanzbedingungen. Und wir müssen den Menschen halt mehr Zeit geben, einander zu begleiten. Das ist alles zu stark ökonomisiert, das stimmt, aber dennoch ist das, was wir haben, eine gute Alternative dazu, einen ständigen Druck auf Kranke zu schaffen, sich das Leben zu nehmen oder nehmen zu lassen. Und das passiert ja mit den Aktivitäten, die Dignitate praktiziert.

Kolkmann: Wenn aber das medizinische System noch nicht genügend Alternativen der positiven Art, wie eben beschrieben, anbietet, ist das medizinische System dann auch Schuld daran, dass die Sterbehilfevereine wie Dignitas oder eben Dignitate etablieren können?

Henke: Ich glaube, dass die Gesellschaft eine Debatte führt, in der wir als Ärzte Partei ergreifen sollten für das Leben. Wir wollen eine Gesellschaft, in der die Menschen einander helfen zu leben, und deshalb müssen Ärzte so wirksam wie möglich für die Hilfe zum Leben sorgen. Und man würde diesen Sinn des Berufs zerstören, wenn die Ärzte damit beginnen, absichtlich zu töten.

Wir wollen diese Lizenz zum Töten nicht, sie ist im Übrigen auch eine Scheinlösung, denn sie wird ja gar nicht zu einer menschlicheren Gesellschaft führen, sondern sie lässt einen ständige Druck auf Kranke entstehen, wenn man sich das Leben offiziell nehmen lassen darf, oder wenn man sich dabei helfen lassen darf und darauf Anspruch hat, dann entsteht ein ständiger Druck auf Kranke, sich das Leben zu nehmen, oder nehmen zu lassen. Und das ist ein Absturz dieser Gesellschaft in den Darwinismus.

Kolkmann: Ein Verbot von Dignitas oder Dignitate wird ja nun auch erwogen. Es ist die Forderung zum Beispiel des Chefs der Bundesärztekammer, Dietrich Hoppe. Macht das die Sache dann erst nicht richtig interessant?

Henke: Ja, also ich glaube, worum es geht, ist, dass man die kommerzielle Beihilfe zur Selbsttötung auf jeden Fall verbieten muss. Und man muss auch die provokanten Spiele mit dem kalkulierten Rechtsbruch, der jetzt vorgesehen ist, unterbinden. Deswegen unterstütze ich Jörg Hoppe in der Aussage, wir müssen den Dignitate-Aktivisten in Deutschland das Handwerk legen. Das wird ja auch von führenden Innenpolitikern der Bundeskoalition offensichtlich so anerkannt.

Also wir wollen, dass man die Aktivitäten von Dignitate unterbindet und dass man eine kommerzielle Beihilfe zur Selbsttötung in Deutschland als Straftatbestand schafft. Aber wir sind damit da nicht in der Lösung des Problems fertig, sondern wir müssen die Palliativmedizin, wir müssen die Hilfe in den Hospizen stärken und wir müssen auch in dieser Gesellschaft die Kultur unterlassener Hilfeleistung irgendwie wegbringen.

Wir müssen zurückkehren dazu, dass der eine Mensch immer ein Stück für den anderen da ist, und dass diese Einsamkeit, aus der Menschen den Weg in die Selbsttötung wählen, überwunden wird. Das ist doch furchtbar, wenn ich Angst davor habe, als schwer Kranker, mir von Fremden helfen zu lassen, weil ich vielleicht keine eigenen Angehörigen mehr habe. Was ist das für eine Gesellschaft geworden?

Kolkmann: Waren Sie schon einmal in der Situation, dass ein Mensch Sie als Arzt gebeten hat, ihn von seinen Leiden zu erlösen?

Henke: Ja, ich bin ja viele Jahre als Oberarzt und als Assistenzarzt in einem Krankenhaus tätig und ich habe viele Jahre vor meinem Landtagsmandat auch in der Oberarztfunktion vor diesem Problem gestanden. Und die Erfahrung war eigentlich, dass das immer ein Hilferuf ist. Und dass es immer darauf hinweist, dass die Situation dieses Menschen für ihn unerträglich ist.

Und meine Erfahrung ist, dass dann, wenn man sich stärker darum bemüht, den Betreffenden dann zu helfen, in seiner Einsamkeit zu helfen, in seinem Wunsch danach, vielleicht irgendwelche unerledigten Dinge noch mal zu regeln und eben auch in der körperlichen Schmerzbefreiung, in der körperlichen Hilfe gegen Übelkeit, gegen Luftnot und dergleichen, dass dann dieser Wunsch, getötet zu werden verschwindet. Wenn Begleitung erfolgt und wenn sich der Mensch dem Menschen stellt. Aber ich schließe nicht aus, dass ich dabei auch persönliche Versäumnisse auf mich geladen habe. Das wird jedem Arzt so gehen.