"Ein absolutes Vorbild"

Hermann Otto Solms im Gespräch mit Nana Brink |
Bundestagsvizepräsident Hermann Otto Solms hat den Tod seines Parteikollegen Otto Graf Lambsdorff als einen schweren Verlust bezeichnet. Lambsdorff habe wie kaum ein anderer die FDP geprägt, sagte der Liberale.
Nana Brink: Einer der letzten großen alten Männer der FDP ist tot. Am Samstag starb Otto Graf Lambsdorff im Alter von 82 Jahren. Ein Viertel Jahrhundert lang hat der Markgraf die politischen Geschicke Deutschlands mitbestimmt. Seit 1951 war er FDP-Mitglied, von ’72 bis ’98 saß er im Bundestag, war Wirtschaftsminister unter Bundeskanzler Helmut Schmidt und bereitete dann die Wende der FDP zur CDU vor.

Und er war der erste Vorsitzende der geeinten liberalen Partei 1990. Wir sind jetzt verbunden mit dem FDP-Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages, Hermann Otto Solms. Schönen guten Morgen, Herr Solms.

Hermann Otto Solms: Guten Morgen, Frau Brink.

Brink: Mit Otto Graf Lambsdorff verliert die FDP eine ihrer großen Gestalten. Wie schwer wiegt der Verlust?

Solms: Das ist ein schwerer Verlust für die FDP. Lambsdorff hat ja wie kaum ein anderer die FDP geprägt in den letzten Jahrzehnten, und er war für viele Politiker in der FDP ein absolutes Vorbild in dieser Gradlinigkeit, Offenheit, manchmal bis zur Schroffheit reichenden Ehrlichkeit, die ihn geprägt hat.

Brink: 26 Jahre saß Otto Graf Lambsdorff für die FDP im Bundestag. Sie saßen zusammen mit ihm lange in der Fraktion. Wie haben Sie Lambsdorff erlebt?

Solms: Lambsdorff war jemand, der absolut prinzipientreu war. Auch wenn er dafür von seinen politischen Gegnern heftig kritisiert wurde, hat er auch bei diesen dafür eine große Anerkennung bekommen und gefunden. Diese Prinzipientreue, mit der er gearbeitet hat und die ihn ausgezeichnet hat, hat sich natürlich auch auf die Kultur innerhalb der FDP ausgewirkt - bis heute.

Sie hat, glaube ich, im Wesentlichen dazu beigetragen, dass die FDP sich auf die Grundprinzipien liberaler Gesellschaftspolitik besonnen hat und heute wieder ein so geschärftes Profil hat, was zu diesem großen Wahlergebnis am 27. September beigetragen hat.

Brink: Dann hat er also Recht behalten. Otto Graf Lambsdorff hatte ja zusammen mit Dietrich Genscher den Seitenwechsel der FDP weg von den Sozialdemokraten hin zur CDU 1982 mit vorbereitet. Die FDP regiert nun wieder mit der CDU. Hat er Recht behalten?

Solms: Politik ändert sich im Laufe der Zeiten immer. Eine Koalition, die in einer Zeit richtig ist, muss in der nächsten nicht ebenso richtig sein. Aber damals, 1982, war der Wechsel unvermeidlich. Ich erinnere an das Lambsdorff-Papier, was er ja aufgeschrieben hat im Auftrag vom damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt, in dem er zum Ausdruck gebracht hat, was nach seiner Meinung geändert werden muss, damit wir aus der damaligen Wirtschaftskrise herausfinden könnten.

Die SPD war nicht bereit, diese Politik mitzumachen, und deswegen war der Wechsel damals unvermeidlich. Das hat übrigens dann in Zusammenarbeit mit Gerhard Stoltenberg als Finanzminister und Norbert Blüm als Arbeits- und Sozialminister dazu geführt, dass tatsächlich in den 80er-Jahren eine Renaissance sozialer Marktwirtschaft stattfinden konnte und sich die wirtschaftlichen Verhältnisse und insbesondere auf dem Arbeitsmarkt bis zum Ende des Jahrzehnts drastisch verbessern konnten.

Brink: Lambsdorff hat Höhen und Tiefen in seiner politischen Karriere erlebt. Er war unbestritten in den 80er-Jahren ja einer der führenden Köpfe. Aber in diese Zeit fällt dann auch ein Schatten auf die Biografie des Wirtschaftsministers Lambsdorff in der Ära Kohl. Die Flick-Affäre brachte ihn in Bedrängnis. Er wurde zwar vom Vorwurf der Bestechlichkeit freigesprochen, aber wegen Steuerhinterziehung verurteilt. Ein Schatten, der nie wirklich verflogen ist?

Solms: Es war ein Schatten. Er stammt allerdings aus den 70er-Jahren, und man muss immer in Erinnerung rufen, dass es damals ja keine Parteiengesetzgebung gab, die die Prinzipien, mit denen die Parteien auch ihre Spendenwerbung betrieben haben, festgelegt hätte. Die Parteiengesetzgebung ist ja dann erst Anfang der 80er-Jahre zu Stande gekommen. Also er ist verurteilt worden in einer Zeit der "relativen Rechtlosigkeit".

Trotzdem: Es war ein Makel, er hat das zugegeben, und er hat mit dazu beigetragen dann, dass die Partei sich anschließend – übrigens die anderen Parteien auch – an die Grundsätze der Parteiengesetzgebung gehalten hat.

Brink: Otto Graf Lambsdorff schaffte 2000, was keinem vor ihm gelungen war, nämlich ein Abkommen zur Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern. Es war eine sehr heikle Mission zwischen den USA, den Opferverbänden und der deutschen Wirtschaft, den er da ausgehandelt hat. Sein vielleicht größter Erfolg am Ende der Karriere?

Solms: Es war für ihn eine große Befriedigung, diese Aufgabe für die Bundesrepublik wahrnehmen zu können, vielleicht auch ein kleines Stückchen Wiedergutmachung. Jedenfalls ist ihm etwas gelungen, was vorher zu scheitern drohte, einen Konsens herbeizuführen, um einen Fonds zu schaffen in Höhe von zehn Milliarden zum Ausgleich für frühere Zwangsarbeiter aus der NS-Diktatur, und ich glaube, das hat ihm insbesondere auch international ganz besonderes Ansehen eingetragen.

Brink: Wo wird er Ihnen am meisten fehlen?

Solms: Er wird mir fehlen und uns fehlen als stetiger Mahner und Ratgeber gerade im Hinblick darauf, dass wir die Grundprinzipien einer liberalen Gesellschaftsordnung einhalten müssen. Das gilt nicht nur für die soziale Marktwirtschaft, das gilt auch für seinen Einsatz zur Verteidigung der Bürger- und Menschenrechte.

Ich erinnere daran, dass er sich ja entschieden gegen die Einführung des Lauschangriffes ausgesprochen hatte. Beide Teile, nämlich die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft und die Verteidigung der Bürgerrechte waren für ihn eine Einheit, und das sollten sie auch für die FDP in Zukunft sein.

Brink: FDP-Vizepräsident des Deutschen Bundestages, Hermann Otto Solms. Wir sprachen mit ihm über den Tod von Otto Graf Lambsdorff. Schönen Dank für das Gespräch.

Solms: Vielen Dank.