Ein "abenteuerliches" Geschäftsgebaren

Moderation: Dieter Kassel |
Die Leiterin des Berliner Verlags "Friedenauer Presse", Katharina Wagenbach-Wolff, hat die Verkaufspraxis von Großbuchhandlungen scharf kritisiert. Es sei "abenteuerlich", wenn Buchhandlungen Verlage dazu aufforderten, Verkaufflächen zu mieten, sagte Wagenbach-Wolff. Präsentationsfläche zur Verfügung zu stellen, sei Sache der Geschäfte und nicht die der Verlage, betonte sie.
Kassel: Die Buchhandelskette Thalia hat einen Brief verschickt, in dem sie mitteilt, dass die etwa 100 großen Verlage, die diesen Brief bekommen haben, sich künftig an den Umbaukosten der Thalia-Buchhandlungen und auch an den Kosten für die Eröffnung neuer Filialen beteiligen sollen. Wir haben deshalb in unserer Reihe "Strukturwandel im deutschen Buchhandel" schon mit dem Geschäftsführer von Thalia geredet, mit dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels und jetzt begrüße ich bei mir im Studio Katharina Wagenbach-Wolff vom kleinen Berliner Verlag Friedenauer Presse.

Frau Wagenbach-Wolff, bei Ihnen erscheinen spezielle Werke von manchmal auch sehr bekannten Autoren, viele Russen haben Sie dabei, Tschechow, Turgenew, erwähne ich mal, Enzensberger, Charles Darwin, da haben Sie Tagebücher im Moment und vieles andere. Sie aber haben natürlich diesen ominösen Brief der Thalia-Kette gar nicht bekommen, weil Sie ja zu klein sind aus deren Sicht. Sind Sie ganz froh, dass Sie diesen Brief nicht bekommen haben, oder merken Sie da auch wieder, wie sehr Sie außen vor sind?

Wagenbach-Wolff: Nein, ich habe natürlich mich gewundert, dass ich ihn nicht bekommen habe, aber für den Koordinator des Einkaufs bei Thalia bin ich wohl also nicht interessant. Sehr zu meiner Verwunderung habe ich darauf hin mal auf meine Buchhandelskundenliste geschaut und lese mehrfach den Namen Thalia. Das hat mich überrascht, und ich habe dann gedacht, was ist das, warum bin ich so uninteressant für Thalia, wo ich doch also nun offenbar an die auch Bücher verkaufe? Das hängt damit zusammen, dass Thalia also offenbar zweispurig arbeitet, so scheint es mir, so erkläre ich es mir, ich habe da nicht so großen Einblick, das müssen Sie natürlich verstehen, weil meine Vertreter bei Thalia auch keinen Eingang finden für mich. Das liegt aber daran, dass also doch bei Thalia es Buchhändler gibt, die sich engagieren, die sich dafür auch interessieren, was kleinere Verlage machen, also so erkläre ich mir das, und eben auf ihr eigenes Risiko Bücher von mir beziehen.

Kassel: Thalia ist ja in dem Sinne auch fast schon eine positive Ausnahme. Wir wollen ja auch nicht schimpfen auf diese Kette, denn ich glaube, es gibt 105 Thalia-Filialen in Deutschland, und da sind in der Tat - das ist vielleicht auch der Grund für dieses Phänomen, das Sie beschrieben haben - die jeweiligen Leiter der einzelnen Filialen noch relativ selbständig und dürfen in gewissen Grenzen bestimmen, was da liegt. Wie ist es mit anderen großen Ketten? Gibt es große Buchhändler, wo Sie einfach wissen, als Friedenauer Presse kommen Sie gar nicht rein?

Wagenbach-Wolff: Ja, das weiß ich. Dazu zählt Gondrom. Thalia hat Gondrom gerade aufgekauft. Das hat zu großem Ärger und auch zu Verängstigung geführt im südwestdeutschen Raum. Das ist klar, das ist eben dieser Teil der Boulevardbuchhandlungen, die Thalia ja auch betreut oder auch vereinnahmt hat, die kommen für mich überhaupt nicht in Frage, das ist ganz klar. Was für mich wichtig ist, das sind eben diese Übernahmen der – ich bedaure das natürlich, aber nun ist es so, der Markt hat es eben so bestimmt -, die Übernahme von einzelnen literarischen Buchhandlungen, wie zum Beispiel in Erlangen die Buchhandlung Merkel. Das sind Buchhandlungen, die doch die Tradition versuchen fortzusetzen. Ob das jetzt die Politik von Thalia ist, vermag ich nicht zu sagen. Ich weiß nur, dass da Buchhändler sind, die eben einfach gar nicht anders können, als dass sie eben ihre Absichten verfolgen.

Kassel: Nun zeichnen manche, die in die Zukunft gucken, was wir alle nicht können, aber manche tun das trotzdem, ein sehr trauriges Bild, was diesen berühmten Strukturwandel angeht. Manche sagen, es wird einmal den Online-Handel natürlich geben, der wächst ja mit Büchern, und es wird noch einige wenige große Ketten geben, neben Thalia vielleicht noch Hugendubel, die Meyersche, und all die Kleinen, wenn sie sich nicht sehr spezialisieren, werden komplett verschwinden, die kleinen Buchhandlungen, die einzelnen. Fürchten Sie das auch?

Wagenbach-Wolff: Nein, ich fürchte es eigentlich nicht, weil es doch immer noch Leser gibt, und auch junge Leser gibt, die gerne in eine Buchhandlung gehen, in der sie gut beraten werden, wo sie Auskünfte erhalten, und ich glaube, das ist von einer solchen Wichtigkeit, und auf das baue ich eigentlich auch, auf diese Nischenbuchhandlungen, die sich natürlich dann so bilden, aber da kommt es natürlich auf die einzelne Person an oder die einzelnen Personen, die Buchhändler, die dort sind, und ich glaube, dass die für wirkliche Leser notwendig sind. Um das mal ins Bild zu setzen, also erst kommt der Zahnarzt, dann der Pastor und dann kommt der Buchhändler, würde ich sagen, und darauf baue ich und dem vertraue ich sehr.

Kassel: Glauben Sie, dass es da dann auch genug buchhändlerischen Nachwuchs gibt? Denn das sind oftmals auch ältere Leute.

Wagenbach-Wolff: Ja, das ist ein ganz wichtiger Punkt, und da höre ich auch, dass sogar die Großbuchhandlungen doch da mitziehen und auch Buchhändler ausbilden, junge Schüler, die dann eben von der Schule kommen und eben eine Lehre beginnen. Ich halte sehr viel von Lehren, also heute heißt es ja Ausbildung. Alle meine mir wichtigen und mit mir befreundeten Kollegen haben so eine Ausbildung hinter sich, und deren Verdienste, die führe ich darauf zurück, dass sie wirklich als Lehrlinge angefangen haben, bei uns zu meiner Zeit hieß das noch Lehrling, und das ist ein ganz wichtiger Punkt und wirklich auch ein Appell an alle, an die Großen und auch an die Kleineren, dass sie an den Nachwuchs denken.

Kassel: Kommen wir trotzdem noch einmal kurz auf diese, ich sage es mal sehr neutral, eigenartigen Gepflogenheiten, die es zum Teil inzwischen gibt, zwischen großen Verlagen und großen Buchhandelsketten. Auch der Geschäftsführer von Thalia hat gesagt, das gibt es, natürlich eigentlich nicht bei ihm, dass wirklich Verlage meterweise Regalplatz kaufen, also dass die wirklich sagen, vier Meter Regal in Ihrer Buchhandlung kaufen wir, zahlen also dafür Geld, das bedeutet das Wort kaufen ja, und können dann dort ihre Bücher aufstellen. Wir können uns darauf einigen, das gibt es, wir wollen ja nicht konkret sagen, wer das macht. Was halten Sie denn von solchen Gepflogenheiten?

Wagenbach-Wolff: Finde ich abenteuerlich, und das ist eine Übertragung und eine Zumutung für Verlage. Das muss auch gar nicht sein. Eine gute Buchhandlung hat eine spezielle Abteilung oder Räume oder Regale für bestimmte Bücher, sie sortieren das sowieso schon danach, und ich finde es also nicht rechtens, dass man sich da einkauft. Das ist Sache des Buchhändlers, wie er das macht. Es gibt Gott sei Dank doch auch Großbuchhandlungen, die inzwischen einzelne Regale haben für die Verlage, und die pflegen und ergänzen, das ist nicht Sache des Verlages, das ist Sache des Buchhändlers, und sich da nun einzukaufen, also das erinnert mich an den Lebensmittelhandel, in dem ja auch, glaube ich, die Firma Maggi usw. sich Regale kauft und dort also ihre Sachen, ihre Produkte ausstellt. Das widerstrebt mir und ist für mich auch überhaupt nicht möglich.

Ich muss Ihnen aber sagen, es gibt Buchhandlungen, die ein Regal mit der Friedenauer Presse haben, und es funktioniert wunderbar. Wir haben hier in Berlin eine Großbuchhandlung, die hat jetzt eine bibliophile Abteilung eingerichtet. Die Käufer, die in diesen großen Raum kommen und da eben diese Stapel von Büchern sehen, sich gerne zurückziehen möchten und nachlesen möchten und eben auch diese besonderen Bücher suchen, die literarischen, anspruchsvollen Bücher, die ziehen sich in diese bibliophile Abteilung zurück, und da sind Regale mit Manesse und Faber & Faber und dieser Bibliothek Suhrkamp, da ist Wagenbach, da ist die Friedenauer Presse, und sie wissen, da finden wir die Bücher.

Kassel: Wer ist denn aber an dieser doch schlimmen Entwicklung, es hat ja angefangen offenbar mit ein paar Meter Regalplatz, die man kaufen konnte, und jetzt, das ist auch der Anlass für unser Gespräch, jetzt ist es so weit, dass Verlage Umbauten in Buchhandlungen bezahlen sollen, der Mann von Thalia hat auch zugegeben, der kann sich das gut vorstellen, dass sie dann ihre eigene Rowohlt-Ecke, Rowohlt ist Zufall jetzt, aber ein Großverlag seine eigene Ecke kriegt, muss aber auch die Ecke selber bezahlen, und dann müssen sie sie wahrscheinlich selber anstreichen. Sind da die Buchhandlungen schuld oder auch die großen Verlage, die offenbar bereit sind, so etwas zu machen?

Wagenbach-Wolff: Also bedauerlich, kann ich nur sagen, schwer zusammenzufassen. Ich möchte es eigentlich nur unter dem Namen des unzivilisierten Kapitalismus bezeichnen, weil Sie können, wenn Sie Bücher verkaufen, keinen Gewinn von 10 bis 15 Prozent erreichen. Das ist nicht möglich mit diesem Produkt, wenn ich es mal so nennen darf, was mir ein bisschen widerstrebt. Aber das geht nicht, und diese Firmen versuchen das zu erreichen, weil dahinter wie auch bei Thalia eben natürlich Aktiengesellschaften stehen, und die müssen eben so denken und arbeiten. Aber sie werden es nicht erreichen. Das sind Methoden, die einfach dem widerstreben, das geht nicht. Das ist unzivilisiert, ich kann es nicht anders bezeichnen.

Kassel: Viele kleine Verlage, und ich glaube, auch gerade auch der Ihre, die Friedenauer Presse, leben ja auch davon, dass es Menschen gibt, die tatsächlich für diese Verlage leben. Sie tun das ja, das ist für Sie keine Geldquelle. Sie sind sicherlich mit Ihrem Verlag keine Millionärin geworden. Machen Sie sich Sorgen, wenn dieser Strukturwandel, nehmen wir mal dieses komplexe Wort weg, einfach diese Konzentration, immer mehr ganz große Buchhandelsketten, online natürlich auch, riesige Anbieter, und immer mehr ganz große Verlage, da gibt es auch Zusammenschlüsse, wenn man sich Random-House zum Beispiel anguckt, so etwas wäre vor einigen Jahren, wären es noch 40 verschiedene Verlage gewesen, jetzt ist es einer. Machen Sie sich Sorgen, dass diese Nischen für kleine Verlage und eben dann auch ihre Bücher irgendwann nicht mehr da sein werden?

Wagenbach-Wolff: Ja, also ich bin immer noch Idealistin, und die Sorge stellt sich nicht so ein Gott sei Dank. Es gibt sicher Tage, wo man sehr niedergeschlagen ist und denkt, mein Gott, wie soll es gehen, und es kommt einem etwas in die Quere, oder eben eine große Buchhandlung schmeißt den Vertreter raus, lässt ihn gar nicht rein, das ist dann immer sehr deprimierend, aber es ist dann, wenn ich ein gutes Manuskript in der Hand habe, das baut wieder auf, und das ermutigt.

Kassel: Vielen Dank für das Gespräch.
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