Eilentscheid zum Wahlrecht für Behinderte

Kampf für mehr Teilhabe in der Politik

07:50 Minuten
Zwei Personen gehen in eienm Wahllokal auf die Wahlkabinen zu.
Christian Specht vom Verein Lebenshilfe plädiert für ein Wahlrecht für Menschen mit Behinderungen schon zur Europawahl. © imago images / photothek / Ute Grabowsky
Christian Specht im Gespräch mit Liane von Billerbeck  · 15.04.2019
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Das Bundesverfassungsgericht entscheidet heute, ob Menschen mit Behinderungen in Vollbetreuung bei der Europawahl abstimmen dürfen. Christian Specht vom Verein Lebenshilfe hofft auf ihre stärkere Beteiligung an der Politik und kritisiert die Parteien.
Die UN-Behindertenrechtskonvention sieht ein Wahlrecht für Menschen mit Behinderungen in Vollbetreuung schon lange vor. Auch das Bundesverfassungsgericht hatte Anfang des Jahres entschieden, dass es mit dem deutschen Grundgesetz unvereinbar ist, sie von Wahlen auszuschließen. Der Bundestag beschloss daraufhin zwar die Einführung eines inklusiven Wahlrechts, das aber nach dem Willen der großen Koalition erst ab dem 1. Juli in Kraft treten sollte, also nach der Europawahl im Mai.
Grüne, FDP und Linke haben deshalb einen Eilantrag eingebracht, über den das Bundesverfassungsgericht am heutigen Montag entscheidet. Sie wollen, dass die 85.000 Betroffenen schon bei der Europawahl mitwählen können.

Kritik an der Politik

Für die Betroffenen wäre es sehr schade, wenn sie bei der Europawahl nicht mitwählen könnten, sagte Christian Specht vom Verein Lebenshilfe im Deutschlandfunk Kultur. Er bedauere, dass die Politik Menschen mit Behinderungen nicht ausreichend ernst nehme. "Das erlebe ich auch in den Parteien und im Bundestag, da sind kaum Menschen mit Behinderungen", sagte Specht. Er habe selbst bei der letzten Bundestagswahl die Erfahrung gemacht, dass seine Begleitperson nicht mit in die Wahlkabine kommen konnte, auf deren Unterstützung er eigentlich angewiesen sei.

Aufbau eines Behindertenparlaments

Specht sagte, er fände es gut, wenn Behinderte auch an der aktiven Politik mehr teilnehmen könnten. In Berlin baue er deshalb nach dem Bremer Vorbild derzeit ein Behindertenparlament auf. Das sei ein erster Schritt, um Anträge dann an das Berliner Abgeordnetenhaus zu stellen: "Dann werden wir auch wahrgenommen."
(gem)

Aktualisierung:
Das Bundesverfassungsgericht hat am 15. April 2019 entschieden, dass Menschen mit einer gerichtlich bestellten Betreuung das Wahlrecht bereits zur Europawahl am 26. Mai 2019 bekommen.
Das ist deutlich früher, als die Bundestagsmehrheit ursprünglich vorgesehen hatte. Betroffen sind Menschen, die in allen Angelegenheiten betreut werden müssen, etwa wegen geistiger Behinderung, psychischer Erkrankung oder weil sie wegen Schuldunfähigkeit in einer psychiatrischen Klinik sitzen. Sie müssen allerdings für die Teilnahme an der Europawahl einen gesonderten Antrag stellen. (Quelle: dpa)

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