Eichel plädiert für Zwang zur privaten Altersvorsorge
Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) hat sich für eine gesetzliche Verpflichtung zur privaten Altersvorsorge ausgesprochen. Bisher würden vor allem Menschen mit kleinem Einkommen keine Vorsorge fürs Alter schaffen. Daran habe sich trotz hoher Steuerzuschüsse nichts geändert. Damit würde jedoch das Risiko der Altersarmut steigen. Deshalb glaube er, dass man bei der Revision der Gesetzgebung um eine Verpflichtung nicht herum kommen werde.
Deutschlandradio Kultur: Keine Wahl ohne Kampf, Herr Eichel, und Sie stecken ja auch schon mitten im Wahlkampf - obwohl das Bundesverfassungsgericht ja noch nicht gesprochen hat. Der politische Kampf aber dürfte Ihnen besonders vertraut sein, denn man hat den Eindruck, dass kaum ein Mitglied des Kabinetts Schröder in den vergangenen Jahren so hart hat kämpfen müssen wie Sie.
Eichel: Ja, sicher. Wenn das Geld fehlt, wenn die Konjunktur nicht läuft, dann haben Sie besondere Probleme und übrigens nicht nur im Haushalt, in den sozialen Sicherungssystemen ganz genau so. Aber da alle erwarten, dass irgendwie gezahlt wird, landen am Schluss alle Probleme im Bundeshaushalt.
Deutschlandradio Kultur: Es gab ja nicht nur zahllose Rücktritts-Forderungen an Sie, sondern auch immer wieder Rücktritts-Gerüchte. Das kann doch nicht spurlos an Ihnen vorüber gegangen sein, oder?
Eichel: (Lacht) Sehen Sie, das ist die Sache mit den Gerüchten. Ich weiß nicht, wer sie erfunden hat, aber die habe ich nun noch nie ernst genommen. Forderungen kenne ich von der verehrten Opposition, ich wäre auch dafür, dass eine Reihe CDU-Ministerpräsidenten zurücktritt, all die, die im Bundesrat meine Vorschläge zur Verbesserung der Staatsfinanzen blockiert haben, und damit ihre eigenen Landeshaushalte auch noch ruiniert. Aber, die würden auch nicht zurücktreten, wenn ich es von ihnen verlange, so wenig trete ich zurück, wenn die Opposition es von mir verlangt.
Deutschlandradio Kultur: Blicken wir doch mal zurück auf die Zeit 1999 bis 2001. Ich glaube, das ist wahrscheinlich für Sie eine Zeit, da können Sie nur schmunzeln und sich nur freuen, wenn Sie Revue passieren lassen, was da über Sie geschrieben wurde, da sind Sie wirklich gelobt worden querbeet, ab 2002 dann hat sich das Bild so richtig gedreht. Kränkt es Sie persönlich, wenn man also mit Sparhans und wer weiß welchen Superlativen bedacht wird, und dann …
Eichel: … Ja, der Hans im Glück. Aber die kannten natürlich alle Grimms Märchen nicht, die das geschrieben haben, denn in Grimms Märchen ist es ja so, dass der Hans im Glück’ mit einem Goldklumpen anfängt und hinterher nichts hat. Und die Moral …
Deutschlandradio Kultur: Das ist bei Ihnen doch ähnlich!
Eichel: Lacht) Jetzt kommt aber keiner mehr auf die Idee, mich als Hans im Glück zu bezeichnen, daran sehen Sie, dass man die Märchen kennen muss. Und die Moral von der Geschichte ist ja, dass man auch ohne Geld glücklich sein kann, eine schöne Moral, aber gewiss kein Arbeitsmotto für den Finanzminister. Nein, zu schaffen macht einem das sicher, aber als ich so hoch geschrieben wurde, habe ich immer gewusst, das kann gar nicht gut gehen. Ein Finanzminister kann auf Dauer nicht in der Beliebtheitsskala mit ganz vorne stehen, normalerweise steht er hinten, da stehe ich jetzt auch, in der Beliebtheits-Skala der ersten Zehn jedenfalls. Aber es steckt natürlich etwas anderes dahinter. Und da sehen Sie sofort, was die Kehrseite der Entwicklung ist. Ich war erfolgreich mit dem Ziel, die Schulden zurückzuführen als gleichzeitig wir ein ordentliches Wirtschaftswachstum hatten, die Einahmen sprudelten und wir ganz rigide auf der Ausgabenbremse gestanden haben - in der Kombination läuft es. Wir haben auch in den Folgejahren weiter rigide auf der Ausgabenbremse gestanden, inzwischen haben das ja der Sachverständigenrat und auch die Bundesbank anerkannt, aber die Einnahmen kamen nicht mehr.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben zugleich aber auch selbst dafür gesorgt, dass die Einnahmen nicht mehr kommen, indem Sie nämlich die Einkommensteuern gesenkt haben, die Unternehmenssteuern gesenkt haben. Und das zu einer Zeit, als man eigentlich gesehen hat, all dieses Senken von Steuern bringt nicht den erhofften Aufschwung.
Eichel: Nee, das sehen Sie ganz falsch. Entschuldigung, wie kommen Sie denn darauf? Als wir die Steuern gesenkt haben, war es genau umgekehrt wie Sie jetzt sagen. Das ist Klugheit hinterher. Als wir die Steuern gesenkt haben, bin ich dafür kritisiert worden von der Opposition, dass ich sie nicht genug senke. Und gesenkt haben wir sie als wir richtiges Wirtschaftswachstum hatten. Übrigens hat der Sachverständigenrat später auch gesagt, ohne die Steuersenkung wäre das Loch noch viel tiefer gewesen. Das ist falsch, was Sie eben gesagt haben.
Deutschlandradio Kultur: Man kann doch vielleicht sagen, wer gerne das Lob eingesteckt hat von 1999 bis 2001, muss auch die Prügel einstecken. Und kann man nicht leidenschaftslos feststellen – ohne Sie jetzt persönlich angehen zu wollen – dass Sie mit Ihrem Vorhaben - ich zitiere Sie: "Ich bin 1999 angetreten um den Staat aus der Schuldenfalle heraus zu holen" -, dass Sie damit gescheitert sind? Ist das nicht etwas, was Ihnen vielleicht doch auf der Seele liegt?
Eichel: Nein, ich würde es so nicht akzeptieren, denn …
Deutschlandradio Kultur: Aber der Staat ist doch in der Schuldenfalle.
Eichel: Die Schulden, darf ich Sie darauf noch mal hinweisen, sind in den sechzehn Jahren Kohl im Schnitt …
Deutschlandradio Kultur: … aber das war das Ziel was Sie genannt haben, und dieses Ziel haben Sie doch verfehlt.
Eichel: … ich will es noch mal festhalten: im Schnitt jedes Jahr um 35 Milliarden gestiegen, in meiner Zeit bisher um einundzwanzig. Wir sind erfolgreich gewesen, ich war erfolgreich in der Rückführung der Ausgaben. Der Bundeshaushalt beträgt heute noch 11,2 Prozent vom Bruttoinhaltsprodukt, vor zwölf Jahren waren es noch vierzehn Prozent. Das heißt, hätte ich nicht rigide gespart, hätte der Bundeshaushalt jetzt, verglichen mit dem von 1993, jedes Jahr sechzig Milliarden mehr Ausgaben. Was weggeblieben ist – und das war der Konjunktur geschuldet – sind die Einnahmen, und es war geschuldet einer politischen Blockade. Das sind die beiden Ursachen. Die erstere können wir wenig beeinflussen als Regierung – das können Sie ja an der europaweiten Entwicklung sehen -, die zweite aber war der Blockade des Bundesrates geschuldet mit der Folge, dass – das Gespräch könnten Sie ja mal mit den Länderfinanzministern führen – elf Länder verfassungswidrige Haushalte haben.
Deutschlandradio Kultur: Trotzdem, Herr Eichel, irritiert es doch etwas. Sie sagen das ja immer wieder …
Eichel: Das ist die schlichte Wahrheit!
Deutschlandradio Kultur: … die Finanzlage ist so desaströs, erstens wegen der Weltkonjunktur, zweitens wegen der Unionsmehrheit im Bundesrat, die Ihre Sparvorhaben blockiert hat.
Eichel: Nee, nicht die Sparvorhaben, sondern den Abbau der Subventionen im Steuersystem.
Deutschlandradio Kultur: Das ist der korrekte Ausdruck. Trotzdem bleibt doch ein bisschen ein haut gout, wenn der Bundesfinanzminister sagt: Ich bin eigentlich gar nicht verantwortlich für die Situation, die wir haben.
Eichel: Nein, das tue ich überhaupt nicht.
Deutschlandradio Kultur: Haben Sie nicht doch die Befürchtung, dass das, was wir immer beklagen - nämlich dass die Politikverdrossenheit der Bürger so groß ist und dass niemand mehr zur Wahl geht -, durch solche Äußerungen, wenn man sagt "ich habe damit nichts zu tun, das waren immer die anderen" noch befördert wird?
Eichel: Entschuldigung, das ist doch ganz falsch. Ich habe nie gesagt, ich habe damit nichts zu tun, natürlich habe ich damit etwas zu tun. Ich würde ja Ihren Einwand gelten lassen, wenn ich nicht die Wege aufgezeigt hätte. Und deswegen weise ich ganz scharf zurück, was Sie sagen. Gehen Sie zu denen, die es blockiert haben. Wenn ich die Vorschläge nicht gemacht hätte zum Subventionsabbau, die den Weg aus der Schuldenfalle gewiesen haben, dann hätten Sie Recht.
Deutschlandradio Kultur: Aber das Haushaltsloch ist doch größer als das, was man eingespart hätte durch das Streichen der Eigenheimzulage.
Eichel: Inzwischen ja, aber entschuldigen Sie mal, darf ich Sie darauf hinweisen, jedes Jahr, das verstreicht in dem man es nicht macht, macht das Problem größer, es ist wie bei allen Reformen. Aber ich habe 2002 im Herbst ein Gesetz auf den Tisch gelegt, das damals bereits 15,5 Milliarden Euro an Subventionsabbau beinhaltete und davon ist fast nichts übrig geblieben im Bundesrat. Und Sie können doch nicht sagen, der Finanzminister und die Regierung sind schuld, wenn wir eine Verfassung haben, die für die Steuergesetzgebung verlangt, dass die Mehrheit des Bundestages und die Mehrheit des Bundesrates zustimmen. Die Mehrheit des Bundestages hat zugestimmt, das ist nämlich die rot-grüne, die Mehrheit des Bundesrates ist eine CDU/CSU-Mehrheit, und die hat es abgelehnt. Und deswegen sage ich, es ist eine schlichte Fehlinformation der Öffentlichkeit, übrigens auch von den Medien, wenn Sie nicht ganz klar machen, wo die Verantwortlichkeiten liegen.
Deutschlandradio Kultur: Jetzt denken wir das doch mal weiter. Sie sagen, der Bundesrat hat blockiert, was Sie an wichtigen Subventionsabbau-Vorschlägen eingebracht haben, der Kanzler schlägt Neuwahlen vor mit dem Ziel, dass Rot-Grün weiter regiert. An der Konstellation zwischen Bundestag und Bundesrat würde sich absolut nichts ändern. Was bringt Sie denn zu der Auffassung, dass nach einer solchen Wahl der Bundesrat möglicherweise geläutert daher kommt und sagt: "Jawohl, jetzt machen wir alles das, was sie SPD will"?
Eichel: Zwei Gründe: Weil dann die Bevölkerung dem Bundesrat mit einer solchen Wahlentscheidung gezeigt hat, dass sie ein solches Vorgehen nicht akzeptiert. Übrigens ist das ist eine meiner großen Motivationen zu kämpfen. Denn wer sich so verhält, seinen eigenen Landeshaushalt ruiniert, um nur eine parteipolitisch ihm nicht liebsame Bundesregierung in die Grube fallen zu lassen, der kann doch dafür nicht noch belohnt werden!
Deutschlandradio Kultur: Herr Eichel, nennen Sie uns ein Beispiel, warum die CDU geläutert sein sollte.
Eichel: Ich bin doch gerade dran. Ich beantworte doch Ihre Frage, ich weich da nicht aus. Und die Antwort ist ganz einfach. Also das Eine ist, dass dann alle sehen – und das würde in den nächsten Landtagswahlen ja abgestraft -, dass eine solche Haltung nicht akzeptiert wird. Es gibt auch einen viel einfacheren Grund: Die Länder können nicht mehr. Sie müssen sich doch mal vorstellen, in Niedersachsen oder in Nordrhein-Westfalen erklärt die Regierung, bis 2009 legen wir keinen verfassungsgemäßen Haushalt vor. Das ist Verfassungsbruch mit Ansage! Die können alle nicht mehr. Ich kenne übrigens ein paar Ministerpräsidenten der Union, die schon gesagt haben, "natürlich machen wir mit, das geht so nicht mehr weiter". Und deswegen ist es übrigens auch richtig, dass wir Neuwahlen haben, denn anderenfalls hätten wir diese Blockadehaltung bis zur Bundestagswahl im Herbst 2006 gehabt.
Deutschlandradio Kultur: Aber Herr Eichel, ob die Länder noch so weiter machen können oder nicht, ist nach Ihrer Analyse unabhängig davon, ob es in diesem Jahr Wahlen geben wird oder nicht. Man kann doch zumindest festhalten, dass viele in der SPD – Sie jetzt als SPD-Präsidiums- und -Vorstandsmitglied angesprochen – darüber unglücklich sind, dass jetzt Wahlen angesetzt worden sind, weil es Ihnen eben schwer fällt, zu vermitteln, warum man jetzt wählen gehen soll - damit der Zustand so ist wie jetzt? Denn es ist ja nur Wunschdenken zu meinen, dass der Bundesrat sich dann nicht mehr so verhalten kann; wenn er will, kann er das weiterhin tun.
Eichel: Nein, das ist kein Wunschdenken, sondern es werden übrigens auch die Verfassungsgerichte die Landesregierungen zwingen. Die können doch nicht laufend verfassungswidrige …
Deutschlandradio Kultur: Dafür braucht man auch keine Neuwahlen.
Eichel: Doch, weil - hören Sie mal! Eben haben wir doch über politische Praxis geredet. Kurz vor einer Wahl kriegen Sie den Bundesrat, der eine andersfarbige Mehrheit hat, doch nicht dazu, dass er noch Vorschläge der Regierung akzeptiert. Nach einer Wahl sieht die Welt gänzlich anders aus, und zwar, ich sage, egal wer die Wahl gewinnt, die Länder können nicht mehr und werden deswegen ihre Blockadehaltung im Bundesrat aufgeben müssen! Das ist die Situation, in der wir uns befinden. Übrigens ist auch in der SPD gar nicht mehr die Neuwahlfrage umstritten, das war am Anfang so, inzwischen ist die Partei kampfbereit. Ich kennen keinen mehr, der sagt, das ist eine falsche Entscheidung jetzt Neuwahlen zu machen.
Deutschlandradio Kultur: Vielleicht ist die Kampfbereitschaft größer als die Aussichten, die Wahlen zu gewinnen, die SPD liegt unter dreißig Prozent, es gibt einen weiten Abstand Rot-Grün zu Schwarz-Gelb. Hat dieser Vorschlag Neuwahlen anzustreben, nicht eine überfällige Diskussion in Ihrer Partei übertüncht? Der Kanzler muss nicht den Bundestag davon überzeugen, ihm den Rücken zu stärken, hinter ihm zu stehen, sondern die Fraktion musste überzeugt werden, die Partei musste überzeugt werden. Statt diese Auseinandersetzung zu führen wurden Neuwahlen ausgerufen, alles redet nur noch über Neuwahlen, und die Debatte, die eigentlich stattfinden müsste, ist die in der Partei.
Eichel: Nein, ich glaube dass Sie das mit der fälligen Debatte überschätzen. Also, dass es immer auch da und dort Gegrummel gibt, dass es vor dem Hintergrund, dass wir in den Umfragen schlechter sind, dass wir auch Landtagswahlen ordentlich verloren haben, auch in der Partei eine Menge skeptischer Leute haben, ist doch richtig, das ist doch kein Wunder.
Deutschlandradio Kultur: Aber man fragt sich ja schon, wo steht die SPD? Auf der einen Seite wird sie gerügt von der linken Seite für Neoliberalismus, auf der anderen Seite hat man das Gefühl, jetzt hätten sich möglicherweise doch mit ihrer harten, lauten Kritik die Linken in der SPD durchgesetzt. Das heißt, die SPD ist jedenfalls nach außen für den Wähler im Moment nicht klar erkennbar. Ist sie nun neoliberal oder rückt sie doch weiter …
Eichel: Sie war nie neoliberal und ich empfehle einfach, das Wahl-Manifest zu lesen. Wenn ich jetzt den Teil, den wir eben auch ein bisschen kontrovers diskutiert haben, nehme, dann werden Sie im Steuerteil und dem Teil über die Finanzen ganz klare Aussagen finden; zum Beispiel die, dass die Haushaltskonsolidierung ein zentrales Feld der nächsten Wahlperiode ist, dass wir sofort wieder mit dem Abbau von Steuersubventionen beginnen, dass wir eine höhere Steuerquote brauchen - also all das, was ich eben argumentiert habe, finden Sie im SPD-Wahlprogramm.
Deutschlandradio Kultur: Wahlmanifeste sind ja bekanntlich Vorhaben für die Zukunft. Wenn man sich die Bilanz der rot-grünen Regierung ansieht, dann hat man doch den Eindruck, dass Sie genau die Politik gemacht haben, die Sie vorwerfen der FDP vorzuhaben.
Eichel: An welcher Stelle?
Deutschlandradio Kultur: Der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung weist ja nach, dass es mehr Arme gibt in Deutschland, auch mehr Reiche, dass die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinander gegangen ist, die Entlastung der Spitzenverdiener in Deutschland ist so groß wie noch nie, die Zahl der Arbeitslosen…
Eichel: Das ist schlicht falsch, Entschuldigung, Sie transportieren Vorurteile, aber nicht Fakten. Das ist schlicht falsch. Gerade unsere Steuerreform mit dem Abbau der Steuervergünstigung, die wir schon 1999 gemacht haben, hat dazu geführt, dass es die Einkommens-Millionäre, die sich vorher arm rechnen konnten, nicht mehr gibt. Ich will Ihnen ein Beispiel sagen: Finanzamtsbezirk Bad Homburg vor der Höhe, Taunus, dort wohnen die, die in Frankfurt in den Bankentürmen in den oberen Etagen sitzen. 1997: Einkommensteuer negativ, mehr ausgezahlt als eingenommen. Im letzten Jahr: Einkommensteuer 230 Millionen Euro. Die oberen zehn Prozent der Einkommensteuerzahler zahlen 54 Prozent des Steueraufkommens der Einkommensteuer, die unteren 50 Prozent zahlen neun Prozent. Wir haben keine überproportionale Entlastung, das ist schlicht falsch, ist reine Wahlpropaganda der WASG oder der PDS, hat aber nichts mit der Wirklichkeit zu tun.
Deutschlandradio Kultur: Ziehen wir eine kleine finanzpolitische Bilanz nach den sieben Jahren Rot-Grüner Regierung: die Finanzlage ist, Ihr Wort "dramatisch". Der Bund gibt im Moment mehr Geld aus als er einnimmt.
Eichel: Das tut er seit dem Zweiten Weltkrieg, ja.
Deutschlandradio Kultur: Es ist nicht einmal so, dass der Bund – auch das haben Sie immer wieder kritisiert – großzügig investiert, dass man sagen könnte, dieses Defizit ist auch gerechtfertigt und dafür haben wir auf der Ausgabenseite sozusagen nachhaltige Ausgaben. Kann man sagen, dass die Ausgaben für das Falsche draufgehen?
Eichel: Nein, das würde ich deswegen nicht sagen, weil Sie mir dann sagen müssten, an welchen Stellen ich noch kürzen soll. Wir haben dramatisch gekürzt, alle Ausgaben sind gegenüber 1998 massiv zurückgefahren worden mit zwei, drei Ausnahmen. Erstens: Der Rentenzuschuss ist gewachsen, das allerdings ist nicht wirklich eine Haushaltsbelastung, weil wir es gleichzeitig über die Öko-Steuer finanziert haben. Zweitens: die Ausgaben für den Arbeitsmarkt sind ordentlich gewachsen, weil wir wegen der drei Jahre Stagnation eine wesentlich höhere Arbeitslosigkeit haben, und jetzt hat die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe noch mal die Ausgaben ziemlich stark wachsen lassen. Drittens: wir haben an einer Stelle bewusst die Ausgaben erhöht, nämlich für Bildung und Forschung. Die liegen um fast vierzig Prozent höher als 1998, die müssen auch weiter rauf, weil das die eigentlichen Zukunftsinvestitionen sind, die in die Köpfe der Menschen.
Deutschlandradio Kultur: Also ist die Verteilung dann doch nicht richtig? Wenn das meiste Geld für die Renten und für die Arbeitslosen drauf geht - dieses Land ist ja nicht arm -, dann kann man vielleicht sagen, da stimmt was nicht.
Eichel: Ja, die Steuerquote ist zu niedrig, weil der Abbau der Subventionen im Steuersystem nicht gelungen ist. Mir zeigt keiner mehr – es sei denn, er will dramatische Einschnitte ins soziale Netz machen – wo im Bundeshaushalt, kleine Sachen gibt’s immer, noch wirklich eingespart werden könnte. Wir haben mehr gespart als fast alle anderen westeuropäischen Länder. Das Problem ist jetzt, wir haben die zweitniedrigste Steuerquote der Europäischen Union, wir haben auch weltweit eine der niedrigsten, weswegen der Sachverständigenrat selber sagt, da gibt es wirklich keinen Grund, noch Steuern zu senken, wie fast alle Parteien außer der SPD versprechen. In Wirklichkeit brauchen wir durch Abbau der Subventionen im Steuersystem, was übrigens die eigentliche Vereinfachung des Steuersystems ist, eine höhere Steuerquote.
Deutschlandradio Kultur: Oder ’ran an die Renten?
Eichel: Na hören Sie mal, wir haben den Nachhaltigkeitsfaktor eingeführt, wir haben Null-Runden gemacht, wir haben den Rentnern aufgegeben, die Pflegeversicherungsbeiträge komplett allein zu bezahlen, wir haben die Betriebsrenten in die Krankenversicherungsbeiträge einbezogen. Es hat noch nie einer so viel getan wie wir. Also möchte ich von Ihnen wissen, wenn Sie so eine Frage stellen, ob Sie glauben …
Deutschlandradio Kultur: Also, auch da würden Sie sagen road’s end bei den Renten?
Eichel: Da ist zurzeit wirklich nichts weiter zu tun.
Deutschlandradio Kultur: Kleine Nachfrage zu den Renten, Herr Eichel. Es wird ja in diesen Tagen viel darüber diskutiert, dass offensichtlich viele Deutsche nicht genügend vorsorgen für das Alter und vielen ein Alter in Armut droht. Wären Sie dafür, einen Zwang zur privaten Zusatzversicherung einzuführen?
Eichel: Das war der ursprüngliche Vorschlag von Walter Riester. Im Gesetz haben wir vorgesehen, dass wir nach einer bestimmten Zeit überprüfen, ob diese Vorsorge auch angenommen wird und dann neu entscheiden, ob das verpflichtend gemacht werden muss oder nicht. Ich glaube, dass wir in der nächsten Wahlperiode genau an diese Frage kommen. Ich bin strikt dagegen dass wir, was wir nun wirklich gelöst haben, wieder in Altersarmut kommen. Und wenn es nicht trotz hoher Steuerzuschüsse am unteren Ende - es sind die Leute mit kleinen Einkommen, die es nicht machen - nicht gemacht wird, glaube ich, wird man in der Revision der Gesetzgebung auch um die Verpflichtung nicht herumkommen. Das wäre jedenfalls meine persönliche Position.
Deutschlandradio Kultur: Aber Sie wären dafür, diesen Zwang einzuführen?
Eichel: Wenn da in den nächsten zwei, drei Jahren bis zur Mitte der nächsten Legislaturperiode im Verhalten nicht grundlegend sich etwas ändert, dann glaube ich, muss die Politik reagieren. Wir haben ja doch bewusst die Rentner aus der Sozialhilfe herausgeholt mit der Grundsicherung. Wir wollen nicht, dass wir eine solche Situation wieder bekommen.
Das Gespräch wurde geführt von Susanne Führer und Sabine Adler.
Hans Eichel wird am 24. Dezember 1941 in Kassel geboren. Zum zweiten Mal verheiratet, zwei Kinder. Studium der Fächer Germanistik, Philosophie, Politik, Erziehungswissenschaften und Geschichte in Marburg und Berlin. 1964 Eintritt in die SPD. 1970 – 1975 Studienrat in Kassel. 1975 – 1991 Oberbürgermeister der Stadt Kassel. 1989 – 2001 Landesvorsitzender der SPD in Hessen. Seit 1984 Mitglied des SPD-Bundesvorstandes. 1991 – 1999 Ministerpräsident des Landes Hessen. Seit 1999 Mitglied des SPD-Präsidiums. Seit April 1999 Bundesminister der Finanzen.
Eichel: Ja, sicher. Wenn das Geld fehlt, wenn die Konjunktur nicht läuft, dann haben Sie besondere Probleme und übrigens nicht nur im Haushalt, in den sozialen Sicherungssystemen ganz genau so. Aber da alle erwarten, dass irgendwie gezahlt wird, landen am Schluss alle Probleme im Bundeshaushalt.
Deutschlandradio Kultur: Es gab ja nicht nur zahllose Rücktritts-Forderungen an Sie, sondern auch immer wieder Rücktritts-Gerüchte. Das kann doch nicht spurlos an Ihnen vorüber gegangen sein, oder?
Eichel: (Lacht) Sehen Sie, das ist die Sache mit den Gerüchten. Ich weiß nicht, wer sie erfunden hat, aber die habe ich nun noch nie ernst genommen. Forderungen kenne ich von der verehrten Opposition, ich wäre auch dafür, dass eine Reihe CDU-Ministerpräsidenten zurücktritt, all die, die im Bundesrat meine Vorschläge zur Verbesserung der Staatsfinanzen blockiert haben, und damit ihre eigenen Landeshaushalte auch noch ruiniert. Aber, die würden auch nicht zurücktreten, wenn ich es von ihnen verlange, so wenig trete ich zurück, wenn die Opposition es von mir verlangt.
Deutschlandradio Kultur: Blicken wir doch mal zurück auf die Zeit 1999 bis 2001. Ich glaube, das ist wahrscheinlich für Sie eine Zeit, da können Sie nur schmunzeln und sich nur freuen, wenn Sie Revue passieren lassen, was da über Sie geschrieben wurde, da sind Sie wirklich gelobt worden querbeet, ab 2002 dann hat sich das Bild so richtig gedreht. Kränkt es Sie persönlich, wenn man also mit Sparhans und wer weiß welchen Superlativen bedacht wird, und dann …
Eichel: … Ja, der Hans im Glück. Aber die kannten natürlich alle Grimms Märchen nicht, die das geschrieben haben, denn in Grimms Märchen ist es ja so, dass der Hans im Glück’ mit einem Goldklumpen anfängt und hinterher nichts hat. Und die Moral …
Deutschlandradio Kultur: Das ist bei Ihnen doch ähnlich!
Eichel: Lacht) Jetzt kommt aber keiner mehr auf die Idee, mich als Hans im Glück zu bezeichnen, daran sehen Sie, dass man die Märchen kennen muss. Und die Moral von der Geschichte ist ja, dass man auch ohne Geld glücklich sein kann, eine schöne Moral, aber gewiss kein Arbeitsmotto für den Finanzminister. Nein, zu schaffen macht einem das sicher, aber als ich so hoch geschrieben wurde, habe ich immer gewusst, das kann gar nicht gut gehen. Ein Finanzminister kann auf Dauer nicht in der Beliebtheitsskala mit ganz vorne stehen, normalerweise steht er hinten, da stehe ich jetzt auch, in der Beliebtheits-Skala der ersten Zehn jedenfalls. Aber es steckt natürlich etwas anderes dahinter. Und da sehen Sie sofort, was die Kehrseite der Entwicklung ist. Ich war erfolgreich mit dem Ziel, die Schulden zurückzuführen als gleichzeitig wir ein ordentliches Wirtschaftswachstum hatten, die Einahmen sprudelten und wir ganz rigide auf der Ausgabenbremse gestanden haben - in der Kombination läuft es. Wir haben auch in den Folgejahren weiter rigide auf der Ausgabenbremse gestanden, inzwischen haben das ja der Sachverständigenrat und auch die Bundesbank anerkannt, aber die Einnahmen kamen nicht mehr.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben zugleich aber auch selbst dafür gesorgt, dass die Einnahmen nicht mehr kommen, indem Sie nämlich die Einkommensteuern gesenkt haben, die Unternehmenssteuern gesenkt haben. Und das zu einer Zeit, als man eigentlich gesehen hat, all dieses Senken von Steuern bringt nicht den erhofften Aufschwung.
Eichel: Nee, das sehen Sie ganz falsch. Entschuldigung, wie kommen Sie denn darauf? Als wir die Steuern gesenkt haben, war es genau umgekehrt wie Sie jetzt sagen. Das ist Klugheit hinterher. Als wir die Steuern gesenkt haben, bin ich dafür kritisiert worden von der Opposition, dass ich sie nicht genug senke. Und gesenkt haben wir sie als wir richtiges Wirtschaftswachstum hatten. Übrigens hat der Sachverständigenrat später auch gesagt, ohne die Steuersenkung wäre das Loch noch viel tiefer gewesen. Das ist falsch, was Sie eben gesagt haben.
Deutschlandradio Kultur: Man kann doch vielleicht sagen, wer gerne das Lob eingesteckt hat von 1999 bis 2001, muss auch die Prügel einstecken. Und kann man nicht leidenschaftslos feststellen – ohne Sie jetzt persönlich angehen zu wollen – dass Sie mit Ihrem Vorhaben - ich zitiere Sie: "Ich bin 1999 angetreten um den Staat aus der Schuldenfalle heraus zu holen" -, dass Sie damit gescheitert sind? Ist das nicht etwas, was Ihnen vielleicht doch auf der Seele liegt?
Eichel: Nein, ich würde es so nicht akzeptieren, denn …
Deutschlandradio Kultur: Aber der Staat ist doch in der Schuldenfalle.
Eichel: Die Schulden, darf ich Sie darauf noch mal hinweisen, sind in den sechzehn Jahren Kohl im Schnitt …
Deutschlandradio Kultur: … aber das war das Ziel was Sie genannt haben, und dieses Ziel haben Sie doch verfehlt.
Eichel: … ich will es noch mal festhalten: im Schnitt jedes Jahr um 35 Milliarden gestiegen, in meiner Zeit bisher um einundzwanzig. Wir sind erfolgreich gewesen, ich war erfolgreich in der Rückführung der Ausgaben. Der Bundeshaushalt beträgt heute noch 11,2 Prozent vom Bruttoinhaltsprodukt, vor zwölf Jahren waren es noch vierzehn Prozent. Das heißt, hätte ich nicht rigide gespart, hätte der Bundeshaushalt jetzt, verglichen mit dem von 1993, jedes Jahr sechzig Milliarden mehr Ausgaben. Was weggeblieben ist – und das war der Konjunktur geschuldet – sind die Einnahmen, und es war geschuldet einer politischen Blockade. Das sind die beiden Ursachen. Die erstere können wir wenig beeinflussen als Regierung – das können Sie ja an der europaweiten Entwicklung sehen -, die zweite aber war der Blockade des Bundesrates geschuldet mit der Folge, dass – das Gespräch könnten Sie ja mal mit den Länderfinanzministern führen – elf Länder verfassungswidrige Haushalte haben.
Deutschlandradio Kultur: Trotzdem, Herr Eichel, irritiert es doch etwas. Sie sagen das ja immer wieder …
Eichel: Das ist die schlichte Wahrheit!
Deutschlandradio Kultur: … die Finanzlage ist so desaströs, erstens wegen der Weltkonjunktur, zweitens wegen der Unionsmehrheit im Bundesrat, die Ihre Sparvorhaben blockiert hat.
Eichel: Nee, nicht die Sparvorhaben, sondern den Abbau der Subventionen im Steuersystem.
Deutschlandradio Kultur: Das ist der korrekte Ausdruck. Trotzdem bleibt doch ein bisschen ein haut gout, wenn der Bundesfinanzminister sagt: Ich bin eigentlich gar nicht verantwortlich für die Situation, die wir haben.
Eichel: Nein, das tue ich überhaupt nicht.
Deutschlandradio Kultur: Haben Sie nicht doch die Befürchtung, dass das, was wir immer beklagen - nämlich dass die Politikverdrossenheit der Bürger so groß ist und dass niemand mehr zur Wahl geht -, durch solche Äußerungen, wenn man sagt "ich habe damit nichts zu tun, das waren immer die anderen" noch befördert wird?
Eichel: Entschuldigung, das ist doch ganz falsch. Ich habe nie gesagt, ich habe damit nichts zu tun, natürlich habe ich damit etwas zu tun. Ich würde ja Ihren Einwand gelten lassen, wenn ich nicht die Wege aufgezeigt hätte. Und deswegen weise ich ganz scharf zurück, was Sie sagen. Gehen Sie zu denen, die es blockiert haben. Wenn ich die Vorschläge nicht gemacht hätte zum Subventionsabbau, die den Weg aus der Schuldenfalle gewiesen haben, dann hätten Sie Recht.
Deutschlandradio Kultur: Aber das Haushaltsloch ist doch größer als das, was man eingespart hätte durch das Streichen der Eigenheimzulage.
Eichel: Inzwischen ja, aber entschuldigen Sie mal, darf ich Sie darauf hinweisen, jedes Jahr, das verstreicht in dem man es nicht macht, macht das Problem größer, es ist wie bei allen Reformen. Aber ich habe 2002 im Herbst ein Gesetz auf den Tisch gelegt, das damals bereits 15,5 Milliarden Euro an Subventionsabbau beinhaltete und davon ist fast nichts übrig geblieben im Bundesrat. Und Sie können doch nicht sagen, der Finanzminister und die Regierung sind schuld, wenn wir eine Verfassung haben, die für die Steuergesetzgebung verlangt, dass die Mehrheit des Bundestages und die Mehrheit des Bundesrates zustimmen. Die Mehrheit des Bundestages hat zugestimmt, das ist nämlich die rot-grüne, die Mehrheit des Bundesrates ist eine CDU/CSU-Mehrheit, und die hat es abgelehnt. Und deswegen sage ich, es ist eine schlichte Fehlinformation der Öffentlichkeit, übrigens auch von den Medien, wenn Sie nicht ganz klar machen, wo die Verantwortlichkeiten liegen.
Deutschlandradio Kultur: Jetzt denken wir das doch mal weiter. Sie sagen, der Bundesrat hat blockiert, was Sie an wichtigen Subventionsabbau-Vorschlägen eingebracht haben, der Kanzler schlägt Neuwahlen vor mit dem Ziel, dass Rot-Grün weiter regiert. An der Konstellation zwischen Bundestag und Bundesrat würde sich absolut nichts ändern. Was bringt Sie denn zu der Auffassung, dass nach einer solchen Wahl der Bundesrat möglicherweise geläutert daher kommt und sagt: "Jawohl, jetzt machen wir alles das, was sie SPD will"?
Eichel: Zwei Gründe: Weil dann die Bevölkerung dem Bundesrat mit einer solchen Wahlentscheidung gezeigt hat, dass sie ein solches Vorgehen nicht akzeptiert. Übrigens ist das ist eine meiner großen Motivationen zu kämpfen. Denn wer sich so verhält, seinen eigenen Landeshaushalt ruiniert, um nur eine parteipolitisch ihm nicht liebsame Bundesregierung in die Grube fallen zu lassen, der kann doch dafür nicht noch belohnt werden!
Deutschlandradio Kultur: Herr Eichel, nennen Sie uns ein Beispiel, warum die CDU geläutert sein sollte.
Eichel: Ich bin doch gerade dran. Ich beantworte doch Ihre Frage, ich weich da nicht aus. Und die Antwort ist ganz einfach. Also das Eine ist, dass dann alle sehen – und das würde in den nächsten Landtagswahlen ja abgestraft -, dass eine solche Haltung nicht akzeptiert wird. Es gibt auch einen viel einfacheren Grund: Die Länder können nicht mehr. Sie müssen sich doch mal vorstellen, in Niedersachsen oder in Nordrhein-Westfalen erklärt die Regierung, bis 2009 legen wir keinen verfassungsgemäßen Haushalt vor. Das ist Verfassungsbruch mit Ansage! Die können alle nicht mehr. Ich kenne übrigens ein paar Ministerpräsidenten der Union, die schon gesagt haben, "natürlich machen wir mit, das geht so nicht mehr weiter". Und deswegen ist es übrigens auch richtig, dass wir Neuwahlen haben, denn anderenfalls hätten wir diese Blockadehaltung bis zur Bundestagswahl im Herbst 2006 gehabt.
Deutschlandradio Kultur: Aber Herr Eichel, ob die Länder noch so weiter machen können oder nicht, ist nach Ihrer Analyse unabhängig davon, ob es in diesem Jahr Wahlen geben wird oder nicht. Man kann doch zumindest festhalten, dass viele in der SPD – Sie jetzt als SPD-Präsidiums- und -Vorstandsmitglied angesprochen – darüber unglücklich sind, dass jetzt Wahlen angesetzt worden sind, weil es Ihnen eben schwer fällt, zu vermitteln, warum man jetzt wählen gehen soll - damit der Zustand so ist wie jetzt? Denn es ist ja nur Wunschdenken zu meinen, dass der Bundesrat sich dann nicht mehr so verhalten kann; wenn er will, kann er das weiterhin tun.
Eichel: Nein, das ist kein Wunschdenken, sondern es werden übrigens auch die Verfassungsgerichte die Landesregierungen zwingen. Die können doch nicht laufend verfassungswidrige …
Deutschlandradio Kultur: Dafür braucht man auch keine Neuwahlen.
Eichel: Doch, weil - hören Sie mal! Eben haben wir doch über politische Praxis geredet. Kurz vor einer Wahl kriegen Sie den Bundesrat, der eine andersfarbige Mehrheit hat, doch nicht dazu, dass er noch Vorschläge der Regierung akzeptiert. Nach einer Wahl sieht die Welt gänzlich anders aus, und zwar, ich sage, egal wer die Wahl gewinnt, die Länder können nicht mehr und werden deswegen ihre Blockadehaltung im Bundesrat aufgeben müssen! Das ist die Situation, in der wir uns befinden. Übrigens ist auch in der SPD gar nicht mehr die Neuwahlfrage umstritten, das war am Anfang so, inzwischen ist die Partei kampfbereit. Ich kennen keinen mehr, der sagt, das ist eine falsche Entscheidung jetzt Neuwahlen zu machen.
Deutschlandradio Kultur: Vielleicht ist die Kampfbereitschaft größer als die Aussichten, die Wahlen zu gewinnen, die SPD liegt unter dreißig Prozent, es gibt einen weiten Abstand Rot-Grün zu Schwarz-Gelb. Hat dieser Vorschlag Neuwahlen anzustreben, nicht eine überfällige Diskussion in Ihrer Partei übertüncht? Der Kanzler muss nicht den Bundestag davon überzeugen, ihm den Rücken zu stärken, hinter ihm zu stehen, sondern die Fraktion musste überzeugt werden, die Partei musste überzeugt werden. Statt diese Auseinandersetzung zu führen wurden Neuwahlen ausgerufen, alles redet nur noch über Neuwahlen, und die Debatte, die eigentlich stattfinden müsste, ist die in der Partei.
Eichel: Nein, ich glaube dass Sie das mit der fälligen Debatte überschätzen. Also, dass es immer auch da und dort Gegrummel gibt, dass es vor dem Hintergrund, dass wir in den Umfragen schlechter sind, dass wir auch Landtagswahlen ordentlich verloren haben, auch in der Partei eine Menge skeptischer Leute haben, ist doch richtig, das ist doch kein Wunder.
Deutschlandradio Kultur: Aber man fragt sich ja schon, wo steht die SPD? Auf der einen Seite wird sie gerügt von der linken Seite für Neoliberalismus, auf der anderen Seite hat man das Gefühl, jetzt hätten sich möglicherweise doch mit ihrer harten, lauten Kritik die Linken in der SPD durchgesetzt. Das heißt, die SPD ist jedenfalls nach außen für den Wähler im Moment nicht klar erkennbar. Ist sie nun neoliberal oder rückt sie doch weiter …
Eichel: Sie war nie neoliberal und ich empfehle einfach, das Wahl-Manifest zu lesen. Wenn ich jetzt den Teil, den wir eben auch ein bisschen kontrovers diskutiert haben, nehme, dann werden Sie im Steuerteil und dem Teil über die Finanzen ganz klare Aussagen finden; zum Beispiel die, dass die Haushaltskonsolidierung ein zentrales Feld der nächsten Wahlperiode ist, dass wir sofort wieder mit dem Abbau von Steuersubventionen beginnen, dass wir eine höhere Steuerquote brauchen - also all das, was ich eben argumentiert habe, finden Sie im SPD-Wahlprogramm.
Deutschlandradio Kultur: Wahlmanifeste sind ja bekanntlich Vorhaben für die Zukunft. Wenn man sich die Bilanz der rot-grünen Regierung ansieht, dann hat man doch den Eindruck, dass Sie genau die Politik gemacht haben, die Sie vorwerfen der FDP vorzuhaben.
Eichel: An welcher Stelle?
Deutschlandradio Kultur: Der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung weist ja nach, dass es mehr Arme gibt in Deutschland, auch mehr Reiche, dass die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinander gegangen ist, die Entlastung der Spitzenverdiener in Deutschland ist so groß wie noch nie, die Zahl der Arbeitslosen…
Eichel: Das ist schlicht falsch, Entschuldigung, Sie transportieren Vorurteile, aber nicht Fakten. Das ist schlicht falsch. Gerade unsere Steuerreform mit dem Abbau der Steuervergünstigung, die wir schon 1999 gemacht haben, hat dazu geführt, dass es die Einkommens-Millionäre, die sich vorher arm rechnen konnten, nicht mehr gibt. Ich will Ihnen ein Beispiel sagen: Finanzamtsbezirk Bad Homburg vor der Höhe, Taunus, dort wohnen die, die in Frankfurt in den Bankentürmen in den oberen Etagen sitzen. 1997: Einkommensteuer negativ, mehr ausgezahlt als eingenommen. Im letzten Jahr: Einkommensteuer 230 Millionen Euro. Die oberen zehn Prozent der Einkommensteuerzahler zahlen 54 Prozent des Steueraufkommens der Einkommensteuer, die unteren 50 Prozent zahlen neun Prozent. Wir haben keine überproportionale Entlastung, das ist schlicht falsch, ist reine Wahlpropaganda der WASG oder der PDS, hat aber nichts mit der Wirklichkeit zu tun.
Deutschlandradio Kultur: Ziehen wir eine kleine finanzpolitische Bilanz nach den sieben Jahren Rot-Grüner Regierung: die Finanzlage ist, Ihr Wort "dramatisch". Der Bund gibt im Moment mehr Geld aus als er einnimmt.
Eichel: Das tut er seit dem Zweiten Weltkrieg, ja.
Deutschlandradio Kultur: Es ist nicht einmal so, dass der Bund – auch das haben Sie immer wieder kritisiert – großzügig investiert, dass man sagen könnte, dieses Defizit ist auch gerechtfertigt und dafür haben wir auf der Ausgabenseite sozusagen nachhaltige Ausgaben. Kann man sagen, dass die Ausgaben für das Falsche draufgehen?
Eichel: Nein, das würde ich deswegen nicht sagen, weil Sie mir dann sagen müssten, an welchen Stellen ich noch kürzen soll. Wir haben dramatisch gekürzt, alle Ausgaben sind gegenüber 1998 massiv zurückgefahren worden mit zwei, drei Ausnahmen. Erstens: Der Rentenzuschuss ist gewachsen, das allerdings ist nicht wirklich eine Haushaltsbelastung, weil wir es gleichzeitig über die Öko-Steuer finanziert haben. Zweitens: die Ausgaben für den Arbeitsmarkt sind ordentlich gewachsen, weil wir wegen der drei Jahre Stagnation eine wesentlich höhere Arbeitslosigkeit haben, und jetzt hat die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe noch mal die Ausgaben ziemlich stark wachsen lassen. Drittens: wir haben an einer Stelle bewusst die Ausgaben erhöht, nämlich für Bildung und Forschung. Die liegen um fast vierzig Prozent höher als 1998, die müssen auch weiter rauf, weil das die eigentlichen Zukunftsinvestitionen sind, die in die Köpfe der Menschen.
Deutschlandradio Kultur: Also ist die Verteilung dann doch nicht richtig? Wenn das meiste Geld für die Renten und für die Arbeitslosen drauf geht - dieses Land ist ja nicht arm -, dann kann man vielleicht sagen, da stimmt was nicht.
Eichel: Ja, die Steuerquote ist zu niedrig, weil der Abbau der Subventionen im Steuersystem nicht gelungen ist. Mir zeigt keiner mehr – es sei denn, er will dramatische Einschnitte ins soziale Netz machen – wo im Bundeshaushalt, kleine Sachen gibt’s immer, noch wirklich eingespart werden könnte. Wir haben mehr gespart als fast alle anderen westeuropäischen Länder. Das Problem ist jetzt, wir haben die zweitniedrigste Steuerquote der Europäischen Union, wir haben auch weltweit eine der niedrigsten, weswegen der Sachverständigenrat selber sagt, da gibt es wirklich keinen Grund, noch Steuern zu senken, wie fast alle Parteien außer der SPD versprechen. In Wirklichkeit brauchen wir durch Abbau der Subventionen im Steuersystem, was übrigens die eigentliche Vereinfachung des Steuersystems ist, eine höhere Steuerquote.
Deutschlandradio Kultur: Oder ’ran an die Renten?
Eichel: Na hören Sie mal, wir haben den Nachhaltigkeitsfaktor eingeführt, wir haben Null-Runden gemacht, wir haben den Rentnern aufgegeben, die Pflegeversicherungsbeiträge komplett allein zu bezahlen, wir haben die Betriebsrenten in die Krankenversicherungsbeiträge einbezogen. Es hat noch nie einer so viel getan wie wir. Also möchte ich von Ihnen wissen, wenn Sie so eine Frage stellen, ob Sie glauben …
Deutschlandradio Kultur: Also, auch da würden Sie sagen road’s end bei den Renten?
Eichel: Da ist zurzeit wirklich nichts weiter zu tun.
Deutschlandradio Kultur: Kleine Nachfrage zu den Renten, Herr Eichel. Es wird ja in diesen Tagen viel darüber diskutiert, dass offensichtlich viele Deutsche nicht genügend vorsorgen für das Alter und vielen ein Alter in Armut droht. Wären Sie dafür, einen Zwang zur privaten Zusatzversicherung einzuführen?
Eichel: Das war der ursprüngliche Vorschlag von Walter Riester. Im Gesetz haben wir vorgesehen, dass wir nach einer bestimmten Zeit überprüfen, ob diese Vorsorge auch angenommen wird und dann neu entscheiden, ob das verpflichtend gemacht werden muss oder nicht. Ich glaube, dass wir in der nächsten Wahlperiode genau an diese Frage kommen. Ich bin strikt dagegen dass wir, was wir nun wirklich gelöst haben, wieder in Altersarmut kommen. Und wenn es nicht trotz hoher Steuerzuschüsse am unteren Ende - es sind die Leute mit kleinen Einkommen, die es nicht machen - nicht gemacht wird, glaube ich, wird man in der Revision der Gesetzgebung auch um die Verpflichtung nicht herumkommen. Das wäre jedenfalls meine persönliche Position.
Deutschlandradio Kultur: Aber Sie wären dafür, diesen Zwang einzuführen?
Eichel: Wenn da in den nächsten zwei, drei Jahren bis zur Mitte der nächsten Legislaturperiode im Verhalten nicht grundlegend sich etwas ändert, dann glaube ich, muss die Politik reagieren. Wir haben ja doch bewusst die Rentner aus der Sozialhilfe herausgeholt mit der Grundsicherung. Wir wollen nicht, dass wir eine solche Situation wieder bekommen.
Das Gespräch wurde geführt von Susanne Führer und Sabine Adler.
Hans Eichel wird am 24. Dezember 1941 in Kassel geboren. Zum zweiten Mal verheiratet, zwei Kinder. Studium der Fächer Germanistik, Philosophie, Politik, Erziehungswissenschaften und Geschichte in Marburg und Berlin. 1964 Eintritt in die SPD. 1970 – 1975 Studienrat in Kassel. 1975 – 1991 Oberbürgermeister der Stadt Kassel. 1989 – 2001 Landesvorsitzender der SPD in Hessen. Seit 1984 Mitglied des SPD-Bundesvorstandes. 1991 – 1999 Ministerpräsident des Landes Hessen. Seit 1999 Mitglied des SPD-Präsidiums. Seit April 1999 Bundesminister der Finanzen.