Ei, wer strahlt denn da?
Von Cora Stephan · 11.02.2009
Deutschland ist umzingelt. Einst die Insel der Seligen, eine einzige große atomfreie Zone, vorbildhaft für den Rest der Welt, steht es seit Finanz- und Energiekrise einsam und verlassen da. Finnland, Großbritannien, Polen, Bulgarien: alles Verräter, auch Italien, und Frankreich - Frankreich ist sowieso ganz schlimm. Und nun die Schweden, einst Vorbild beim Ausstieg! Auch sie verlassen den Pfad der atomfreien Tugend – und das tut wirklich weh.
Die Deutschen, eben noch Avantgarde, wirken plötzlich verloren auf dem Sonderweg, ihre Nachbarn bestaunen mitleidig und ein wenig spöttisch das gute Völkchen in der Mitte Europas, das übrigens immer noch Spitze ist, was die Technologie der Kernenergie betrifft, aber nur außerhalb deutscher Grenzen. Alles andere macht den Menschen Angst – und wir nehmen hierzulande eben Rücksicht auf Gefühle.
Nun spricht ja im Prinzip nichts dagegen, als einsamer Rufer in der Wüste einfach nur Recht zu haben, auch wenn das keine gute Laune macht. Aber Deutschland hat sich mittlerweile in eine paradoxe Situation hineinmanövriert, die zu Doppelmoral nachgerade zwingt: "Dreckschleudern" wie Kohlekraftwerke will man nicht bauen, obzwar moderne Technologien deren CO2-Ausstoß vermindern bis verhindern könnten. Erneuerbare Energien reichen nicht aus, um den Strombedarf zu decken, zumal hierzulande weder die Sonne ohn’ Unterlass scheint noch stets ein günstiges Lüftchen weht. Bis sich der erhoffte Effekt von Stromsparmaßnahmen einstellt, bezieht Deutschland daher einen nicht unerheblichen Prozentsatz seines Strombedarfs aus dem benachbarten Ausland – aus Frankreich, dem Reich des Bösen. Dort ist im Übrigen, glaubt man den Eingeborenen, Atomstrom ganz und gar ungefährlich und unbedenklich. Einer so großen Nation wie der französischen unterlaufen schließlich keine Fehler.
Man muss nicht Prophet sein, um dem Thema Atomenergie einen wichtigen Platz im Wahlkampfjahr 2009 vorherzusagen. Tatsächlich gibt der ansonsten tief sitzende Widerstand gegen Atomstrom hierzulande allmählich nach – zwei Faktoren wirken dabei mit: die empfundene Wirtschaftskrise und der jüngste Konflikt um die Gaslieferungen aus Russland, der Allen deutlich vor Augen geführt hat, wie riskant es ist, von anderen abhängig zu sein, selbst wenn es sich in diesem Fall um die guten Freunde Altkanzler Schröders handelt, der, mögen einige hoffen, bei der Gazprom schon mal Gas geben kann, wenn uns was fehlt.
Insofern ist die neue Auseinandersetzung über Atomstrom eine gute Sache. Weniger gut ist, dass sie im Wahlkampf stattfindet – der betoniert Positionen, statt sie zu verflüssigen. Das gilt insbesondere für die Grünen, für die ihre Haltung zur Atomkraft eine Existenzfrage ist: An ihrer Wiege steht die Anti-AKW-Bewegung und der heroische Mythos des hessischen Umweltministers Joschka Fischer, der als erster Grüner 1991 was abschalten durfte – die Brennelemente-Fabrik in Hanau.
Doch als die Grünen sich in der letzten Woche an die Spitze einer Demonstration gegen eine Tagung der Atomlobby in Berlin stellten, mobilisierten sie gerade mal 1000 bis 1500 Menschen. Weil das Thema gesellschaftlich ebenso durch ist wie die rituellen Widerstandsakte in Gorleben? Vielleicht. Möglich auch, dass der Widerstand gegen die Atomenergie mittlerweile zum Besitzstand der Älteren gehört, während die Jüngeren die Sache pragmatisch angehen.
Möglich aber auch, dass die Grünen die Zeichen der Zeit übersehen: Während sie an alten Fronten stehen, in Treue fest und unverrückbar, zeigt die Gegenseite Beweglichkeit. Auch die Atomwirtschaft lernt aus alten Fehlern, investiert in erneuerbare Energien, forscht nach Alternativen und sieht die Zukunft in einem Energiemix, in dem Atomenergie nur eine unter vielen ist. Ähnliche Signale gehen von der neuen US-Regierung um Barack Obama aus.
Die Völker hören also die Signale. Schwerhörigkeit könnte die Grünen teuer zu stehen kommen.
Die Frankfurter Publizistin und Buchautorin Cora Stephan, Jahrgang 1951, ist promovierte Politikwissenschaftlerin. Von 1976 bis 1984 war sie Lehrbeauftragte an der Johann Wolfgang von Goethe Universität und Kulturredakteurin beim Hessischen Rundfunk. Von 1985 bis 1987 arbeitete sie im Bonner Büro des "Spiegel". Zuletzt veröffentlichte sie "Der Betroffenheitskult. Eine politische Sittengeschichte", "Die neue Etikette" und "Das Handwerk des Krieges".
Nun spricht ja im Prinzip nichts dagegen, als einsamer Rufer in der Wüste einfach nur Recht zu haben, auch wenn das keine gute Laune macht. Aber Deutschland hat sich mittlerweile in eine paradoxe Situation hineinmanövriert, die zu Doppelmoral nachgerade zwingt: "Dreckschleudern" wie Kohlekraftwerke will man nicht bauen, obzwar moderne Technologien deren CO2-Ausstoß vermindern bis verhindern könnten. Erneuerbare Energien reichen nicht aus, um den Strombedarf zu decken, zumal hierzulande weder die Sonne ohn’ Unterlass scheint noch stets ein günstiges Lüftchen weht. Bis sich der erhoffte Effekt von Stromsparmaßnahmen einstellt, bezieht Deutschland daher einen nicht unerheblichen Prozentsatz seines Strombedarfs aus dem benachbarten Ausland – aus Frankreich, dem Reich des Bösen. Dort ist im Übrigen, glaubt man den Eingeborenen, Atomstrom ganz und gar ungefährlich und unbedenklich. Einer so großen Nation wie der französischen unterlaufen schließlich keine Fehler.
Man muss nicht Prophet sein, um dem Thema Atomenergie einen wichtigen Platz im Wahlkampfjahr 2009 vorherzusagen. Tatsächlich gibt der ansonsten tief sitzende Widerstand gegen Atomstrom hierzulande allmählich nach – zwei Faktoren wirken dabei mit: die empfundene Wirtschaftskrise und der jüngste Konflikt um die Gaslieferungen aus Russland, der Allen deutlich vor Augen geführt hat, wie riskant es ist, von anderen abhängig zu sein, selbst wenn es sich in diesem Fall um die guten Freunde Altkanzler Schröders handelt, der, mögen einige hoffen, bei der Gazprom schon mal Gas geben kann, wenn uns was fehlt.
Insofern ist die neue Auseinandersetzung über Atomstrom eine gute Sache. Weniger gut ist, dass sie im Wahlkampf stattfindet – der betoniert Positionen, statt sie zu verflüssigen. Das gilt insbesondere für die Grünen, für die ihre Haltung zur Atomkraft eine Existenzfrage ist: An ihrer Wiege steht die Anti-AKW-Bewegung und der heroische Mythos des hessischen Umweltministers Joschka Fischer, der als erster Grüner 1991 was abschalten durfte – die Brennelemente-Fabrik in Hanau.
Doch als die Grünen sich in der letzten Woche an die Spitze einer Demonstration gegen eine Tagung der Atomlobby in Berlin stellten, mobilisierten sie gerade mal 1000 bis 1500 Menschen. Weil das Thema gesellschaftlich ebenso durch ist wie die rituellen Widerstandsakte in Gorleben? Vielleicht. Möglich auch, dass der Widerstand gegen die Atomenergie mittlerweile zum Besitzstand der Älteren gehört, während die Jüngeren die Sache pragmatisch angehen.
Möglich aber auch, dass die Grünen die Zeichen der Zeit übersehen: Während sie an alten Fronten stehen, in Treue fest und unverrückbar, zeigt die Gegenseite Beweglichkeit. Auch die Atomwirtschaft lernt aus alten Fehlern, investiert in erneuerbare Energien, forscht nach Alternativen und sieht die Zukunft in einem Energiemix, in dem Atomenergie nur eine unter vielen ist. Ähnliche Signale gehen von der neuen US-Regierung um Barack Obama aus.
Die Völker hören also die Signale. Schwerhörigkeit könnte die Grünen teuer zu stehen kommen.
Die Frankfurter Publizistin und Buchautorin Cora Stephan, Jahrgang 1951, ist promovierte Politikwissenschaftlerin. Von 1976 bis 1984 war sie Lehrbeauftragte an der Johann Wolfgang von Goethe Universität und Kulturredakteurin beim Hessischen Rundfunk. Von 1985 bis 1987 arbeitete sie im Bonner Büro des "Spiegel". Zuletzt veröffentlichte sie "Der Betroffenheitskult. Eine politische Sittengeschichte", "Die neue Etikette" und "Das Handwerk des Krieges".