"Ich kann mich noch daran erinnern, als Rap für eine Eintagsfliege gehalten wurde. Jetzt stehen wir neben den größten Songschreibern der Geschichte." So reagierte der Rapper Jay-Z auf Twitter auf die Nachricht, dass er in die Songwriters Hall of Fame aufgenommen wird, als erster Rapper überhaupt. Fragen von Andreas Müller, Antworten von Fabian Wolff.
Ein Rapper im Songwriterpantheon
Neben der Rock and Roll Hall of Fame gibt es auch die Songwriters Hall of Fame - in der jetzt erstmals ein Rapper geehrt wird. Warum es dringend notwendig war, Jay-Z aufzunehmen, und wem die Ehre noch zuteil werden sollte, erläutert Fabian Wolff.
Die Bekanntgabe, wer in die Rock and Roll Hall of Fame (RRHOF) aufgenommen wird, ist ja jedes Jahr eine große Meldung wert, die Zeremonie wird auch im Fernsehen übertragen. Die Songwriters Hall of Fame (SHOF), in die jetzt Jay-Z aufgenommen wird, ist weitaus kleiner und unbekannter. Wer steht dahinter, wie ist sie aufgebaut?
"Tatsächlich gibt es die SHOF sogar schon länger als die RRHOF, sie wurde nämlich 1969 von drei Industriegrößen gegründet, darunter Johnny Mercer, dem Co-Komponisten von 'Come Rain Or Come Shine'. Sie ist eine kleinere Angelegenheit, wirklich ein Industriepreis, die natürlich auch große Namen anziehen, aber vor allem die Leute hinter der Musik ehren will.
Auch Genregrenzen existieren dabei kaum. Jimmy Webb kommt eher aus dem Country, Holland-Dozier-Holland haben viele der Motown-Hits geschrieben. Mit dem Nachwuchspreis wurden auch schon Drake und der R&B-Sänger NeYo ausgezeichnet."
Hiphop ist inzwischen nostalgisch veranlagt
Die Songwriters Hall of Fame ist also nicht so monochromatisch und verschlafen wie die Rock and Rock Fall of Fame, trotzdem findet erstmals mit Jay-Z ein Rapper ganz offiziell Zugang ins Songwriterpantheon. Wieso gerade er, und wieso heute?
"Das liegt ein bisschen in der Luft. Hiphop ist ja gut 40 Jahre nach seiner Entstehung gerade sehr nostalgisch veranlagt. Dokus und Spielfilme und TV-Serien erzählen den Schöpfungsmythos von Rap oder einzelne Biographien, gleichzeitig erkennt auch die Mehrheit die Bedeutung von Themen wie systemischen Rassismus und Ausgrenzung. Das ist der Kontext, glaube ich.
Warum es dann ausgerechnet Jay-Z ist: Natürlich gab es schon lange vor ihm Rapper, die ihm als lyricists sogar überlegen sind. Jemand wie Rakim hätte diese Ehre sicherlich viel mehr verdient. Aber Jay-Z ist eben auch eine Marke mit Strahlkraft weit über Hiphop hinaus, und die anderen Heroen seiner Generation sind entweder versumpft oder tot, wie Biggie und 2Pac."
Und was bedeutet diese Ehrung für die Marke Jay-Z?
"Sie kommt ihr sehr gelegen. Jay-Zs Projekt ist ja seit seinem abgebrochenen Ruhestand 2005 sein eigener Nachlassverwalter zu sein. Er ist der elder statesman des Hiphop, der das Genre immer wieder für Rock-Fans oder Intellektuelle legitimieren will, um so mehr Alben zu verkaufen. Eine Weile ist er gezielt bei Konzerten von Indie-Bands wie Grizzly Bear aufgetaucht. Vor ein paar Jahren hat er den Prachtband "Decoded" veröffentlicht, so eine Art coffee table book, in dem zwischen Photos einige seiner Texte für Laien "aufgeschlüsselt" werden. Slang wird erklärt, Doppelbedeutungen und Metaphern werden erläutert, die narrativen Strategien und poetischen Effekte werden zerlegt. Das ist natürlich sehr interessant, aber im Nachhinein auch etwas peinlich anbiedernd: Hier, weiße Mittelschickt, ich mache Kunst, meine Songs sind wie Gedichte!"
Sie haben gerade das Wort "Legitimierung" verwendet, und Anbiederung. Wird das Genre hier musealisiert?
Rap muss keine Poesie sein
"Das ist ja ein bisschen das Klischee, Rap als Poesie von der Straße, oder als CNN des schwarzen Amerikas. Aber Hiphop muss natürlich keine Poesie sein, es reicht ja total, wenn er Hiphop ist. Das ist ja genauso wertvoll, so wie eine Jazz-Komposition nicht auch gute Orchestralmusik sein muss. Nach dem Nobelpreis an Bob Dylan gab es ja kluge Stimmen wie den Kritiker Jody Rosen, die bemerkt haben, dass damit der Musiker Bob Dylan verkannt wird, auch der Sänger Dylan. Bei Jay-Z lässt sich ähnlich argumentieren: Er ist ja auch ein wahnsinnig müheloser MC, und das lässt sich von seinem Talent als Schreiber nicht trennen."
Bob Dylan soll ja Teile seiner Dankesrede aus Lektürehilfen abgeschrieben haben, und seine Songs leben ja auch teilweise von der Montage anderer Textfragmente. Auch Jay-Z gehört zu den großen Rappern, die sich teilweise auf Ghostwriter verlassen. Ist der Songtexter und Interpret als einsames Genie überhaupt noch zeitgemäß?
Bob Dylan soll ja Teile seiner Dankesrede aus Lektürehilfen abgeschrieben haben, und seine Songs leben ja auch teilweise von der Montage anderer Textfragmente. Auch Jay-Z gehört zu den großen Rappern, die sich teilweise auf Ghostwriter verlassen. Ist der Songtexter und Interpret als einsames Genie überhaupt noch zeitgemäß?
"Die Hall of Fame ehrt ja schönerweise Songwriter, und nicht Singer-Songwriter. Der unbedingt authentische Musikpoet passt da genauso wie der in den Sechzigern anonym im Brill Building schuftende Komponist, dessen Songs sich millionenfach verkaufen und der aber kaum einen Cent sieht. Diese Strukturen gibt es ja noch heute, nur nicht mehr mit Knebelverträgen, sondern auf Gig-Basis.
Jay-Z und Kanye West haben immer kreativere Künstler um sie herum, die ihnen Songideen und gute Textzeilen zuliefern. Hiphop bleibt ja, also wird vielleicht in 20 Jahren einer dieser hungrigen jungen Rapper auch in die Hall of Fame als heimliches Genie aufgenommen."