Ehrung für die "Mutter der Leprakranken"

Von Elske Brault · 27.11.2005
Sie hat schon das große Bundesverdienstkreuz mit Stern erhalten, die Albert-Schweitzer-Medaille und war vorgeschlagen für den Friedensnobelpreis: Die 76-jährige Ärztin und Ordensschwester Ruth Pfau gilt als "Mutter der Leprakranken" und ist in Pakistan so berühmt, wie es in Indien Mutter Theresa war. Nun hat die ZEIT-Stiftung ihr den Marion Dönhoff-Preis verliehen.
"Ja, jetzt soll ich danke sagen. Ich wollte eigentlich absolut nicht kommen. Nicht, dass ich nicht hierher wollte, ich wollte von Pakistan nicht weg. Ich hab' ja bis zuletzt im Erdbebengebiet gearbeitet. Das heißt, nicht gearbeitet, aus dem Alter bin ich raus. Aber ich bin im Erdbebengebiet gewesen. Und das ist mir schwer gefallen, dort wegzugehen. Aber wir haben wenig Preise, die eben fragt: Was brauchen wir, damit die Welt ein bisschen heller wird. Ein bisschen heil wird."

Bis zu diesem Moment, da die kleine, zierliche Frau mit Hilfe ihres Gehstocks die Bühne des Deutschen Schauspielhauses betritt, ist es eine glatte, ausdruckslose Veranstaltung gewesen: Die Herren in dunklem Anzug und Damen in eleganten Kleidern wirken so steif neben der unglamourösen Ruth Pfau. Seit zwei Wochen ist sie in Deutschland; trägt einen Mix aus deutscher und pakistanischer Kleidung, eine weiße Strickjacke über der traditionellen bestickten Tracht aus weiter Hose und knielangem Kleid.

800 Menschen sind zur Preisverleihung gekommen, darunter die gesamte Hamburger Kulturprominenz und der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker. Filme mit offiziösen Texten und kitschiger Musikuntermalung haben die Namensgeberin des Preises, Marion Dönhoff, und die Preisträgerin vorgestellt. Hohle Klischees, weihevolle Stimmung. Und dann spricht Ruth Pfau. Und plötzlich scheint alles ganz richtig, scheint jeder an seinem Platz und in der Lage, die Welt etwas heller und heiler zu machen.

"Ich kann nur sagen, mein Leben ist wirklich ganz normal verlaufen. Und wenn ich etwas erreicht habe, habe ich ganz sicherlich mehr mit den normalen Hausfrauentugenden erreicht: einfach Hinhören, Geduld, Humor. Wissen was der andere, oder versuchen zu wissen, was der andere mag, und ihm entgegen gehen. Alles das, was jede Mutter, und jede Ehefrau, wenn die Ehe gut geht, ja auch tut."

Als Ruth Pfau 1960 mit 31 Jahren nach Pakistan kam, war die Nonne eigentlich nur auf der Durchreise nach Indien, wohin ihr Orden sie entsandt hatte. Als deutsche Fachärztin für Innere Krankheiten hatte Pfau vor allem Kenntnisse über Herzinfarkt und Lungenentzündung.

"Nee, also in Lepra ja überhaupt nicht. Ich hab mir also als nächstes, um erst mal was zu tun, hab ich mir ein gescheites Buch gekauft, um mich erst mal über Lepra zu informieren."
Denn in einem Slum der Millionenstadt Karatschi drängten sich etwa 150 aussätzige Bettler in und um einen Bretterverschlag von der Größe einer Zweizimmerwohnung.

"Allah! Zweizimmerwohnung ist sehr übertrieben."

Während des Monsunregens wateten die Menschen knietief in den Abwässern der Stadt. Ruth Pfau besorgte eine Pumpe, um die Bretterbude trocken zu legen. Ein Behandlungszimmer in einem regulären Krankenhaus bekam sie nicht, so groß war die Angst vor Ansteckung. Also gaben Helfer vorne in der Bretterbude Medikamente aus, und hinten trennte Ruth Pfau vereiterte Finger und Zehen ab.

"Als ich dieses Elend dieser Leprapatienten gesehen habe, in diesem Ghetto, also das war mir echt zuviel. Also angefangen haben wir wirklich in diesem Anfall von jetzt! Und: Sowas darf doch nicht wahr sein! Dass Menschen jeglicher Würde beraubt sind, nur weil – da sind sie ja nicht dran schuld – weil sie sich mit einer Krankheit angesteckt haben. Und dann haben wir einfach angefangen. Wir haben gesagt, wir machen irgendwas. Ob’s sinnvoll ist oder nicht sinnvoll ist, ist uns im Moment egal. Aber irgendwas werden wir auf alle Fälle tun."
Von weither kamen die Leprakranken. Ihre Herkunftsorte markierte Ruth Pfau mit kleinen bunten Stecknadelköpfen auf der Landkarte von Pakistan. Heute ein flächendeckendes Netz von Hilfsstellen. Dank der Spenden der Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe. Aber Geld allein hilft nicht, betonte Cap-Anamur-Gründer Rupert Neudeck, erster Träger des Marion-Dönhoff-Preises, in seiner Laudatio.

"Rettung, meine Damen und Herren, und das ist die Botschaft der humanitären Ruth Pfau, Rettung kann nicht virtuell oder statistisch sein, wie uns das die Behörden und die Zuständigen weiss machen wollen. Rettung muss physisch sein. Es ist gut, sich klar zu machen, dass diese eine Frau, Dr. Ruth Pfau, mehr bewegen kann als ganze Bataillone von Milliardären."

Das Erdbeben in Pakistan hat drei Viertel von Pfaus medizinischen Ambulanzen zerstört. Doch zugleich hat sich dabei ein Lebenskreis geschlossen: Mit 17 hatte Ruth Pfau beschlossen, Ärztin zu werden, weil sie ihrem kranken Babybruder unmittelbar nach Kriegsende nicht helfen konnte. Jetzt hat sie ein Baby aus den Trümmern gerettet: Der ersehnte Stammhalter nach fünf Töchtern – genau wie damals ihr Bruder. Der Winzling hatte sich ein Bein gebrochen, Ruth Pfau fand in den völlig überfüllten Krankenhäusern kein Bett für ihn – bis er sich eines teilen konnte mit einem anderen Baby. Pakistanisch-pragmatisch. Die mit dem Marion-Dönhoff-Preis verbundenen 20.000 Euro werden Pfaus Mitarbeiter vermutlich im Erdbebengebiet einsetzen.

"Ja, das geht entweder nach Asadkaschmir, wenn wir da knapp sind. Wenn wir da aber genügend haben, dann geht’s ins Allgemeinbudget. Denn das Leben muss ja weitergehen auch nach diesem Erdbeben. Wir arbeiten ja in ganz Pakistan."