Ehrgeizige Ziele im Kampf gegen Hunger und Armut

Bärbel Dieckmann im Gespräch mit Nana Brink · 12.10.2013
Die Welthungerhilfe hält das von der Weltbank formulierte Ziel, innerhalb von sieben Jahren die Zahl der in extremer Armut lebenden Menschen zu halbieren, für machbar, erklärt Präsidentin Bärbel Dieckmann. Hunger sei ein Problem der Verteilungsgerechtigkeit.
Nana Brink: Was hat der Hunger in der Welt mit der Haushaltskrise in den USA zu tun? Mehr, als wir im ersten Moment denken! Die Weltbank und auch der Internationale Währungsfonds haben am Ende der Woche vor den Folgen des Haushaltsstreites in den USA gewarnt. Sollte er nicht beendet werden, hätte das auch gravierende Folgen für die Entwicklungsländer. Und nur mal eine Zahl: Als die USA das letzte Mal um ihren Haushalt stritten, das war 2011, sind die Kurse an den Börsen vieler armer Länder um 15 Prozent gesunken. Aber diese Warnungen haben Weltbank und IWF nicht davon abgehalten, ein ehrgeiziges Ziel zu formulieren. Bis 2020 soll die Zahl der Menschen, die von weniger als 1,25 Dollar am Tag leben, halbiert werden. Ein Ziel, das natürlich auch die Welthungerhilfe beschäftigt, die ab Sonntag, also ab morgen eine Woche lang auf die Folgen von extremer Armut hinweist. Bärbel Dieckmann ist die Präsidentin der deutschen Welthungerhilfe. Einen schönen guten Morgen, Frau Dieckmann!

Bärbel Dieckmann: Guten Morgen!

Brink: Glauben Sie an das Ziel von Weltbank und IWF, die schlimme Armut in nur sieben Jahren zu halbieren?

Dieckmann: Ich würde gerne daran glauben und ich möchte daran glauben, weil ich weiß, dass es möglich ist. Aber wir werden sehr viel tun müssen, um das erreichen zu können.

Brink: Was macht Sie so zuversichtlich denn noch?

Dieckmann: Wir haben ausreichend Lebensmittel in der Welt, es werden ausreichend Lebensmittel produziert. Es geht um eine Frage von Verteilung, es geht um eine Frage von Förderung weiter von Landwirtschaft. Und es geht um eine Frage von Schaffung von Arbeitsplätzen auch in den Ländern, in denen es Wachstum gibt – das ist in vielen afrikanischen und asiatischen Ländern –, aber wo dieses Wachstum nicht umverteilt wird.

Brink: Bevor ich darauf noch mal konkreter einsteigen möchte: Aber wie soll denn diese Halbierung wirklich gelingen, wenn die größte Weltwirtschaft mit ein Auslöser für eine weltweite Rezession ist? Was …

Dieckmann: Ich hoffe sehr, dass die Vereinigten Staaten noch eine Lösung ihrer Krise finden. Das wäre eine Katastrophe für viele der Entwicklungsländer. Übrigens nicht nur wegen der Börsen, sondern auch wegen des Anteils von Landwirtschaft. Die USA sind eines der Länder, die in großem Umfang produzieren, das würde zu steigenden Preisen führen bei Landwirtschaftsprodukten, wenn die USA in eine solche Krise kämen. Das hätte sofort Auswirkungen.

Brink: Wie arbeiten Sie denn mit der Weltbank und dem IWF zusammen als Welthungerhilfe, gerade wenn es um Schaffung von Arbeitsplätzen, wie Sie es eben erwähnt haben, geht?

Dieckmann: Unmittelbar arbeiten wir nicht zusammen. Aber die Weltbank hat natürlich großen Einfluss und auch IWF auf die Politik in den Entwicklungsländern. Der IWF hat übrigens über viele Jahre dazu beigetragen, dass Armut sich eher verschärft hat, indem man glaubte, Schuldenerlass für Entwicklungsländer immer zu kombinieren mit der Forderung nach Freihandel. Gott sei Dank gibt es da heute Korrekturen und es wird gerechter, oder es werden gerechtere Investitionen gemacht, die auch Armen zugutekommen.

Brink: Können sie uns denn mal Beispiele nennen? Weil es ist so schwer manchmal, sich das vorzustellen, wie denn eine Zusammenarbeit – jetzt vielleicht nicht direkt mit Ihnen, mit der Welthungerhilfe –, aber wie denn so etwas funktionieren kann in einem Land, in dem es wirklich große Probleme gibt?

Dieckmann: Ich sage mal, wenn es Weltbankinvestitionen in einem Land gibt, indem Wirtschaft gefördert wird, Industrie gefördert wird, ist es ganz wichtig, dass immer auch in die Landwirtschaft investiert wird. Drei von vier Hungernden leben nach wie vor auf dem Land. Das heißt, die Schaffung von Arbeitsplätzen in den Städten alleine ist keine Antwort für Hunger auf dem Land. Das ist das Erste. Und das Zweite ist, es muss jede Volkswirtschaft, auch in Entwicklungsländern, betrachtet werden, wie weit sie wirklich mit ihren landwirtschaftlichen Produkten marktgängig ist. Weil der Freihandel hat oft dazu geführt, dass Länder, die noch nicht Produkte schaffen, die wirklich konkurrenzfähig sind auf dem Weltmarkt, die gegen Deutschland, Frankreich, USA konkurrieren können, dass die noch Weltmarktanteile verloren haben. Das sind die Dinge, die beachtet werden müssen.

Brink: Da können also Weltbank und IWF eingreifen, regulierend eingreifen?

Dieckmann: Ja, natürlich, das tun die ja auch und da können die auch regulierend eingreifen. Und das hat wiederum dann auch einen Zusammenhang natürlich mit unserer Arbeit, weil wir solche Projekte in den Ländern durchführen, die zum Teil auch Finanzierungen von Weltbank und IWF sind.

Brink: Also gerade in der Landwirtschaft?

Dieckmann: Gerade in der Landwirtschaft, wir sind ja spezialisiert auf Landwirtschaft. Und das ist, da werden wir auch bei bleiben, weil wir wissen, dass es nicht ausreichend Arbeitsplätze in vielen Ländern gibt außerhalb der Landwirtschaft. Das heißt, wir müssen Kleinbauern unterstützen, 80 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe weltweit sind kleinbäuerliche, dass sie für sich selbst produzieren können, für ihre Familien, und auch dann noch vielleicht die Möglichkeit haben, auf dem nächsten Markt zu verkaufen.

Brink: Wie muss man denn die Entwicklungsländer auch in die Pflicht nehmen für die eigene Bevölkerung, wie kann man da seinen Einfluss nutzen?

Dieckmann: Das muss man sicher auch. Wir haben ja heute Hunger in sehr vielen fragilen Staaten, also Staaten, die eine schlechte Regierungsführung haben. Für mich ist ein extremes Beispiel im Moment Syrien, ein Land, wo vor zwei Jahren sich die Menschen haben ernähren können, es gab keine Hungerkatastrophe, und wir jetzt Millionen haben, die auf der Flucht sind, die hungern. Das gilt aber natürlich auch für Länder wie Somalia, für den Kongo, die muss man in die Pflicht nehmen. Und deshalb orientiere ich mich auch immer ein bisschen an denen, wo es positiv in den letzten Jahren gelaufen ist. China hat ganz stark die Hungerzahlen reduziert, aber auch Länder wie Vietnam, wie Malaysia, Lateinamerika gibt es keine großen Gefährdungen mehr im Welthungerindex. Also, die Beispiele gibt es auch, dass es geht.

Brink: Bleibt aber Afrika, nicht, noch als eine der größten Problemzonen.

Dieckmann: Ja, Afrika ist eine der großen Problemzonen, südlich der Sahara. Wobei es eben auch in Afrika Wachstum gibt, Wirtschaftswachstum, was zeigt, dass dieses Wachstum anders verteilt werden muss.

Brink: Wir kennen mittlerweile die wesentlichen Ursachen für den Hunger in der Welt, also ganz verkürzt die Spekulation mit Nahrungsmittel, Anbau von Pflanzen für Bio-Sprit, erhöhter Fleischkonsum einer wachsenden Mittelklasse. Wird sich daran in absehbarer Zeit etwas ändern?

Dieckmann: Ich habe den Eindruck, dass sich da schon einiges ändert. Es gibt eine weltweite Diskussion über diese Fragen. Aber ich glaube auch nicht an schnelle Lösungen. Wir in Deutschland sind da vielleicht ein bisschen selbstkritischer auch als manche anderen Länder, deshalb bleibe ich auch noch mal dabei: Kleinbäuerliche Landwirtschaft ist ganz wichtig, dass wenigstens die unterstützt werden, die unabhängig sind von diesen Entwicklungen, und dann auch nicht kaufen müssen auf dem Markt. Das ist nämlich ein weiteres Problem, dass die Lebensmittelpreissteigerungen der vergangenen Jahre bei Menschen, die 70 Prozent ihres Einkommens für Nahrung ausgeben, natürlich zu wirklichen Katastrophen geführt haben.

Brink: Bärbel Dieckmann, die Präsidentin der deutschen Welthungerhilfe. Schönen Dank für das Gespräch …

Dieckmann: Vielen Dank!

Brink: Und ab Sonntag beginnt die Woche der Welthungerhilfe auch hier in Deutschland.


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