Ehrenrettung für den Märchenkönig
Um den bayerischen Märchenkönig Ludwig II., der nach einem psychiatrischen Gutachten 1886 seines Amtes enthoben wurde, ranken sich die Legenden. Jetzt hat der Psychiatrie-Professor Heinz Häfner die darin vorgelegten Fakten in einem interdisziplinären Forschungsprojekt überprüft. Als erster, unabhängiger Fachkollege beseitigt er die wilden Gerüchte.
Unzählige Bücher über den bayerischen Märchenkönig gibt es. Das jetzt erschienene Buch des international renommierten Heidelberger Psychiatrie Professors Heinz Häfner widerlegt einen psychiatrischen Mythos.
Aufgrund eines Gutachtens des Münchner Psychiatrie-Professors Bernhard von Gudden wurde Ludwig 1886 abgesetzt. Häfner zitiert die bayerische Verfassung von 1818, nach der ein König amtsenthoben werden konnte, wenn er unter einer unheilbaren geistigen Erkrankung litt.
In seinem interdisziplinär angelegten Forschungsprojekt untersucht Heinz Häfner Ludwigs Amtsenthebung. Als erster, unabhängiger Fachkollege von Dr. von Gudden überprüft Häfner jetzt die in Guddens Gutachten vorgebrachten 'Fakten'. Auch legt er den Obduktionsbefund kritisch unter die Lupe und vergleicht Ludwigs Fall mit anderen zeitgenössischen Absetzungen. Außerdem beschreibt Häfner, welche Kriterien zu Ludwigs Zeiten in der noch jungen Wissenschaftsdisziplin der Psychiatrie als Mindeststandards anerkannt waren.
Häfner legt dar, dass Guddens Gutachten weder den damals geltenden noch den heute üblichen Qualitätsstandards der psychiatrischen Wissenschaft entsprach und dass Guddens Gutachten auf einer klassischen Ferndiagnose basierte. Ludwig war nie sein Patient. Gut ein Jahrzehnt vor seiner Beauftragung hatte Gudden Ludwig zum letzten Mal gesehen.
Die Leser erfahren, mit welchen Methoden die Regierung Bayerns belastendes Material bestellt und erhalten hatte - und zwar auf Anstiftung von Ludwigs Onkel Luitpold. Auf dieser Grundlage wurde das Gutachten erstellt. Vorhandenes positives Material wurde unterdrückt. Zeugen wie sein Leibarzt, der ihn seit Geburt kannte, und die an ihm keinerlei Symptome einer Geisteskrankheit wahrgenommen hatten, wurden nicht gehört.
Zur "Verrückterklärung" passte auch die breit gestreute Behauptung, Ludwig habe schon seit Jahren seine verfassungsmäßig von ihm geforderten Amtsgeschäfte schwer vernachlässigt. Häfner legt minuziös dar, dass Ludwig bis unmittelbar vor seiner Verhaftung durch Gudden geradezu vorbildlich gewissenhaft alle seine sehr umfänglichen Staatsgeschäfte abgewickelt hatte.
Häfner zeigt, wie hier mit zweierlei Maß gemessen wurde. Ludwigs Vater König Max II. hatte sich ungestraft monatelang in Italien und Griechenland aufgehalten und seine von der Verfassung geforderten Pflichten missachtet. Die Staatsgeschäfte standen still, denn ohne seine Unterschrift unter tausend und mehr Akten lief nichts mehr.
Wo auch immer Heinz Häfner genau hinsieht, wird klar, dass Ludwigs Amtsenthebung ein erfolgreich kaschierter Staatsstreich war. Liest ein Laie - und die bisherigen Ludwig-Geschichtswissenschaftler sind medizinisch gesehen auch nur Laien - den Obduktionsbefund, so klingen all die verwendeten medizinischen Begriffe als seien sie objektiv. Für den Kollegen Häfner aber entpuppen sie sich vor dem Auge der Leser als hirnpathologische falsche Fährten und fallen in sich zusammen.
Narben an bestimmten Teilen des Hirns wurden von den Gutachtern als Beweis für Ludwigs seit vielen Jahren sich beschleunigende Geisteskrankheit gedeutet. In Wirklichkeit stammten sie aber von Ludwigs Meningitis, mit der ihn im Alter von sieben Monaten seine Amme angesteckt hatte. Die Amme starb an ihrer Gehirnhautentzündung, während Ludwig überlebte. Er litt aber zeit Lebens unter starken Kopfschmerzen, einer typischen Folgeerscheinung der Meningitis. Auch bei der Obduktionsanalyse kamen nur willfährige Wissenschaftler zu Wort.
Unabhängige Wissenschaftler sind in Sachen Amtsenthebung Ludwigs II. von Bayern auch heute noch nicht erwünscht. Im Hausarchiv der Wittelsbacher wurde Heinz Häfner die Einsicht in kritisches Quellenmaterial verweigert - eine nach der bayerischen Verfassung rechtswidrige Behinderung der freien Wissenschaft.
Bleibt zu hoffen, dass in nicht allzu ferner Zukunft die noch verbleibenden Ungereimtheiten, die Ludwigs mysteriösen Tod selbst mit wilden Gerüchten umranken, durch volle Akteneinsicht beseitigt werden können.
Rezensiert von Hans-Jörg Modlmayr
Heinz Häfner: Ludwig II. von Bayern. Ein König wird beseitigt
C.H. Beck Verlag, München 2008,
544 Seiten, 38 Euro
Aufgrund eines Gutachtens des Münchner Psychiatrie-Professors Bernhard von Gudden wurde Ludwig 1886 abgesetzt. Häfner zitiert die bayerische Verfassung von 1818, nach der ein König amtsenthoben werden konnte, wenn er unter einer unheilbaren geistigen Erkrankung litt.
In seinem interdisziplinär angelegten Forschungsprojekt untersucht Heinz Häfner Ludwigs Amtsenthebung. Als erster, unabhängiger Fachkollege von Dr. von Gudden überprüft Häfner jetzt die in Guddens Gutachten vorgebrachten 'Fakten'. Auch legt er den Obduktionsbefund kritisch unter die Lupe und vergleicht Ludwigs Fall mit anderen zeitgenössischen Absetzungen. Außerdem beschreibt Häfner, welche Kriterien zu Ludwigs Zeiten in der noch jungen Wissenschaftsdisziplin der Psychiatrie als Mindeststandards anerkannt waren.
Häfner legt dar, dass Guddens Gutachten weder den damals geltenden noch den heute üblichen Qualitätsstandards der psychiatrischen Wissenschaft entsprach und dass Guddens Gutachten auf einer klassischen Ferndiagnose basierte. Ludwig war nie sein Patient. Gut ein Jahrzehnt vor seiner Beauftragung hatte Gudden Ludwig zum letzten Mal gesehen.
Die Leser erfahren, mit welchen Methoden die Regierung Bayerns belastendes Material bestellt und erhalten hatte - und zwar auf Anstiftung von Ludwigs Onkel Luitpold. Auf dieser Grundlage wurde das Gutachten erstellt. Vorhandenes positives Material wurde unterdrückt. Zeugen wie sein Leibarzt, der ihn seit Geburt kannte, und die an ihm keinerlei Symptome einer Geisteskrankheit wahrgenommen hatten, wurden nicht gehört.
Zur "Verrückterklärung" passte auch die breit gestreute Behauptung, Ludwig habe schon seit Jahren seine verfassungsmäßig von ihm geforderten Amtsgeschäfte schwer vernachlässigt. Häfner legt minuziös dar, dass Ludwig bis unmittelbar vor seiner Verhaftung durch Gudden geradezu vorbildlich gewissenhaft alle seine sehr umfänglichen Staatsgeschäfte abgewickelt hatte.
Häfner zeigt, wie hier mit zweierlei Maß gemessen wurde. Ludwigs Vater König Max II. hatte sich ungestraft monatelang in Italien und Griechenland aufgehalten und seine von der Verfassung geforderten Pflichten missachtet. Die Staatsgeschäfte standen still, denn ohne seine Unterschrift unter tausend und mehr Akten lief nichts mehr.
Wo auch immer Heinz Häfner genau hinsieht, wird klar, dass Ludwigs Amtsenthebung ein erfolgreich kaschierter Staatsstreich war. Liest ein Laie - und die bisherigen Ludwig-Geschichtswissenschaftler sind medizinisch gesehen auch nur Laien - den Obduktionsbefund, so klingen all die verwendeten medizinischen Begriffe als seien sie objektiv. Für den Kollegen Häfner aber entpuppen sie sich vor dem Auge der Leser als hirnpathologische falsche Fährten und fallen in sich zusammen.
Narben an bestimmten Teilen des Hirns wurden von den Gutachtern als Beweis für Ludwigs seit vielen Jahren sich beschleunigende Geisteskrankheit gedeutet. In Wirklichkeit stammten sie aber von Ludwigs Meningitis, mit der ihn im Alter von sieben Monaten seine Amme angesteckt hatte. Die Amme starb an ihrer Gehirnhautentzündung, während Ludwig überlebte. Er litt aber zeit Lebens unter starken Kopfschmerzen, einer typischen Folgeerscheinung der Meningitis. Auch bei der Obduktionsanalyse kamen nur willfährige Wissenschaftler zu Wort.
Unabhängige Wissenschaftler sind in Sachen Amtsenthebung Ludwigs II. von Bayern auch heute noch nicht erwünscht. Im Hausarchiv der Wittelsbacher wurde Heinz Häfner die Einsicht in kritisches Quellenmaterial verweigert - eine nach der bayerischen Verfassung rechtswidrige Behinderung der freien Wissenschaft.
Bleibt zu hoffen, dass in nicht allzu ferner Zukunft die noch verbleibenden Ungereimtheiten, die Ludwigs mysteriösen Tod selbst mit wilden Gerüchten umranken, durch volle Akteneinsicht beseitigt werden können.
Rezensiert von Hans-Jörg Modlmayr
Heinz Häfner: Ludwig II. von Bayern. Ein König wird beseitigt
C.H. Beck Verlag, München 2008,
544 Seiten, 38 Euro