Ehre für Ibsen

Von Alexander Budde |
Henrik Ibsen ist einer der meistgespielten Dramatiker weltweit. In seiner norwegischen Heimat fühlte sich der streitbare Dichter unverstanden. Mit einer Festgala im Rathaus und einer Ausstellung begannen am Wochenende in Oslo die Feiern zum norwegischen Ibsenjahr anlässlich des 100. Todestages des Schriftstellers.
Vor dem Osloer Nationaltheater steht Henrik Ibsen auf seinem Sockel, mit wirren Haaren und Rauschebart, die Hände hinter dem Rücken gefaltet. Der Dramatiker schaut ernst bis missmutig in die kalte Winternacht. Unten macht Lars Wikdahl seine Aufwartung, mit einem Rosenstrauß in den zitternden Händen. Der betagte Schauspieler hat dem Jubilar seine besten Jahre geschenkt.

"Wir dürfen den Hut ziehen, vor dem da oben! Ibsen ist der größte Dramatiker, an den reicht keiner heran. Ich stehe seit 58 Jahren hier im Nationaltheater auf der Bühne: "Peer Gynt", "Die Wildente", "Gespenster". Ibsen kannte die Abgründe der menschlichen Seele. Neben allem anderen war er auch ein recht guter Psychologe."

Ein paar Schritte weiter, vor der Universität, kramt die Studentin Anne mühsam einige Bildungsbrocken hervor:

"Ich habe ein paar Stücke gesehen. Das ist schwere Kost. Abgesehen davon, dass er unser Nationaldichter ist, glaube ich aber kaum, dass er uns heute noch viel zu sagen hat."

Der Regisseur Bentein Baardson ist über solche Aussagen sehr betrübt, aber er wundert sich nicht darüber. Unser Nationaldichter gilt im Ausland mehr als bei uns, klagt der Organisator des Ibsen-Jahres 2006:

"In seinen Stücken geht es um Machtmissbrauch und Doppelmoral, um die Gleichstellung von Mann und Frau, um geschundene Kinder.
Egal welche Kultur und Hautfarbe – das sind hochbrisante Themen. Deshalb fanden wir es an der Zeit, dass die Welt nach Oslo kommt und uns zeigt, was Ibsen für die internationale Theaterszene bedeutet."

Fast 80 internationale Künstler sind dem Ruf ins winterkalte Oslo gefolgt.
Vom Schleiertanz-Ballett der Oper in Kairo zur Musik von Edvard Grieg über Ibsen-Rap aus Dänemark bis hin zum Auftritt der großen Film- und Theaterdiven Liv Ullmann, Angela Winkler und Isabel Huppert ist bei der allzu bunt geratenen Eröffnungsgala im Osloer Rathaus alles dabei.

Hedda Gabler ist in rote Seide gehüllt, hat das Haar zu einem kunstvollen Dutt aufgetürmt und trippelt in kleinen Schrittchen über die Bühne. Die Hauptfigur wird von Yu jun Zhou aus China gespielt. Henrik Ibsen ist in Asien kein Unbekannter und selbst zu seiner Zeit weit herumgekommen.

"Ibsen hatte ein sehr gespaltenes Verhältnis zu seiner Heimat. Er hat einmal gesagt, dass Norwegen ein freies Land sei, bevölkert von lauter Unfreien, die kleinen Gedanken nachgehen. Er selbst hat an die 30 Jahre im Ausland gewohnt. Doch die Bühne für seine Dramen, das ist Norwegen. Seine Figuren sind verstockt und kauzig und wagen den Aufbruch nicht. Und das ist wirklich sehr norwegisch."

Mit 30 zieht der Sohn eines Kaufmanns nach Rom, wohnt später mehr als 20 Jahre in München und Dresden. In dieser Zeit entstehen so berühmte Bühnenwerke wie die Familientragödien "Ein Puppenheim” und die "Wildente”. Im Mittelpunkt stehen Frauen, die nach Selbstverwirklichung und persönlicher Freiheit suchen. Als Feminist sieht sich der Dramatiker selbst aber nicht - auch, wenn es oft die mutigen Frauenfiguren sind, die mit seiner Theaterarbeit verbunden werden. Angela Winkler hat bei Peter Zadek im "Peer Gynt” die Aase gegeben und die abgründige Rebekka in "Rosmersholm” gemimt.

"Also die Rebekka fand ich eine ganz ganz schwere Rolle. Da ist so alles drin in dieser Rolle. Die ist eine Nonne, gleichzeitig eine Hure, die ist ein wildes Kind, ganz wild, ist eine Hexe. Die ist alles, das Weib an sich. Das war ja auch so die Frauenrolle am Anfang des letzten Jahrhunderts, wo alle baff waren. So etwas hatte man noch nicht gekannt als Frau. Und das war für mich unheimlich interessant, weil ich ja auch sehr unberechenbar sein kann."

Frauen, die wilde Tänze aufführen, und am Ende Mann und Kinder zurücklassen und in die weite Welt hinausziehen: Um Ibsens Frauenfiguren kreist auch eine beeindruckende Schau der Norwegischen Nationalbibliothek, mit Originalmanuskripten aus dem unerschöpflichen Fundus und Skulpturen der norwegischen Bildhauerin Nina Sundbye. Die Kuratorin Daniela Büchten:

"Hier sehen wir Nora in einer anatomisch eigentlich völlig unmöglichen Positur. Sie tanzt Tarantella, sie hält das Tamburin in der Hand. Das Tamburin sieht aus, als würde es jeden Moment aus ihrer Hand wegfliegen. Und sie sieht auch aus, als würde sie gleich vom Boden abheben."

Während des Ibsen-Jahres wird es mehr als 4000 Veranstaltungen in 72 Ländern geben. Die Norweger arbeiten bienenfleißig an einer neuen Edition des Gesamtwerks und locken mit brandneuen Produktionen zum Ibsen-Festival im Spätsommer. Dichterfreunde können auf ausgesuchten Kulturpfaden durch die raue norwegische Bergwelt ziehen oder im ägyptischen Wüstensand im Schatten der Sphinx einer bombastischen Inszenierung von "Peer Gynt" lauschen.

Für Trolle und Fabelwesen hat auch Angela Winkler ein Gespür. Und so sang sie auf der Gala in Oslo die alte Weise vom Elfenkönig.