Ehemaliger UN-Richter: Selbstinszenierung von Karadzic unterbinden
Die Gefahr, dass der ehemalige Führer der Serben in Bosnien-Herzegowina, Radovan Karadzic, den Strafgerichtshof als Bühne missbrauche, sei sehr groß, sagt der ehemalige UN-Richter Wolfgang Schomburg. Der Eindruck, dass sich Karadzic "wie ein Held" selbst verteidige, sei absolut irreführend.
Nana Brink: Heute beginnt vor dem UN-Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag der Prozess gegen den einstigen Führer der Serben in Bosnien-Herzegowina, Radovan Karadzic, und er muss sich für das Massaker an bis zu 800 Muslimen in Srebrenica sowie für weitere schwere Kriegsverbrechen während des Bosnien-Krieges in den 90er-Jahren verantworten. Der Prozess gilt nicht nur wegen des Vorwurfs des Völkermordes, sondern auch wegen unzähliger juristischer Probleme als einer der schwierigsten, der jemals in Den Haag geführt worden ist.
Wir sind jetzt verbunden mit dem Freiburger Professor Wolfgang Schomburg, bis Ende 2008 Richter am internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag. Schönen guten Morgen, Herr Schomburg.
Wolfgang Schomburg: Einen schönen guten Morgen nach Berlin.
Brink: Die Anklageschrift gegen Karadzic umfasst 40 Seiten. Hinzu kommen 1,2 Millionen Seiten mit Dokumenten zur Beweisführung für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen. Das klingt, als könnte Karadzic nicht mehr seiner gerechten Strafe entkommen. Ist das ein richtiger Eindruck?
Schomburg: Auf keinen Fall. Zunächst sollte man betonen, dass es eine ungeheuerliche Leistung ist, dass es überhaupt möglich ist, dass ein Mann wie Karadzic vor Gericht gestellt wird und dass in einem fairen Verfahren geprüft werden kann, sind die Vorwürfe, die von der internationalen Gemeinschaft gegen ihn erhoben werden, gerechtfertigt oder nicht. Es ist ein wenig irreführend, diese große Zahl von Dokumenten. Sie werden ja nicht alle in dem Verfahren eine Rolle spielen. Es geht darum, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, die schwersten Vorwürfe und diejenigen, die am leichtesten beweisbar sind, damit sich eben ein Fall Milosevic nicht wiederholt.
Brink: Ist denn das der Grund, weshalb der Fall Karadzic so schwierig ist für die Justiz?
Schomburg: Ich glaube nicht, dass der Fall besonders schwierig ist für die Justiz. Sie müssen nur sehen, das ist immer noch eine sehr junge Disziplin, auch nach 16 Jahren, und es kommen immer die verschiedenen Rechtskulturen und Vorstellungen, wie man ein Verfahren zu führen hat, zusammen. Dabei ist es nicht so einfach zu entscheiden, was der günstigste Weg ist. Hier, denke ich aber, sind wir inzwischen so weit, dass wir aus vielen, vielen anderen Verfahren, von denen die Öffentlichkeit weitgehend nichts weiß, sehr viele Beweismittel schon zusammengetragen haben und ein gesundes Fundament dafür besteht, dass zumindest nicht alles noch einmal wiederholt werden muss, sondern es nur darum geht, dass und inwieweit Herrn Karadzic die persönliche, die individuelle Verantwortlichkeit für dieses Taten zugeschrieben werden kann, denn das ist das ganz Wesentliche.
Die vielen "kleinen" Täter auf den unteren Ebenen sind ja, wie Sie in der Anmoderation zu Recht gesagt haben, bereits überführt, oder das Rechtsmittelverfahren ist anhängig. Will also sagen: viele, viele Zeugen sind schon zu Wort gekommen und das ist in der Tat ein Dilemma, was sehr oft aufkommt, dass Zeugen auch jetzt sagen, warum konnten wir denn in Den Haag nicht gehört werden, warum konnten wir unsere eigene schreckliche Geschichte oder die unserer Angehörigen nicht in Den Haag schildern. Die Justiz ist eine Möglichkeit der Aufarbeitung, aber sie kann nicht alles leisten. Sie kann leider nicht jeden Einzelnen hören und wenn das der schlimmste Vorwurf ist, der gegen uns erhoben wird, dass wir nicht alle einzelnen Zeugen gehört haben, dann ist das meines Erachtens doch ein gutes Resultat, denn wir haben ja viele, die bisher unberührbar waren oder zu sein schienen und frei von Strafverfolgung waren, schon zur Verantwortung gezogen und sie sitzen ihre Strafen in vielen Staaten dieser Welt ab.
Brink: Radovan Karadzic will sich unbedingt selbst verteidigen. Wie groß ist denn die Gefahr, dass der Strafgerichtshof auch von Menschen wie Karadzic gerade als politische Bühne genutzt wird?
Schomburg: Die Gefahr ist leider sehr groß und da muss ich sagen, dass ich mit der Mehrheitsmeinung des Tribunals, wie ich es auch oft in abweichenden Meinungen zum Ausdruck gebracht habe, überhaupt nicht einverstanden bin. Wir müssen sehen, dass es sich um ein so schwieriges Verfahren handelt, in dem eine sogenannte Selbstverteidigung schon aus rechtlichen Gründen nicht in Betracht kommt. Wie soll sich eine Person gegen eine derartige Vielzahl von Dokumenten verteidigen, über eine so lange Zeit und dann noch in und aus der Untersuchungshaft heraus? – Der Punkt ist aber, dass in Wirklichkeit Herr Karadzic ja hinter den Kulissen eine Armada von Verteidigern hat, die ihm zuarbeiten, die ihm auch aus dem Sitzungssaal heraus zuarbeiten, ihn coachen. Der Eindruck, der erweckt wird, wenn Sie heute möglicherweise und hoffentlich die Bilder sehen werden vom Eröffnungstag des Karadzic-Verfahrens, dass er dort sitzt und sich wie ein Held selbst verteidigt, ist absolut irreführend.
Brink: Dann hat er aber doch das Gericht im Würgegriff. Er verteidigt sich selbst, sagt aber auch, dass er den Prozess boykottieren will. Warum hat man ihm das gestattet?
Schomburg: Ich wäre hier einen anderen Weg gegangen. Ich habe das auch selbst zum Ausdruck gebracht. Aber das sind eben die verschiedenen Vorstellungen insbesondere im angloamerikanischen Recht, wo doch das "Recht", sich selbst zu verteidigen und ohne Verteidiger aufzutreten, sehr, sehr hochgehalten wird, wo bei uns es eine Selbstverständlichkeit etwa in Deutschland ist, dass einer Person, der schwere Straftaten vorgeworfen werden, ein Verteidiger beigeordnet wird und damit die Möglichkeit, den Gerichtssaal als Podium zu missbrauchen, sehr, sehr eingeschränkt wird. Wer dieses tut, wird dann auch des Gerichtssaals zu verweisen sein und dann wird ein Verteidiger, der gegebenenfalls auch ein Zwangsverteidiger ist, an der Stelle weitermachen müssen und der Angeklagte muss dann selber entscheiden, inwieweit hier er sich selbst verteidigen müsste. Toleranz ist hier falsch an der Stelle. Hier muss das Gericht auch zeigen, wer Herr im Gerichtssaal ist.
Brink: Professor Wolfgang Schomburg, bis Ende 2008 Richter am internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag, und wir sprachen über den Prozess gegen den Serbenführer Radovan Karadzic, der heute beginnt. Schönen Dank für das Gespräch.
Schomburg: Ich danke Ihnen.
Wir sind jetzt verbunden mit dem Freiburger Professor Wolfgang Schomburg, bis Ende 2008 Richter am internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag. Schönen guten Morgen, Herr Schomburg.
Wolfgang Schomburg: Einen schönen guten Morgen nach Berlin.
Brink: Die Anklageschrift gegen Karadzic umfasst 40 Seiten. Hinzu kommen 1,2 Millionen Seiten mit Dokumenten zur Beweisführung für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen. Das klingt, als könnte Karadzic nicht mehr seiner gerechten Strafe entkommen. Ist das ein richtiger Eindruck?
Schomburg: Auf keinen Fall. Zunächst sollte man betonen, dass es eine ungeheuerliche Leistung ist, dass es überhaupt möglich ist, dass ein Mann wie Karadzic vor Gericht gestellt wird und dass in einem fairen Verfahren geprüft werden kann, sind die Vorwürfe, die von der internationalen Gemeinschaft gegen ihn erhoben werden, gerechtfertigt oder nicht. Es ist ein wenig irreführend, diese große Zahl von Dokumenten. Sie werden ja nicht alle in dem Verfahren eine Rolle spielen. Es geht darum, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, die schwersten Vorwürfe und diejenigen, die am leichtesten beweisbar sind, damit sich eben ein Fall Milosevic nicht wiederholt.
Brink: Ist denn das der Grund, weshalb der Fall Karadzic so schwierig ist für die Justiz?
Schomburg: Ich glaube nicht, dass der Fall besonders schwierig ist für die Justiz. Sie müssen nur sehen, das ist immer noch eine sehr junge Disziplin, auch nach 16 Jahren, und es kommen immer die verschiedenen Rechtskulturen und Vorstellungen, wie man ein Verfahren zu führen hat, zusammen. Dabei ist es nicht so einfach zu entscheiden, was der günstigste Weg ist. Hier, denke ich aber, sind wir inzwischen so weit, dass wir aus vielen, vielen anderen Verfahren, von denen die Öffentlichkeit weitgehend nichts weiß, sehr viele Beweismittel schon zusammengetragen haben und ein gesundes Fundament dafür besteht, dass zumindest nicht alles noch einmal wiederholt werden muss, sondern es nur darum geht, dass und inwieweit Herrn Karadzic die persönliche, die individuelle Verantwortlichkeit für dieses Taten zugeschrieben werden kann, denn das ist das ganz Wesentliche.
Die vielen "kleinen" Täter auf den unteren Ebenen sind ja, wie Sie in der Anmoderation zu Recht gesagt haben, bereits überführt, oder das Rechtsmittelverfahren ist anhängig. Will also sagen: viele, viele Zeugen sind schon zu Wort gekommen und das ist in der Tat ein Dilemma, was sehr oft aufkommt, dass Zeugen auch jetzt sagen, warum konnten wir denn in Den Haag nicht gehört werden, warum konnten wir unsere eigene schreckliche Geschichte oder die unserer Angehörigen nicht in Den Haag schildern. Die Justiz ist eine Möglichkeit der Aufarbeitung, aber sie kann nicht alles leisten. Sie kann leider nicht jeden Einzelnen hören und wenn das der schlimmste Vorwurf ist, der gegen uns erhoben wird, dass wir nicht alle einzelnen Zeugen gehört haben, dann ist das meines Erachtens doch ein gutes Resultat, denn wir haben ja viele, die bisher unberührbar waren oder zu sein schienen und frei von Strafverfolgung waren, schon zur Verantwortung gezogen und sie sitzen ihre Strafen in vielen Staaten dieser Welt ab.
Brink: Radovan Karadzic will sich unbedingt selbst verteidigen. Wie groß ist denn die Gefahr, dass der Strafgerichtshof auch von Menschen wie Karadzic gerade als politische Bühne genutzt wird?
Schomburg: Die Gefahr ist leider sehr groß und da muss ich sagen, dass ich mit der Mehrheitsmeinung des Tribunals, wie ich es auch oft in abweichenden Meinungen zum Ausdruck gebracht habe, überhaupt nicht einverstanden bin. Wir müssen sehen, dass es sich um ein so schwieriges Verfahren handelt, in dem eine sogenannte Selbstverteidigung schon aus rechtlichen Gründen nicht in Betracht kommt. Wie soll sich eine Person gegen eine derartige Vielzahl von Dokumenten verteidigen, über eine so lange Zeit und dann noch in und aus der Untersuchungshaft heraus? – Der Punkt ist aber, dass in Wirklichkeit Herr Karadzic ja hinter den Kulissen eine Armada von Verteidigern hat, die ihm zuarbeiten, die ihm auch aus dem Sitzungssaal heraus zuarbeiten, ihn coachen. Der Eindruck, der erweckt wird, wenn Sie heute möglicherweise und hoffentlich die Bilder sehen werden vom Eröffnungstag des Karadzic-Verfahrens, dass er dort sitzt und sich wie ein Held selbst verteidigt, ist absolut irreführend.
Brink: Dann hat er aber doch das Gericht im Würgegriff. Er verteidigt sich selbst, sagt aber auch, dass er den Prozess boykottieren will. Warum hat man ihm das gestattet?
Schomburg: Ich wäre hier einen anderen Weg gegangen. Ich habe das auch selbst zum Ausdruck gebracht. Aber das sind eben die verschiedenen Vorstellungen insbesondere im angloamerikanischen Recht, wo doch das "Recht", sich selbst zu verteidigen und ohne Verteidiger aufzutreten, sehr, sehr hochgehalten wird, wo bei uns es eine Selbstverständlichkeit etwa in Deutschland ist, dass einer Person, der schwere Straftaten vorgeworfen werden, ein Verteidiger beigeordnet wird und damit die Möglichkeit, den Gerichtssaal als Podium zu missbrauchen, sehr, sehr eingeschränkt wird. Wer dieses tut, wird dann auch des Gerichtssaals zu verweisen sein und dann wird ein Verteidiger, der gegebenenfalls auch ein Zwangsverteidiger ist, an der Stelle weitermachen müssen und der Angeklagte muss dann selber entscheiden, inwieweit hier er sich selbst verteidigen müsste. Toleranz ist hier falsch an der Stelle. Hier muss das Gericht auch zeigen, wer Herr im Gerichtssaal ist.
Brink: Professor Wolfgang Schomburg, bis Ende 2008 Richter am internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag, und wir sprachen über den Prozess gegen den Serbenführer Radovan Karadzic, der heute beginnt. Schönen Dank für das Gespräch.
Schomburg: Ich danke Ihnen.