Ehemaliger BND-Chef kann geplante Ablösung Honeckers 1987 nicht bestätigen
Der ehemalige Chef des Bundesnachrichtendienstes (BND), Hans-Georg Wieck, kann nicht bestätigen, dass es 1987 auf sowjetischer Seite konkrete Pläne zur Absetzung Erich Honeckers gegeben habe.
Kirsten Lemke: Am Telefon begrüße ich jetzt Hans-Georg Wieck. Er war von 1977 bis 1980 Botschafter der Bundesrepublik in der Sowjetunion und in der Zeit, über die wir jetzt sprechen, war er Chef des Bundesnachrichtendienstes (BND), nämlich von 1985 bis 1990, genau in der Zeit also, als Gorbatschow in Moskau an der Macht war. Guten Morgen, Herr Wieck!
Hans-Georg Wieck: Guten Morgen, Frau Lemke!
Lemke: Herr Wieck, ein Putsch gegen Honecker im Jahr 1987 – wissen Sie etwas darüber, ob es solche Pläne tatsächlich gegeben hat?
Wieck: Das kann ich nicht bestätigen. Das, was sich abzeichnete, war, dass wie in den anderen Ländern des Vorfelds, also des Warschauer Paktes, die sowjetische Führung auch in der DDR Reformen wünschte, Reformen, die das Land, also die DDR, auf den Kurs der sowjetischen Außen- und Innenpolitik bringen.
Lemke: "Die Welt" stützt sich ja mit ihren Informationen auch vor allem auf Günter Schabowski. Hat er sich denn schon mal ähnlich geäußert in dieser Richtung, dass es da so etwas gegeben hat?
Wieck: Ja, es wird ja immer wieder danach gefragt, wer denn die potenziellen Reformer wären, die einen Kurs, einen Pro-Gorbatschow-Kurs durchsetzen können, und da war von Modrow und von Berghofer und eben auch von Markus Wolf die Rede. Der Markus Wolf ist Persona Gratissima in Moskau gewesen, also er war eine Schlüsselperson in der Verknüpfung der sowjetischen Vorstellungen mit Vorstellungen von politischen Figuren in der DDR.
Lemke: Was hatte Gorbatschow überhaupt gegen Honecker?
Wieck: Dass er halt ein Kritiker der Reformpolitik Gorbatschows war, und er argumentierte, dass die DDR schon alle die Reformen, die die anderen Länder noch machen müssen, schon durchgeführt habe und daher ein Reformkurs nicht erforderlich war.
Lemke: Aber war denn Honecker wirklich so wichtig, dass er Gorbatschow da regelrecht im Wege stand bei seinen außenpolitischen Bestrebungen?
Wieck: Nun ja, die DDR war ja nicht ein unwichtiger Teil des sowjetischen Systems. Hier standen 400.000 sowjetische Soldaten, die auch einen Machtfaktor darstellten, und wenn ein gegenüber der Reform kritischer Honecker darauf wartete, dass es zum Ende der Gorbatschow’schen Reformpolitik käme und eine traditionelle [Anm. d. Red.: Auslassung, da unverständlich] Linie wieder eingeschlagen werde, dann war das schon ein Risiko.
Lemke: Sie hatten ja gesagt, dass Markus Wolf tatsächlich in Moskau sehr gut angesehen war. Gibt es denn aus Ihrer Sicht Hinweise dafür, dass er tatsächlich Honecker selber gern beerben wollte?
Wieck: Das kann ich nicht bestätigen. Er stellte sich zur Verfügung für die neue sowjetische Außenpolitik, die auch eine Wirtschaftspolitik werden sollte, und dafür war er ein idealer Partner aus der Sicht der sowjetischen Führung.
Lemke: Und das, was "Die Welt" jetzt schreibt, dass nämlich damals 1987 der Rücktritt von Markus Wolf als Chef der Auslandsspionage der DDR gar nicht damit zusammenhing, dass er angeblich ein Buch schreiben wollte, sondern eben genau mit diesen politischen Ambitionen zu tun hat, können Sie dazu etwas sagen?
Wieck: Ja, das Buch ist sicherlich eine Façon de Parler gewesen, um die Sache nach außen hin darzustellen. Es hat immer eine Konfliktsituation zwischen ihm und Mielke gegeben, also es waren Spannungsverhältnisse da. Und ich kann das nicht bestätigen, weil wir das nicht wussten oder vielleicht nur noch [Anm. d. Red.: Auslassung, da unverständlich], dass er in die sowjetische Reformpolitik eingebunden werden sollte und da eine wichtige Funktion in der DDR ausüben sollte. Und das konnte er natürlich auch von Moskau aus tun, denn Verbindungswege sind dann ja offen gewesen. Also das hat sich hinterher mehr so dargestellt, insbesondere auch in der öffentlichen Veranstaltung auf dem Alexanderplatz Anfang November.
Lemke: November 1989, muss man dazu sagen.
Wieck: Ja.
Lemke: Wenn wir jetzt noch mal ins Jahr 1987 zurückgehen, wenn es da also irgendwelche Putschüberlegungen gegeben haben sollte …
Wieck: Sie sprechen immer von Putsch, das ist mir ein zu martialisches Wort …
Lemke: Also Überlegungen, Honecker abzulösen …
Wieck: Ja, eine Reformpolitik zu betreiben, die dann auch die Abwahl von Honecker involviert. Das ist eine Richtungsentscheidung gewesen, nicht eine Personenentscheidung.
Lemke: Wenn es solche Bestrebungen gibt, dann muss man ja auch immer sehen, dass man die Macht absichert, sprich, das Militär auf seiner Seite hat. Wie sah das denn in dem Fall aus?
Wieck: Das sowjetische Militär war auf der Seite der Gorbatschow’schen Regierung bis zum Beweis des Gegenteils. Das heißt, die sowjetische Armee stand nicht für die Unterwerfung eines Reformkurses zur Verfügung.
Lemke: War denn Gorbatschow überhaupt klar, dass ein Wandel wie auch immer in der DDR möglicherweise tatsächlich auch ein Schritt zur deutschen Einheit hin sein könnte?
Wieck: Nun ja, zur deutschen Einheit hin sicherlich auch, aber das ist ein Schritt schon zu weit. Er war ein Schritt zu Verhandlungen über Deutschland, denn die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten und Großbritannien und Frankreich hatten besondere Rechte in Deutschland, nämlich alle Fragen, die sich auf die Einheit Deutschlands beziehen, waren ihnen vorbehalten. Und wenn man diese Reformpolitik betreibt, die Gorbatschow betreibt, dann gehörte dazu auch letzten Endes Verhandlungen über Deutschland. Und bei diesen Verhandlungen über Deutschland würden die beiden deutschen Staaten, würden die beiden Regierungen eine Rolle spielen, und da brauchte Gorbatschow eine Reformregierung in Ostberlin.
Lemke: Und warum ist er dann letzten Endes mit seinen Bemühungen, zumindest zu dem Zeitpunkt 1987, gescheitert? War Honecker tatsächlich so mächtig, dass Gorbatschow sich an ihm die Zähne ausgebissen hat?
Wieck: Sie kaprizieren es auf das Jahr 87, das kann ich [Anm. d. Red.: Auslassung, da unverständlich] nicht bestätigen, dass im Jahr 87 etwas Bestimmtes herbeigeführt werden sollte im Sinne eines Staatsstreiches. Coup d'état oder Aufstand oder ein Putsch, das sind alles Begriffe, die nicht relevant sind, sondern es ging um die Orientierung des Landes, und dafür brauchte man Reformkräfte, und diese Reformkräfte müssten sich im Zentralkomitee und Politbüro artikulieren. Das war eigentlich die Planung.
Lemke: Wäre denn das, was da jetzt in der Zeitung als Geheimtreffen im März 87 in Dresden beschrieben wird, aus Ihrer Sicht also zu hoch bewertet?
Wieck: Nicht zu hoch bewertet. Ein wichtiger Schritt in der Entwicklung zu einer Reformbewegung in der DDR, die von der Spitze aus nicht gewollt war. Es gab andere Gruppierungen in der DDR, die eine Reform anstrebten, und das waren die Kreisleitungen der SED, denn die standen unter dem Druck der eigenen Parteigenossen und sie standen unter dem Druck der Bevölkerung, die alle mehr Bewegungsfreiheit wünschten, die auch nach dem Lebensstandard Westdeutschlands schauten. Und diese drängten genauso auf die Führung, auf die Zentrale hin, Reformschritte zu unternehmen.
Lemke: Der ehemalige Präsident des Bundesnachrichtendienstes Hans-Georg Wieck. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Wieck!
Wieck: Bitte schön!
Hans-Georg Wieck: Guten Morgen, Frau Lemke!
Lemke: Herr Wieck, ein Putsch gegen Honecker im Jahr 1987 – wissen Sie etwas darüber, ob es solche Pläne tatsächlich gegeben hat?
Wieck: Das kann ich nicht bestätigen. Das, was sich abzeichnete, war, dass wie in den anderen Ländern des Vorfelds, also des Warschauer Paktes, die sowjetische Führung auch in der DDR Reformen wünschte, Reformen, die das Land, also die DDR, auf den Kurs der sowjetischen Außen- und Innenpolitik bringen.
Lemke: "Die Welt" stützt sich ja mit ihren Informationen auch vor allem auf Günter Schabowski. Hat er sich denn schon mal ähnlich geäußert in dieser Richtung, dass es da so etwas gegeben hat?
Wieck: Ja, es wird ja immer wieder danach gefragt, wer denn die potenziellen Reformer wären, die einen Kurs, einen Pro-Gorbatschow-Kurs durchsetzen können, und da war von Modrow und von Berghofer und eben auch von Markus Wolf die Rede. Der Markus Wolf ist Persona Gratissima in Moskau gewesen, also er war eine Schlüsselperson in der Verknüpfung der sowjetischen Vorstellungen mit Vorstellungen von politischen Figuren in der DDR.
Lemke: Was hatte Gorbatschow überhaupt gegen Honecker?
Wieck: Dass er halt ein Kritiker der Reformpolitik Gorbatschows war, und er argumentierte, dass die DDR schon alle die Reformen, die die anderen Länder noch machen müssen, schon durchgeführt habe und daher ein Reformkurs nicht erforderlich war.
Lemke: Aber war denn Honecker wirklich so wichtig, dass er Gorbatschow da regelrecht im Wege stand bei seinen außenpolitischen Bestrebungen?
Wieck: Nun ja, die DDR war ja nicht ein unwichtiger Teil des sowjetischen Systems. Hier standen 400.000 sowjetische Soldaten, die auch einen Machtfaktor darstellten, und wenn ein gegenüber der Reform kritischer Honecker darauf wartete, dass es zum Ende der Gorbatschow’schen Reformpolitik käme und eine traditionelle [Anm. d. Red.: Auslassung, da unverständlich] Linie wieder eingeschlagen werde, dann war das schon ein Risiko.
Lemke: Sie hatten ja gesagt, dass Markus Wolf tatsächlich in Moskau sehr gut angesehen war. Gibt es denn aus Ihrer Sicht Hinweise dafür, dass er tatsächlich Honecker selber gern beerben wollte?
Wieck: Das kann ich nicht bestätigen. Er stellte sich zur Verfügung für die neue sowjetische Außenpolitik, die auch eine Wirtschaftspolitik werden sollte, und dafür war er ein idealer Partner aus der Sicht der sowjetischen Führung.
Lemke: Und das, was "Die Welt" jetzt schreibt, dass nämlich damals 1987 der Rücktritt von Markus Wolf als Chef der Auslandsspionage der DDR gar nicht damit zusammenhing, dass er angeblich ein Buch schreiben wollte, sondern eben genau mit diesen politischen Ambitionen zu tun hat, können Sie dazu etwas sagen?
Wieck: Ja, das Buch ist sicherlich eine Façon de Parler gewesen, um die Sache nach außen hin darzustellen. Es hat immer eine Konfliktsituation zwischen ihm und Mielke gegeben, also es waren Spannungsverhältnisse da. Und ich kann das nicht bestätigen, weil wir das nicht wussten oder vielleicht nur noch [Anm. d. Red.: Auslassung, da unverständlich], dass er in die sowjetische Reformpolitik eingebunden werden sollte und da eine wichtige Funktion in der DDR ausüben sollte. Und das konnte er natürlich auch von Moskau aus tun, denn Verbindungswege sind dann ja offen gewesen. Also das hat sich hinterher mehr so dargestellt, insbesondere auch in der öffentlichen Veranstaltung auf dem Alexanderplatz Anfang November.
Lemke: November 1989, muss man dazu sagen.
Wieck: Ja.
Lemke: Wenn wir jetzt noch mal ins Jahr 1987 zurückgehen, wenn es da also irgendwelche Putschüberlegungen gegeben haben sollte …
Wieck: Sie sprechen immer von Putsch, das ist mir ein zu martialisches Wort …
Lemke: Also Überlegungen, Honecker abzulösen …
Wieck: Ja, eine Reformpolitik zu betreiben, die dann auch die Abwahl von Honecker involviert. Das ist eine Richtungsentscheidung gewesen, nicht eine Personenentscheidung.
Lemke: Wenn es solche Bestrebungen gibt, dann muss man ja auch immer sehen, dass man die Macht absichert, sprich, das Militär auf seiner Seite hat. Wie sah das denn in dem Fall aus?
Wieck: Das sowjetische Militär war auf der Seite der Gorbatschow’schen Regierung bis zum Beweis des Gegenteils. Das heißt, die sowjetische Armee stand nicht für die Unterwerfung eines Reformkurses zur Verfügung.
Lemke: War denn Gorbatschow überhaupt klar, dass ein Wandel wie auch immer in der DDR möglicherweise tatsächlich auch ein Schritt zur deutschen Einheit hin sein könnte?
Wieck: Nun ja, zur deutschen Einheit hin sicherlich auch, aber das ist ein Schritt schon zu weit. Er war ein Schritt zu Verhandlungen über Deutschland, denn die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten und Großbritannien und Frankreich hatten besondere Rechte in Deutschland, nämlich alle Fragen, die sich auf die Einheit Deutschlands beziehen, waren ihnen vorbehalten. Und wenn man diese Reformpolitik betreibt, die Gorbatschow betreibt, dann gehörte dazu auch letzten Endes Verhandlungen über Deutschland. Und bei diesen Verhandlungen über Deutschland würden die beiden deutschen Staaten, würden die beiden Regierungen eine Rolle spielen, und da brauchte Gorbatschow eine Reformregierung in Ostberlin.
Lemke: Und warum ist er dann letzten Endes mit seinen Bemühungen, zumindest zu dem Zeitpunkt 1987, gescheitert? War Honecker tatsächlich so mächtig, dass Gorbatschow sich an ihm die Zähne ausgebissen hat?
Wieck: Sie kaprizieren es auf das Jahr 87, das kann ich [Anm. d. Red.: Auslassung, da unverständlich] nicht bestätigen, dass im Jahr 87 etwas Bestimmtes herbeigeführt werden sollte im Sinne eines Staatsstreiches. Coup d'état oder Aufstand oder ein Putsch, das sind alles Begriffe, die nicht relevant sind, sondern es ging um die Orientierung des Landes, und dafür brauchte man Reformkräfte, und diese Reformkräfte müssten sich im Zentralkomitee und Politbüro artikulieren. Das war eigentlich die Planung.
Lemke: Wäre denn das, was da jetzt in der Zeitung als Geheimtreffen im März 87 in Dresden beschrieben wird, aus Ihrer Sicht also zu hoch bewertet?
Wieck: Nicht zu hoch bewertet. Ein wichtiger Schritt in der Entwicklung zu einer Reformbewegung in der DDR, die von der Spitze aus nicht gewollt war. Es gab andere Gruppierungen in der DDR, die eine Reform anstrebten, und das waren die Kreisleitungen der SED, denn die standen unter dem Druck der eigenen Parteigenossen und sie standen unter dem Druck der Bevölkerung, die alle mehr Bewegungsfreiheit wünschten, die auch nach dem Lebensstandard Westdeutschlands schauten. Und diese drängten genauso auf die Führung, auf die Zentrale hin, Reformschritte zu unternehmen.
Lemke: Der ehemalige Präsident des Bundesnachrichtendienstes Hans-Georg Wieck. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Wieck!
Wieck: Bitte schön!