Edzard Reuter: Das sind unerträgliche Dimensionen

Moderation: Marie Sagenschneider · 12.12.2007
Der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Daimler Benz AG, Edzard Reuter, hält die Empörung über explodierende Managergehälter für berechtigt. Gesetzliche Regelungen zur Festlegung von Höchstgrenzen seien aber wohl nicht durchsetzbar, sagte Reuter. "Das ist eine Frage von Moral und Anstand."
Marie Sagenschneider: Da hat die SPD offenbar einen wunden Punkt getroffen. Die Wirtschaft nämlich macht ordentlich mobil gegen den Vorwurf, die Managergehälter seien viel zu hoch. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt hält die gesamte Debatte für überflüssig, ebenso wie Gesamtmetall-Chef Kannegiesser, der von einer Schnapsidee sprach. Manager, die Unternehmen an die Wand fahren und dafür noch hohe Abfindungen kassieren, das seien die Ausnahmen. Deshalb brauche es nicht gleich staatliche Regelungen für alle.
Viele sehen das anders. So schnell, wie sich das mancher erhofft hatte, ist die Forderung nach Höchstgrenzen für Managergehälter nicht vom Tisch, auch wenn man sich in der Politik, vor allem in der Großen Koalition nach wie vor uneins ist.
Ezard Reuter war von 1987 bis 1995 Vorstandsvorsitzender der Daimler Benz AG. Er hat stets darauf hingewiesen, wie wichtig soziale Verantwortung von Managern ist, und er ist nun am Telefon von Deutschlandradio Kultur. Herr Reuter, ich grüße Sie!

Ezard Reuter: Hallo, guten Morgen!

Sagenschneider: Halten Sie die Debatte auch für überflüssig?

Reuter: Nein. Ich halte die Debatte überhaupt nicht für überflüssig, wobei man natürlich etwas differenzieren muss. Aber die allgemeine Empörung, die ist ja nicht nur weit verbreitet, sondern die ist auch vollkommen berechtigt, denn es geht ja nicht nur um die Höhe von Abfindungen, wenn Unternehmen in Schwierigkeiten geraten und die betreffenden Herrschaften ausscheiden müssen, sondern es geht ja auch um die laufenden Bezüge bei erfolgreichen Unternehmen. Da gibt es inzwischen Dimensionen, die haben eine Höhe erreicht, die auch mir für absolut unerträglich erscheinen. Allerdings ist es berechtigt, zu sagen, gesetzlich kann man das nicht regeln. Das Ganze ist eine Frage von Moral und Anstand. Gesetzliche Regeln können ja auch steuerlicher Natur sein. Da gibt es ja Überlegungen und Versuche in dieser Richtung. Aber es wird nie gelingen, weil die Vielfalt der Möglichkeiten, Bezüge von Unternehmern oder Unternehmensangestellten zu gestalten, sind so groß, einschließlich der Möglichkeit, aus dem Ausland nachher etwas zu bekommen und so weiter, dass man das nie gesetzlich regeln kann. Das ist der typische Fall, wo man wirklich daran denken muss, dass die Beteiligten ein wenig sich Gedanken darüber machen, was anständig ist und was nicht anständig ist, denn die Gesellschaft als solche muss es ohnehin tun, nicht zuletzt auf dem Hintergrund des immer stärker werdenden Auseinanderklaffens zwischen Arm und Reich in unserem Lande.

Sagenschneider: Wenn ich Sie also richtig verstehe, also wenn Sie sagen, von staatlichen Regelungen halten Sie nichts oder glauben nicht, dass damit etwas erreicht werden kann, dann setzen Sie darauf, dass der Druck weiter aufrecht erhalten wird durch die Diskussion?

Reuter: Das finde ich für absolut richtig und notwendig, denn diejenigen, die meinen, diese Diskussion sei überflüssig, die haben glaube ich das Ohr nicht mehr ganz an den Notwendigkeiten, was in sozialer Hinsicht in unserem Lande geschieht. Die sollten vielleicht nicht mehr ganz in den so hohen Sphären sich rumtummeln, in denen sie vielleicht sind, sondern wirklich mal daran denken, was die normalen Menschen verdienen, viele von denen an der Grenze zur Armut. Gott sei Dank ist Deutschland immer noch ein reiches, wohlhabendes Land, aber viele, viele kommen inzwischen in eine sehr unangenehme Situation, was ihr Einkommen angeht. Auf der anderen Seite explodieren Bezüge von Managern in Größenordnungen, die sich kein Mensch mehr vorstellen kann und die vor allem auch nicht mit der eigenen Leistung und dem eigenen Verdienst etwas zu tun haben.

Sagenschneider: Versuchen wir es doch mal ein bisschen konkreter zu machen, Herr Reuter. Wenn Sie sagen, es ist eine Frage des Anstands, wie definiert sich dann der Anstand? Wo sollte die Höchstgrenze liegen und welche Kriterien könnte und sollte man da anlegen?

Reuter: Das ist eine gute Frage vor allem deswegen, weil sie gar nicht zu beantworten ist. Anstand, das ist sowieso ein Begriff, der ja nicht durch Kriterien definiert werden kann. Natürlich gibt es, wenn Sie wollen, als Inbegriff des Anstandes die zehn Gebote aus der Bibel, aber trotzdem zu beziffern, wann hört es auf und wann fängt es an, dass man unanständig ist oder anständig bleibt, das kann man eindeutig nicht beziffern. Das hat etwas damit zu tun, dass man als Beteiligter, als Betroffener wenn Sie wollen, eigentlich ein Gespür dafür hat, was man tut oder was man nicht tut.

Sagenschneider: Es ist aber ein bisschen schwierig, wenn jemand komplett die Bodenhaftung verloren hat und einfach sagt, das steht mir zu?

Reuter: Na ja, gut. Wenn sich jemand eindeutig jenseits der Grenze des Anständigen bewegt, dann muss die Gesellschaft darauf reagieren und den Mund aufmachen und nicht nur allgemein, sondern auch sehr konkret und sehr begründet sagen, Moment mal lieber Freund oder liebe Freundin, das ist nicht anständig, was du da tust, das überschreitet jegliche Grenzen und du verhälst dich unsozial. Das ist dann letzten Endes die Verantwortung von uns allen, auch von Ihnen oder von mir, beispielsweise mit solchen Menschen sich nicht gemein zu machen im gesellschaftlichen Umgang.

Sagenschneider: Nun ja, aber blöderweise muss man vielleicht für sie arbeiten. Das macht die Sache nicht leichter.

Reuter: Ja, gut. Dann muss man allerdings wohl auch den Mut haben, aufzustehen und zu sagen, du lieber Chef, was du da machst, ist unanständig. Schauen Sie, da kommen wir an ein dickes Problem, was in den deutschen Unternehmen natürlich eine große Rolle spielt: die Verantwortung, die die Betriebsräte und Gewerkschaften haben als Aufsichtsratsmitglieder. Denn letzten Endes werden ja alle diese Auswüchse, über die wir hier jetzt reden – ich sage noch einmal Auswüchse -, von Aufsichtsräten beschlossen und in den Aufsichtsräten sitzen auch Arbeitnehmervertreter, die in einer großen Zahl – ich möchte mal sagen fast in allen Fällen, die bisher bekannt geworden sind – diesen Dotierungen zugestimmt haben. Dann müssen die auch den Mut haben, endlich mal Nein zu sagen.

Sagenschneider: Da könnte man auch noch mal die Frage nach der Haftung stellen, wie man Manager, die Fehlentscheidungen treffen, die ein Unternehmen in den Sand setzen, stärker zur Verantwortung ziehen kann.

Reuter: Ja, gewiss. Da ist allerdings nun wiederum ein anderes Problem unseres Gesellschaftsrechts, unseres Aktienrechts ganz klar, denn es ist ja nie so, dass ein einzelner alleine die Verantwortung trägt. Es ist ja in der Aktiengesellschaft immer der gesamte Vorstand, der nach dem Gesetz gemeinsam die Verantwortung trägt. Das, was wir jetzt besprechen, gilt natürlich letzten Endes auch für die Bezüge des gesamten Vorstands, aber dann auch für die Haftung des gesamten Vorstandes. Das ist eindeutig.

Sagenschneider: Ich komme noch mal zurück auf die möglichen Kriterien für die Höhe von Managergehältern. Vielleicht könnte ja eines darin bestehen, dass man eine Relation herstellt zwischen dem, was die einfachen Beschäftigten im Schnitt verdienen, und das Management, dass man sagt zehnmal so viel.

Reuter: Das ist ja in manchen Ländern versucht worden. Es ist insbesondere auch in den Vereinigten Staaten so ein Versuch unternommen worden zu sagen maximal das 100-fache, 200-fache, 400-fache der Durchschnittsbezüge der normalen sonstigen Belegschaft. Das sind alles Kriterien, die nach meiner Überzeugung nicht ziehen, die nicht wirken und vor allem die nie durchsetzbar im Einzelnen sind, weil sie so nicht nachvollziehbar sind.

Sagenschneider: Mancher mit so richtig hohem Gehalt argumentiert ja, der Maßstab sei eben ein internationaler. In anderen Ländern werde eben so viel gezahlt. Dann müsse man quasi aus Reputationsgründen mithalten können. Schafft das Probleme oder würde das Probleme schaffen für deutsche Manager im Ausland?

Reuter: Dieses Argument finde ich so wunderschön, dass mir die Tränen kommen. Ich kenne natürlich diese Argumentation. Insbesondere in Deutschland wird ja immer wieder gesagt, sonst laufen uns die Manager weg und gehen ins Ausland. Ich habe ehrlich gesagt noch nicht die Heerscharen deutschstämmiger Manager gesehen, die plötzlich alle in die Vereinigten Staaten auswandern, weil sie dort mit viel weniger Diskussionen so hohe Bezüge einnehmen können. Ich halte das für einen absoluten Unsinn.

Sagenschneider: Wie ist denn Ihre Einschätzung, Herr Reuter? Glauben Sie am Ende wird diese Debatte fruchten, wird sich was verändern?

Reuter: Ich fürchte, dass es mal wieder ein Fall ist, wo eine Sau durchs Dorf gejagt wird und dann auch wieder schnell vergessen wird. Ich hoffe, dass das nicht der Fall ist, denn ich halte das Ganze für ein weitgehend auch wirklich ernstes und tiefgehendes gesellschaftliches Problem in unserem Lande. Deswegen darf diese Diskussion nicht zu Ende sein, es sei denn, die Garde derjenigen, die bisher gemeint haben, das spiele keine Rolle, was sie abkassieren, wird plötzlich vernünftig. Dann hoffentlich stirbt die Debatte auch wieder.