E wie Erlösung

    Von Jürgen Liebing |
    Wagner wünschte sich, die Kunst solle an Stelle der Kirche treten. Denn die Kunst könne als neue Religion für Erlösung sorgen von den Übeln dieser Welt.
    Mit dieser sonderbaren Aufforderung schließt das Bühnenweihfestspiel "Parsifal". Es ist Richard Wagners "Weltabschiedswerk", und somit sind es seine letzten musikalischen Worte, mit denen er der Nachwelt manches Rätsel aufgegeben hat.

    "Wagner hat über nichts so tief wie über die Erlösung nachgedacht: seine Oper ist die Oper der Erlösung. Irgendwer will bei ihm immer erlöst sein ... dies ist sein Problem."

    Kürzer und präziser kann man es nicht ausdrücken als es der Philosoph Friedrich Nietzsche in seinem Buch "Der Fall Wagner" getan hat, nachdem er vom Bewunderer zum Gegner des Komponisten geworden war.

    Schon in Wagners erster Oper "Die Feen" ging es um Erlösung, sie bleibt gleichsam ein roter Faden in seinem Werk. Beispielsweise im "Fliegenden Holländer", wo Erlösung nur durch Liebe stattfinden kann, durch die unbedingte Liebe einer Frau, die bereit ist, sich zu opfern für den über die Weltmeere herumirrenden Holländer, der nur alle sieben Jahre ans Land darf, auf der Suche nach Erlösung.

    Der fliegende Holländer ist eine Variante von Ahasver. Hat der Holländer beim Umsegeln des Kaps der Guten Hoffnung geflucht und wurde er deshalb dazu verdammt, bis zum Jüngsten Gericht über die Weltmeere zu segeln, so soll Ahasver Christus auf dem Weg zur Kreuzigung verspottet haben und deswegen zu ewiger Wanderschaft verdammt worden sein. Für Richard Wagner gibt es für die Juden nur einen Weg zur Erlösung:

    Wagner: "Nehmt rücksichtslos an diesem, durch Selbstvernichtung wiedergebärenden Erlösungswerke theil, so sind wir einig und ununterschieden! Aber bedenkt, daß nur Eines eure Erlösung von dem auf euch lastenden Fluche sein kann: die Erlösung Ahasver's, - der Untergang!"

    So endet letztlich die unsägliche Schrift "Das Judentum in der Musik", die Wagner zuerst unter Pseudonym veröffentlicht hat, später aber nochmals auf Drängen seiner Frau Cosima unter eigenem Namen.

    Selbst wenn man diesen "Untergang" nicht als physische Vernichtung deuten möchte, sondern "nur" als Aufgabe des Judentums, gleichsam als Verschwinden und Aufgehen im Christentum, bleibt dieser wagnersche Satz schwer verdaulich.

    Aber Wagner sieht auch das Christentum in der Krise, an die Stelle der Kirche soll nach seinen Vorstellungen die Kunst treten. Die Kunst als neue Religion, die Erlösung schafft von den Übeln dieser Welt.

    "Führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel", heißt es im Vater-unser. Richard Wagner schwingt sich auf zum Erlöser.

    Wagner: "Nur mit der Erlösung der egoistisch getrennten reinmenschlichen Kunstarten in das gemeinsame Kunstwerk der Zukunft, mit der Erlösung des Nützlichkeitsmenschen überhaupt in den künstlerischen Menschen der Zukunft, wird auch die Baukunst aus den Banden der Knechtschaft, aus dem Fluche der Zeugungsunfähigkeit, zur freiesten, unerschöpflich fruchtbarsten Kunstthätigkeit erlöst werden."

    Richard Wagner war stets ein Mann der großen Worte, darunter ging es bei ihm nicht.