E-Mails hören, Webseiten fühlen

Von Jens P. Rosbach |
Wir alle haben immer wieder mal Probleme mit dem Rechner – wir, die Sehenden. Umso schwerer haben es diejenigen, die nicht sehen können: die Blinden. Auch sie wollen Texte schreiben, Mails verschicken und im Netz surfen. Wie geht das - und wer hilft ihnen, wenn nichts mehr geht? Der blinde EDV-Experte Hasan Kárahasan gibt gezielten Förderunterricht.
Zwei Blinde am Computer.

Karahasan: "Ich wüsste gerne, was heute in der Zeitung steht. Probiere Google oder den Tagesspiegel!"

Dietrich: "Tagesspiegel-Punkt-de."

Computer-Sprachprogramm: "Tagesspiegel-Online/Gesellschaft. Microsoft-Internet-Explorer. Arbeitsagenturen vermitteln weniger."

Karahasan: "Arbeitsagenturen vermitteln weniger… So und jetzt mit dem Cursor weiter lesen!"

Computer-Sprachprogramm: "Link Berlin. Deutschland fehlen Spitzenkräfte. "

Unterricht bei Hasan Karahasan. Der 36-jährige EDV-Berater lauscht den Tippgeräuschen eines anderen Blinden und gibt ihm – ruhig, aber bestimmt - Surf- und Mail-Hinweise.

Karahasan: "So, du bist jetzt auf der rechten Seite des Bildschirms und hast zuvor die Ordnerliste Posteingang ausgewählt und kannst jetzt mit den Cursor-Tasten zwischen den Mails auf- und abwandern."

Dietrich: "Müssen wir doch wieder gucken…"

Computer-Sprachprogramm: "Posteingang. Outlook Express. Nachrichten-Liste. Hallo Eberhard! Sehen wir uns nächste Woche beim Tandem-Fahren? Ich war schon lange nicht mehr dabei und hätte Lust. Beste Grüße, Karl-Heinz. "

Karahasan zeigt die speziellen Blinden-Hilfsmittel: Da ist zuerst einmal die Zusatz-Tastatur, die Bildschirmtexte in Blindenschrift übersetzt. Und zwar über eine so genannte Braille-Zeile, in der sich dutzende Mini-Stifte auf- und abbewegen. Diese Stifte werden mit den Fingern abgetastet. Und schließlich gibt es noch den Screenreader - ein Programm, das Monitor-Texte vorliest.

Computer-Sprachprogramm: "Düsseldorf. Die Vermittlungsoffensive der Bundesagentur für Arbeit ist bislang wenig erfolgreich. Nach Arbeitsmarktsonderbericht…"

Der Spezialist arbeitet flink, doch um eine Webseite zu erfassen, braucht der Blinde ein paar Sekunden länger als sehende User. Denn jeder Link muss einzeln "begriffen" werden.

Karahasan: "Ich erinnere mich noch sehr gut daran, als ich zum ersten Mal am Computer saß. Ich war vielleicht zwölf, dreizehn, vierzehn Jahre als und begann mich, wie es in diesem Alter so üblich ist, natürlich für Fußball und Mädchen und was man da noch so hat, zusätzlich auch für Computer zu interessieren. Damals Anfang der 80er Jahre ging es um PCs wie Commodore C64 und Amiga und ähnliche. Der Unterschied war, dass meine Altergenossen und Freunde und Nachbarn erzählten, wie sie jeden Tag Spiele gespielt haben, ich aber rein theoretisch mir das nur anhören konnte. "

Hasan Karahasan ist ein Sohn türkischer Einwanderer und seit Geburt blind. Er ging in eine Schule in Norddeutschland, in der sehende und blinde Kinder gemeinsam lernen. Ende der 80er Jahre kaufte die Schule Tastaturen mit Braille-Zeile - somit konnte auch Karahasan den PC nutzen.

Karahasan: "Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre wurde es möglich, gedruckte Texte auf den Scanner zu legen und mithilfe des Computers sich vorlesen zu lassen. Ich weiß, ich habe in meinen Oberstufenjahren durchaus auch die Biologiebücher, die Englischbücher, die Lateinbücher auch schon auf den Scanner gelegt. Mithilfe des Computers war es mir möglich, an Informationen zu gelangen, die ich gar nicht oder nur mithilfe sehender Freunde und Bekannter hätte kriegen können. "

Der Schüler entwickelte sich bald zum ehrgeizigen Computerfreak. Karahasan absolvierte eine Ausbildung zum Informatik-Kaufmann, arbeitete für IT-Firmen und wurde schließlich EDV-Dozent beim Berliner Förderzentrum für Blinde und Sehbehinderte. Denn: Andere unterrichten – das hat ihm von klein auf gefallen.

Karahasan: "In der siebten Klasse kam mein Chemielehrer auf mich zu, nee, achte Klasse, und fragte mich, ob ich nicht einer Mitschülerin aus der siebten Nachhilfe geben wolle. Ich hab das dann getan – ich der Blinde hat der Sehenden Chemie und später Englisch und wieder anderen Mitschülern dann Deutsch vermittelt – das ist wohl so 'ne Sache, die in meiner Natur liegt, Wissen weiter zu geben, das auch gern zu machen und ich empfinde es als Dank, wenn jemand sagt, so wie du das erklärt hast: Ich hab's begriffen! "

Sprachausgabe: "Outlook Express. "

Dietrich: "Wir gehen auf O, Outlook Express... Schon ist er drin!"

Karahasan: "Stopp ihn mal bitte!"

Karahasan kämpft heute für ein "barrierefreies Internet" – für Webseiten, die so strukturiert und beschriftet sind, dass Blinde sie leicht "fühlen" und "hören" können. Denn häufig sind die Grafiken noch so gestaltet, dass selbst der Experte die Hilfe Sehender braucht. Manchmal ist es aber auch umgekehrt. Dann nehmen Sehende die Hilfe des Blinden in Anspruch: weil Karahasan viel mehr Geduld hat, wenn ein PC mal wieder "spinnt".

Karahasan: "Mitunter würde ein Sehender anfangen, einfach ziellos, wahllos mit der Maus hin- und her zu klicken, so lange, bis es irgendwie geht. Das können wir so nicht, damit verschlimmern und verschärfen wir eine Situation nur, wenn wir einen Folge- und Folgefolge-Fehler haben, dann kriegen wir das Ganze überhaupt nicht mehr in Griff. Wir müssen also ganz systematisch vorgehen, wir müssen das Problem so halbwegs wissenschaftlich untersuchen – unter welchen Umständen ist es aufgetreten – und dann zusehen, dass wir das Problem lösen. "