E-Books

"Einstiegsdrogen ins Lesen"

E-Book und Buch
E-Book und Buch © picture alliance / dpa / Simon Chavez
Sarah Khan und Chloe Zeegen im Gespräch mit Susanne Führer · 13.12.2013
Die Autorinnen Sarah Khan und Chloe Zeegen veröffentlichen für wenig Geld ihre Kurztexte als E-Book. Diese technische Entwicklung werde in Zukunft Einfluss auf das Schreiben haben, sagt Chloe Zeegen.
Susanne Führer: Der ziegelsteinschwere Roman und das E-Book, das scheint auf den ersten Blick wie ein Paar, wie geschaffen füreinander – aus schwer mach leicht. Doch die aktuellen Entwicklungen in der digitalen Verlagslandschaft zeigen, dass das Gegenteil geschieht: Vor allem die kurze literarische Form scheint sich als E-Book zu bewähren.
Marten Hahn gibt einen Überblick.
Führer: Und zwei Autorinnen, die gerade im Verlag Mikrotext jeweils einen Text publiziert haben, waren gestern bei uns im Studio. Sarah Khan, die schon mehrere Romane in gedruckter Form veröffentlicht hat, ihr E-Book heißt "Der Horrorpilz". Und Chloe Zeegen, deren auf Englisch geschriebenes E-Book den Titel trägt: "I love myself OK?". Beide Texte kann man für 1,99 beziehungsweise 2,99 kaufen, sich herunterladen, und ich habe die Autorinnen gefragt, ob sie fürs E-Book anders schreiben als für Papier. Zuerst Chloe Zeegen.
Chloe Zeegen: Für mich persönlich ist noch nicht sehr viel Neues dran. Klar, es hat diese kurzen Geschichten, und die könnte man vielleicht schwerer drucken, okay, und aber für mich ähneln E-Books immer noch Büchern aus der körperlichen Welt sehr. Die sehen auch so aus, quadratförmig, schwarzweiß, hier ist der Anfang, da ist das Ende, und ich glaube, wir schreiben noch nicht anders. In der Zukunft werden wir anders schreiben, glaube ich.
Führer: Ja, dazu kommen wir gleich noch. Frau Khan, haben Sie jetzt anders geschrieben für diese …
Sarah Khan: Also ich hab sicher ganz anders geschrieben. Also wenn es darum geht, dass man Leute das Fürchten lehrt, dann war das für mich schon auch interessant, sozusagen dieses Medium auch mit zu benutzen, das den Leuten dann sozusagen beim Halten des E-Books oder Smartphones oder auch am Computer – man kann die Geschichten ja auch auf seinen Computer runterladen, ob es jetzt ein Computer oder ein Apple-Gerät ist –, also für mich war das schon eine Anregung. Und dass es auch etwas ganz Normales ist, es ist sozusagen herkömmliches literarisches Denken, wenn man das Medium mit einbezieht.
Sarah Khan
Sarah Khan© picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler
Was ich sonst sehe, ist natürlich schon, dass es einen neuen Impuls für kurze literarische Texte gibt durch dieses neue Präsentationsmedium. Ich kenne es schon auch aus meiner Kindheit, da habe ich früher immer diese Pocket-Jeans-Büchlein von Schneider gelesen. Also kurze Texte sind immer irgendwie Einstiegsdrogen sozusagen ins Lesen. Und ich finde es witzig, dass man im Internet alle möglichen gesammelten Werke von Shakespeare bis sonstige Autoren, deren Urheberrechte verfallen sind, umsonst kriegen kann, und gerade bei den Texten, die neu sind, die kurzen, sagt man, ja hier 2,99 irgendwie, nimm‘s mit oder nicht, aber du musst schon zahlen, das finde ich irgendwie eine Emphase auf die Gegenwartsliteratur, die mir wichtig ist und wo man sagt, also ich lebe, ich leb mit euch, ich muss irgendwie leben. Da entsteht vielleicht auch eine Wertschätzung.
Führer: Sie haben gerade gesagt, Impuls für kurze literarische Geschichten. Da habe ich so eine Kritik gefunden Ihrer Geschichte, Chloe Zeegen, auf der Seite fixpoetry, also so eine Literaturkritikseite im Netz eben, und da heißt es dann – wo ihr Text sehr gelobt wird, "I love myself OK?": Sind wir mal ehrlich, unsere Aufmerksamkeitsspanne reicht doch ohnehin nicht mehr für komplizierte Plots. Also geht es dann so in diese Richtung, dass man dann immer nur noch so kurze Textchen schreibt, die man dann zwischen zwei U-Bahn-Fahrten lesen kann? Oder auf einer U-Bahn-Fahrt eher?
"Videospiele erwarten sehr viel von den Nutzern"
Zeegen: Obwohl ich mich sehr auch über diese Kritik auf fixpoetry freue, ich muss schon sagen, ich stimme dem gar nicht zu, dass wir uns nicht auf längere Zeit auf etwas konzentrieren können. Ich denke oft an Videospiele zum Beispiel. Na ja, Videospiele sind das Gegenteil, die erwarten sehr viel von den Nutzern. Du musst deine Fähigkeit aufbauen, du musst dich einarbeiten in die Geschichte, das dauert sehr viel Zeit, bis das passiert, manchmal. Um ehrlich zu sein, stimme ich dem nicht zu. Ich glaube, da liegt die Verantwortung mehr bei dem Künstler: Wie kann man die Leute auf längere Zeit auf Interesse halten.
Führer: Ich weiß ja auch nicht, ob Videospiele jetzt so die richtige Vergleichsgröße sind, also es gibt ja alle möglichen Untersuchungen, wie lange wir, wenn wir im Büro arbeiten, an einer Stelle bleiben. Und dann kommt die E-Mail, und dann kommt die App, dann kommt so-und-so und die Smartphones, und irgendwie sind wir immer auf drei Hochzeiten gleichzeitig. Und jetzt gibt es eben auch Geschichten, jetzt gibt es eben Literatur, so häppchenweise zu kaufen, zum Schnäppchenpreis, 2,99, die man sich dann so runterlädt zwischen zwei Songs. Sehen Sie das nicht als Gefahr, Frau Khan, oder sehen Sie es als Chance?
Khan: Mich interessiert es eher literarisch, als dass ich jetzt auf das Medium an sich setze. Ich glaube schon noch an das gedruckte Buch, ich kaufe Bücher zu Weihnachten und leg sie unter den Gabentisch, und nicht irgendwelche – ich weiß gar nicht, ob man das kaufen kann, irgendwelche Runterlad-Gutscheine – ich kann mir schon vorstellen, dass es irgendwann Tankstellen auch in Buchhandlungen gibt, und ich wäre auch sogar dafür. Aber ich denke mal, man muss es sich eher als so ein literarisches Feld vorstellen, ein Wettbewerb um Ideen und nicht um Präsentationsmöglichkeiten. Das wird sehr schnell sich setteln und dann geht es nur wieder um das: Was können Autoren und was können sie nicht, und was machen sie damit?
Führer: Wir versuchen ja so ein bisschen, so diese Frage zu beantworten, ob eben diese neue Form des Publizierens eben auch die Art zu schreiben beeinflusst. Und, Chloe Zeegen, Sie haben ja vorhin gesagt, bisher ist da ja kein großer Unterschied – so ein E-Book ist ja genauso etwas Abgeschlossenes wie ein gedrucktes Buch, hat einen Anfang und ein Ende. Und im Grunde genommen müsste es aber doch eigentlich anders sein. Wenn man diese vernetzte Internetwelt weiterdenkt, wie würde dann Ihrer Ansicht nach so ein E-Book dann aussehen?
Zeegen: Ich sehe das – wie werden wir Geschichten in der Zukunft erzählen? Wenn man die Debatte mit E-Books anfängt, dann ist man immer noch in dieser Buch-Idee. Und ich glaube, wenn man sich überlegt, wie wir vorher Geschichten erzählt haben, bevor Bücher sehr verbreitet waren, und das hat sich immer wieder entwickelt ein bisschen, organisch, auch nicht unbedingt bewusst. Die Geschichten haben sich so ein bisschen umgewandelt bei jeder Erzählung. Das wird zurückkommen, glaube ich.
Führer: Also Sie meinen jetzt so Geschichten, Sagen, die von Generation von Generation weitergegeben worden sind und es dann immer so eine kleine Änderung dann gegeben hat? Also nie abgeschlossen waren dadurch?
Zeegen: Genau, weil ich hab gestern mit jemandem geredet und wir haben gesprochen, irgendwie war das Buch eine Anomalie in der Geschichte, weil ein Buch ist sehr, also fast wörtlich schwarzweiß. Es hat einen Anfang, es hat ein Ende. Und so hat man vorher keine Geschichten erzählt. Und so tut man es auch eigentlich im Netz auch wieder doch nicht. E-Books, die werden dem mehr ähneln, glaube ich.
Führer: Das hieße dann interaktiv.
Zeegen: Interaktiv und organisch. Ich komme immer wieder auf dieses Wort "organisch" zurück.
"Es gibt keinen Volkserzähler"
Führer: Frau Khan, wie beurteilen Sie die …
Khan: Ich würde gerne erst mal widersprechen …
Führer: Ja, ja, genau. Wie beurteilen Sie diese Zukunftsvision? Das hängt ja miteinander zusammen.
Khan: Also diese These, dass es sozusagen so ein natürliches Erzählen gibt und dass das sozusagen gefesselt wurde von dem Medium Buch, das halte ich für absoluten Quatsch. Und ich muss sagen, es gibt keinen Volkserzähler, der irgendwo sozusagen die große Poesie, die im Volk schlummert… Man braucht immer Literaten dafür. Es gibt keine Erzählung, wenn sie nicht geformt, dramatisiert, sozusagen zum Schillern gebracht wird. Und dafür braucht man einfach Leute, die das können, die erzählen können, die das lernen, die sich damit beschäftigen. Ich glaube, das wird nie anders sein. Es gibt diese Crowd nicht, die irgendwie so Volksstimme und so weiter, die dann irgendwie große Poesie hervorbringt. So ist es und so bleibt es. Wir stehen in einem Wettbewerb als Autoren. Sonst wird man sozusagen … von diesen ganzen Massen von Hobbyautoren kann man sich nicht abheben.
Führer: Frau Zeegen, wenn man Ihre Idee zu Ende denkt, dann ist so die Idee des Künstlers oder der Künstlerin als einsame, einzelne kreative, möglicherweise geniale Person ist damit dann überlebt.
Zeegen: Genau. Und ich würde sagen, eigentlich sind wir nicht, Sarah und ich, wir reden nicht völlig von gegenseitigen Positionen, weil wie du den Schriftsteller beschreibst, und du hast auch selber gesagt, diese Person wohnt nicht auf einer Insel. Der hat mehr so eine Editor-Rolle irgendwie. Geschichten sind um uns herum, nicht unbedingt Geschichten mit Anfang und Ende, aber Meinungen, Ideen, die sind überall da. Und wie du auch sagst, der Schriftsteller ist eine Person, der das Talent hat, das irgendwie zusammenzufassen in einer Art, die räsoniert. Aber dieser andere Prozess, was davor passiert und auch danach, dieser Interpretationsprozess und dieser andere Prozess des gesellschaftlichen Dialogs, der ist zum Beispiel zurzeit bei einem Buch im Hintergrund oder unsichtbar. Und ich glaube immerhin, das wird sich ändern.
Führer: Wir werden sehen. Das waren erst mal zu Gast hier bei uns im Deutschlandradio Kultur, im Radiofeuilleton, Chloe Zeegen haben wir zuletzt gehört und davor Sarah Khan, die beiden Schriftstellerinnen, und danke Ihnen für Ihren Besuch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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