E-Book & Co.

Umblättern mit einem Augenzwinkern

Von Thomas Gith · 02.01.2014
Smartphones, Tablet-Computer und E-Books sollten so einfach wie möglich zu bedienen sein - indem man etwa nur kurz mit dem Auge blinzelt. Das zumindest finden Forscher an der Technischen Universität Berlin. Berührungslose Interaktion lautet das Schlagwort.
Ortsbesuch an der TU Berlin. In einem durch dicke Vorhänge abgedunkelten Raum, der mit künstlichem Licht hell ausgeleuchtete ist, sitzt Steffen Zander. Er hat auf einem gewöhnlichen Bürostuhl Platz genommen, die Hände auf die Beine gelegt und den Kopf konzentriert nach vorne gerichtet:
"Im Grunde sitze ich derzeit relativ ruhig da, aber ich sitze entspannt und ganz normal. Ich darf mich halt auch nicht verkrampfen, das kann durchaus zu Störeffekten führen."
Kopfhörer mit Spinnenbeinen
Zusätzlich hat Steffen Zander eine Art Kopfhörer aufgesetzt. Dort, wo normalerweise die Ohrmuscheln sind, hat das Gerät allerdings zwei Verästelungen, die aussehen wie Spinnen aus Plastik. Die Spinnenbeine sind über den ganzen Kopf verteilt, an ihren Enden sitzen kleine Elektroden. Es ist ein Neuroreader, sagt Jan-Niklas Antons von der TU Berlin:
"Wir erfassen elektrische Spannungsveränderungen, die beim Zwinkern, also beim zukneifen eines Auges entstehen. Können dann erfassen, ob das mit dem rechten Auge oder dem linken Auge erfolgt ist, und somit einen Steuerbefehl auslösen."
Über eine Bluetooth-Schnittstelle, also eine Funkverbindung für kurze Distanzen, ist der Neuroreader mit einem iPad verbunden. Die Idee: Wenn Steffen Zander mit dem Auge zwinkert, soll sich automatisch eine Seite auf dem iPad-Reader umblättern. Allerdings: Sich unwillkürlich bewegen oder unruhig umherrutschen darf die Versuchsperson nicht. Auch Sprechen ist unerwünscht.
Steffen Zander:"Durch Reden werden ja auch gewisse Muskeln im Kopfbereich genutzt und dadurch wird das gesamte Signal gestört. Das geht mit dem Reden nicht so gut."
Auf geht's zum Praxistest. Das iPad wird gut sichtbar auf den Tisch gelegt, der Reader aufgerufen und eine Analyse-App gestartet, die die Signale des Neuroreaders verarbeitet. Konzentriert blickt Steffen Zander auf das Display, liest ein paar Zeilen – und zwinkert dann stark mit dem rechten Auge. Nichts passiert – nur die Analyse-App gibt den Geist auf.
Steffen Zander: "Die App ist noch im Betastadium und daher ist die App vermutlich abgestürzt, während wir geredet haben. Muss man jetzt die App einfach mal neu starten und dann sollte es auch wieder gehen."
App im Betastadium
Gesagt, getan: Die Analyse-App wird neu gestartet, der Reader geöffnet und es wird losgelesen. Als Steffen Zander am Ende der Seite angekommen ist, zwinkert er stark mit dem rechten Auge – und diesmal blättert sich die Seite um. Die elektrischen Signale, die der Neuroreader dafür erfassen muss, sind extrem schwach. Jan-Niklas Antons:
"Die Spannungsschwankungen, die wir hier messen, liegen im Millivoltbereich, sind natürlich von Bewegungsartefakten und anderen physiologischen Signalen überlagert. Mit unserem Erkennungsalgorithmus jedoch können wir sehr genau bestimmen, ob mit dem rechten oder dem linken Auge gezwinkert wurde."
Auch das soll natürlich belegt werden. Also versucht Steffen Zander in schneller Folge einige Seiten im Reader umzublättern – nur mit einem Augenzwinkern:
"Also ich bin jetzt am Ende der ersten Seite und winke dann einmal mit dem rechten Auge (Pause) und schon ist er auf der nächsten Seite angekommen. Wenn ich jetzt noch mal auf die vorherige Seite lesen möchte, weil ich den Faden verloren habe oder so, mit dem linken Auge (Pause) dann geht er eine Seite wieder zurück."
Mehrere Seiten lassen sich so fehlerfrei vor- und zurückblättern. Wird nach dem Sprechen außerdem eine kleine Pause gemacht, kommt der Neuroreader auch damit zurecht. Die Anwendung funktioniert also, kann auch zwischen einem unwillkürlichen Blinzeln und einem bewussten, starken Augenzwinkern sicher unterscheiden. In der derzeitigen Form ist die Technik natürlich zu aufwendig, als dass sie im Alltag genutzt werden könnte. Doch über Lösungen wird nachgedacht.
Jan-Niklas Antons: "Die nächste größere Herausforderung in der Entwicklung ist, die Messtechnik, sprich die Elektroden, welche am Kopf angebracht werden müssen, so klein zu gestalten beziehungsweise in Schmuck oder einen Alltagsgegenstand zu integrieren, dass diese nicht mehr als Extrateile am Körper angebracht werden müssen."
Versteckte Minielektroden
Minielektroden könnten etwa in Brillen oder Kopfhörer integriert werden, sagen die Forscher – die ihre Entwicklung bei den Telekom Innovation Laboratories an der TU Berlin vorantreiben. Sinnvolle Anwendungsmöglichkeiten gibt es, glauben sie.
Jan-Niklas Antons: "In diesem Fall sind natürlich Situationen im Fokus, in denen entweder die Hände bereits verwendet werden oder eine Aktion mit den Händen gar nicht so gewünscht ist. Was bedeutet, ich kann zum Beispiel auch einen Anruf ablehnen, ohne dass ich das Gerät aus der Tasche nehmen muss. Oder zum Beispiel die Musik stoppen oder weiterschalten, ohne dass ich mit dem Gerät ansonsten interagieren muss."
Einfache binäre Befehle, wie etwa an-aus, vor-zurück oder hoch-runter, lassen sich dabei in verschiedenen Programmen mit einem Augenzwinkern steuern. Steffen Zander demonstriert das im Musikspieler:
"So, wenn ich dann die Lautstärke lauter machen möchte, dann mit dem rechten Auge - dann wird die Musik lauter. Und mit dem linken wird sie leiser."
Allerdings: Bei allen Programmen muss der Nutzer derzeit noch recht kräftig mit dem Auge zwinkern, damit der Befehl erkannt wird. Und Computerprogramme, die Augenbewegungen erfassen und als Befehle umsetzen, gibt es auch schon länger – etwa als Hilfscomputer für behinderte Menschen. Doch die Systeme unterscheiden sich.
Jan-Niklas Antons: "Im Kontrast zu unserer Methode, braucht man für dieses System eine Kamera, die auf die Augen des Nutzers ausgerichtet ist. Bei unserem System hingegen brauchen wir überhaupt keine Kamera, wir können dies mit Elektroden messen, die in der Nähe der Augen angebracht wurden."
Für Büro oder Freizeit ist das System der Berliner Forscher allerdings noch zu umständlich – doch zumindest im Labor funktioniert es bereits recht gut.
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