Durchwursteln statt Kapitulation

Dass ein Intendant wegen geplanter Einsparungen an seinem Etat zurücktreten will, sorgt für einiges Theater in den Feuilletons. Auch auf den Medienseiten geht es ums Sparen.
Friedrich Schirmer gibt auf. Die geplanten Einsparungen von 330.000 Euro am Schauspielhaus Hamburg könne er als Intendant nicht verantworten. Der TAGESSPIEGEL nimmt ihm das nicht ab: Die Vermutung liege nahe, meint Katrin Ullmann, dass der eigentliche Grund für den Rücktritt eine "nicht enden wollende" künstlerische Krise sei - seit Schirmers Amtsantritt sei es in Hamburg "nicht mehr richtig vorangegangen".

Das ist noch vorsichtig formuliert. Für die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG steht das Schauspielhaus "am Rande der Bedeutungslosigkeit", und Till Briegleb schüttelt den Kopf über die offizielle Begründung für Schirmers Rücktritt: Auch "mit 330.000 Euro weniger" lasse "sich noch große Kunst machen".

Darüber kann man streiten - und auch darüber, ob es die Aufgabe eines Theaterkritikers ist, in die Rolle eines Kulturpolitikers zu schlüpfen und schrumpfende Etats auch noch munter zu verteidigen. Gerhard Stadelmeier von der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG macht da auf jeden Fall nicht mit. Er weist darauf hin, dass nicht nur aus Hamburg ein Notruf komme, sondern auch aus Karlsruhe, wo das Badische Staatstheater von drei Sparten auf eine Sparte zusammengekürzt werden soll: "Es ist nur eine Frage der Zeit, wann es die nächsten [Häuser] erwischt", warnt Stadelmeier: "Die Schuldenbremse wirkt inzwischen auch als Theaterbremse."

Interessant ist, wo gekürzt wird - und wo nicht. Mammutprojekte haben Konjunktur. Die Kölner Oper zum Beispiel bringt Wagners gesamten "Ring" nach Shanghai, als Kulturbeitrag zur Expo. Die Literaturkritikerin und bekennende Opernfreundin Elke Heidenreich begleitet das Projekt mit einem "Tagebuch" in der FAZ und ist hin und weg von dem "gigantischen Unternehmen": Mehr als 300 Opernleute seien nach Shanghai geflogen worden, dazu 30 Container mit dem Bühnenbild der Inszenierung.

Wer für diesen groß angelegten Kultur-Transfer bezahlt, erklärt Elke Heidenreich uns nicht. Statt dessen erfahren wir einiges über Irritationen im Zeitalter der globalisierten Kultur: Die Kalaschnikow-Attrappen, die in der Inszenierung zum Einsatz kommen, werden in China als Gefahrengut behandelt, das nur mit schriftlicher Genehmigung den Requisiten-Container verlassen darf – und die Schäferhunde, die in Köln gerade mal ein halbwegs origineller Regie-Einfall waren, sollen in China vorsichtshalber durch "Statisten im Hundekostüm" ersetzt werden.

Wie auch immer diese Auseinandersetzung ausgeht: Kultur-Projekte bekommen offenbar vor allem dann Aufmerksamkeit, wenn sie monströse Züge tragen. Mit Wagner in Köln ist kein Staat zu machen, ein Export-"Ring" in Shanghai dagegen ist ein internationales Spektakel, dass es allein aufgrund seiner Dimensionen ins Feuilleton der FAZ schafft. So wird die ganze Welt zur Bühne, und die Frage ist eigentlich nur, wie die krisengebeutelten Zeitungen die Berichterstattung über diese Mega-Events eigentlich stemmen sollen - schließlich sitzt Elke Heidenreich nicht immer mit im Flieger.

Globalisierung liegt im Trend – ist als journalistische Perspektive allerdings auch ganz schön teuer. Die TAZ, die über Jahrzehnte hinweg ein solides Netz von Auslandskorrespondenten aufbieten konnte, hat darum 14 Pauschalisten in aller Welt neue, angeblich flexiblere Verträge verpasst. Dass die Korrespondenten daraufhin in den Streik getreten sind, diese Meldung findet sich auf fast allen Medienseiten vom TAGESSPIEGEL über die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG bis hin zu SPIEGEL ONLINE. Kein Wunder: Diese Auseinandersetzung, die die TAZ jetzt öffentlich führt, beherrscht natürlich auch die Redaktions- und Verlagshäuser in Hamburg, Frankfurt und München.

Die gute Nachricht ist, dass die TAZ einen Plan B in der Tasche hat: Die Redaktion plant die Gründung eines Vereins, der künftig Drittmittel für die Auslandsberichterstattung einwerben soll.

Vielleicht ist Friedrich Schirmer doch zu früh zurückgetreten: Nicht Kapitulation ist das Gebot der Stunde, sondern Durchwursteln.