Durchwachsener Auftakt

Top und Flop beim Kunstfest Weimar

07:04 Minuten
Ein Bild der Dramatikerin Sibylle Berg wird auf eine Hauswand projiziert.
Gebürtige Weimarerin: Texte würden generell überschätzt, sagt Sybille Berg. © Kunstfest Weimar
Von Michael Laages · 27.08.2020
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Das Kunstfest Weimar eröffnet seine Corona-Ausgabe mit zwei Uraufführungen – einer von Sibylle Berg und einer von Falk Richter. Erstere sei nichts als blöder Trash, letztere dafür ein richtig gutes Stück, urteilt unser Kritiker.
Als hätte das Virus dem Kunstfest Weimar nicht schon genug zugesetzt – die aktuelle Ausgabe musste virusbedingt vom Juni in den August verschoben werden. Und als das Festival nun tatsächlich eröffnet werden sollte, blies ein veritabler Sturm die erste Premiere sozusagen von der Open-Air-Bühne. So waren dann die beiden Uraufführungen zum Auftakt am selben Abend zu besichtigen. Und der Kontrast könnte stärker kaum sein.
Der erste Inszenierungsversuch mit dem neuen Text der gebürtigen Weimarerin Sibylle Berg hat das Zeug zur derben Enttäuschung, was allerdings nicht notwendigerweise an der Autorin liegt. Denn "Paul oder Im Frühling ging die Erde unter", die Coming-out-Erinnerung eines Jungen in tieferer Provinz, könnte Kraft und Atmosphäre entwickeln, wenn sie denn ernst genommen würde.

Berg/Mondtag: Nichts als blöder, blasser Trash

Regisseur Ersan Mondtag aber und vor allem Solodarsteller Benny Claessens (für den Bergs Text angeblich konzipiert worden ist) verkitschen die Fantasie zielstrebig und absichtsvoll zur Trash-Show. Claessens in verschiedenen Fummelklamotten mit viel bloßer Brust und nacktem Bauch darunter sowie mit endlos albernen Improvisationen über die "Sehnsucht nach Theater" zu Beginn, Mondtag mit an langen Haaren herbeigezogenen szenischen wie musikalischen Einfällen:
Nachbildungen des Goethe-und-Schiller-Monuments werden bemüht, das "in echt" ja vor dem Nationaltheater in Weimar steht. Durch Frau Berg heute spräche wohl der Goethe von damals… naja. Eine englische Telefonzelle steht nutzlos herum, und Claessens kommt lohengrinsend in einem Schwanenmodell hereingerollt: Schnickschnack überall, nichts als blöder, blasser Trash.
Bergs Text wird dazu vom Blatt gelesen und vom Tonband zugespielt. Aber zum Glück ist auch der Autorin, die zwischendurch mal kurz angerufen wird, die eigene Arbeit offenbar ziemlich egal: Texte würden generell überschätzt, Claessens könne ja auch ein bisschen was tanzen, wenn er nicht mehr weiter wisse…
Und all dieser Unfug ist nur dafür gut, dass sich das Festival noch einer Uraufführung rühmen kann. Derart zusammengeschludertes Zeug aber ist nur peinlich und beschädigt im Grunde den guten Ruf von allen Beteiligten.

Richter/Richter: Starker Text und richtig gutes Stück

Ganz anders und erheblich klüger gedacht und gemacht ist Falk Richters neuer Text in der Regie des Autors. "Five Deleted Messages" deliriert sich mit einem geschickten Kniff in die paranoiden Fantasien eines Schauspielers hinein, der im Lockdown alle Jobs und Perspektiven verliert – Faust sollte er spielen am Nationaltheater in Weimar –, jetzt dramatisch vereinsamt und zunehmend anfällig wird für gefährliches Geschwätz und haltloses Geschwafel nach Art der Demoparolen von Corona-Leugnern.
Immer tiefer spinnt sich die Figur, die auch noch wie bei Kafka "Herr K." heißt, in die Isolation hinein, als wäre mit Quarantäne und Lockdown das öffentliche Leben zum Erliegen gekommen. Der Stillstand aber ist in ihm, und immer bleibt es fünf Uhr nachmittags auf der Uhr von Herrn K.
Eigentlich spricht er nur noch mit sich selber, nachts nackt vor dem Kühlschrank und ins Eisfach hinein. Aus aktuellem Anlass fantasiert er sich noch in die Rolle des Retters von Tieren aus Massenhaltung und Massenschlachtung hinein, und diese Alpträume verunsichern ihn derart, dass das Potenzial zum Verschwörungstheoretiker in ihm beständig wächst.

Selbst der Spielraum wird hier zum Ereignis

Wer Gedanken und Motive demonstrierender Corona-Leugner noch immer gern "verstehen" würde, kann der psychopathologischen Verirrung in Einsamkeit und Verfolgungswahn mit Richters Text sicher gut folgen; zumal der Autor sie sehr geschickt spiegelt in der Entwicklung der klassischen Faust-Figur, an der Herr K. ja eigentlich gerade arbeitet.
Durch diesen Echoraum wird aus dem starken Text ein richtig gutes Stück. Natürlich auch durch das extrem reflektierte Spiel von Dimitrij Schaad, sowohl live als auch in den brillanten Videos von Chris Kondek. Und selbst der Spielraum wird hier zum Ereignis, weil Richter die Möglichkeiten des Innenhofs der alten Feuerwache in Weimar nutzt sowie die Fassaden drum herum, die zum alternativen Wohnprojekt verwandelt werden sollen. Mondtag und Claessens fiel auch dazu gar nichts ein.
Und so startet das Kunstfest Weimar unentschieden: mit Top und Flop.
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