Durchgedreht und zugedröhnt

Hunter S. Thompson wird auf einen Hochseeangel-Wettbewerb in die Karibik geschickt. Doch anstatt Fische aus dem Meer zu holen, hat er nach kurzer Zeit seine Mitangler vergrätzt und tritt eine drogendurchtränkte Rückreise an. Der Band „Die große Haifischjagd“ versammelt zahlreiche Reportagen des Erfinders des Gonzo-Journalismus und spiegelt ein Amerika in den 70er-Jahren wider, das von der Mehrheitsgesellschaft als abartig empfunden wurde.
Der Gonzo-Journalismus, mit dem Hunter S. Thompson Anfang der Siebziger berühmt wurde, war ein durchaus ernstgemeintes Konzept. Man vergisst das über der brutalen Komik seiner Geschichten ja oft. Wenn Thompson – wie in seinem berühmten Buch „Angst und Schrecken in Las Vegas“ – darüber schrieb, mit einem Kofferraum voller Drogen zu einer Konferenz der Bezirksstaatsanwälte zu fahren, ging es ja nicht nur darum, sich einen Spaß zu machen. Thompson wollte auch der Durchgedrehtheit der Verhältnisse die Durchgedrehtheit seiner Wahrnehmung entgegensetzen. Die USA waren im Vietnamkrieg, das Land war zerrissen, militante Teile der Bürgerrechts- wie Studentenbewegung hatte sich abgespalten und Richard Nixon war Präsident, ein Mann, der von seinen Gegnern gehasst wurde wie niemand seitdem – einmal abgesehen von George W. Bush. Natürlich ist „Angst und Schrecken in Las Vegas“ ein trotzdem umwerfend komisches Buch. Wie eigentlich alles, was Thompson geschrieben hat.

Auch „Die große Haifischjagd. Und andere seltsame Berichte aus einer unruhigen Zeit“, lebt von seiner überdrehten Drastik. Es ist eine Sammlung von Texten aus den Siebzigerjahren, die Thompson damals für den „Rolling Stone“ und den „Playboy“ schrieb und die nun in der sehr guten Übersetzung von Teja Schwaner erschienen ist. Texte aus den Jahren nach der Wiederwahl Nixons zum Präsidenten 1972, die Thompson ausführlich begleitet und beschrieben hatte – das Buch „Angst und Schrecken im Wahlkampf“ ist auch gerade herausgekommen.

Von diesen Monaten versucht sich Thompson in „Die große Haifischjagd“ zu erholen. Es klappt natürlich nicht, wenn er etwa in der Titel gebenden Geschichte, von seiner Redaktion zu einem Hochseeangel-Wettbewerb in die Karibik geschickt wird, es sich aber in kürzester Zeit mit allen Anglern verdirbt, keine Geschichte zustande bekommt, und am Schluss die Insel fluchtartig verlassen muss. Gut ein Drittel der Reportage besteht aus einer Beschreibung des Rückflugs, den Thompson und ein Kumpel damit zubringen, alle Drogen zu schlucken, die sie noch haben, um nicht von den Grenzbeamten erwischt zu werden.

Das lebt vom gekonnten Gefühl für das Groteske – wobei man in jedem Satz die tiefe Verzweiflung spüren kann, die Hunter S. Thompson antreibt. Nicht nur über den Zustand der Vereinigten Staaten – in jedem seiner Texte verdirbt irgendwann eine Erinnerung an Richard Nixon einen Drogentrip. Auch über seinen eigenen. Denn wer einmal angefangen hat, so plakativ und überzeugend seinen Körper hinzuhalten, wenn es um die Recherche seiner Themen geht, der kann damit nicht wieder aufhören. Thompson ist auch sein eigenes Abziehbild.

Wobei das verrückteste an diesen Reportagen aber noch nicht einmal die Art ist, wie Thompson diesen ganzen Wahnsinn aufschreibt, oder der Wahnsinn selbst – wenn man von Texten wie „Angst und Schrecken in Las Vegas“ auch nicht genug bekommen kann, ein schier endloser Text über Thompsons ewige Versuche, ein Interview mit Muhammed Ali zu bekommen, der in einem nächtlichen Überraschungsangriff auf den gerade entthronten Champion gipfelt, als der schwer besoffene Thompson sich mit einer Halloween-Maske über dem Kopf, am Leibwächter vorbei, in Alis Schlafzimmer schleicht. Es sind die Orte, in denen diese Texte erschienen sind. Noch verrückter ist, wie sehr diese Texte Teil einer amerikanischen Mainstream-Öffentlichkeit sein konnten. Sie erschienen im „Playboy“ und im „Rolling Stone“. Magazinen, die zwar nicht Teil von Mainstream-Amerika waren, aber doch eine ziemlich große Öffentlichkeit bildeten.

Es mag der westlichen Welt zum Vor- oder zum Nachteil gereichen – aber kein Magazin, ob in den USA oder in Europa, würde einen Autoren wie Hunter S. Thompson heute zu einem Politiker-Wahlkampf oder zu einer Sportveranstaltung schicken. Einen Drogen fressenden Irren mit dem Durchblick bedingungsloser Ehrlichkeit. Er dürfte nicht mal mehr von einem Rockfestival berichten.

Rezensiert von Tobias Rapp

Hunter S. Thompson: Die große Haifischjagd. Und andere seltsame Berichte aus einer unruhigen Zeit
Aus dem Amerikanischen von Teja Schwaner
Edition Tiamat, Berlin 2008
414 Seiten, 19,80 Euro