Durchgangslager in Niedersachsen

Das Tor zur Freiheit

Eine Familie geht am 27.08.2013 im Grenzdurchgangslager Friedland (Niedersachsen) am Pförtner-Haus vorbei.
Grenzdurchgangslager Friedland © picture alliance / dpa / Swen Pförtner
Von Ute Andres · 19.09.2014
Das Grenzdurchgangslager Friedland in Südniedersachsen ist ein besonderer Ort: Seit seiner Gründung im September 1945 fanden mehr als 4,5 Millionen Menschen hier die erste Zuflucht. Nun soll ein Museum diese Geschichten erzählen.
Der schmale, kleine Mann, den ich im früheren Bahnhof von Friedland treffe, trägt einen Mantel und eine Schirmmütze. Er sitzt mitten in einer Museumsbaustelle und erzählt seine Geschichte:
"Friedland ist für mich immer noch des Ende eines Martyriums und der Anfang einer neuen Freiheit."
Rolf Zick ist 93 Jahre alt. Als er 27 Jahre alt war, kam er aus jahrelanger Kriegsgefangenschaft in Russland zurück in seine Heimat, die er nicht wieder erkannte. Das war im Frühjahr 1948, drei Jahre nach Kriegsende:
"Friedland ist für mich immer noch einer der emotionalsten Plätze, die ich je erlebt habe. Denn wenn man nach drei Jahren Russland-Kriegsgefangenschaft hier nach Hause kommt, als ein Mensch, der kein Mensch mehr war, nicht mal eine Nummer war und dann hier empfangen wird als Mensch, hier wieder Mensch wird und dann hier zum ersten Mal nach Jahren in die Freiheit kommt, dann ist Friedland so ein Ort, den man nie im Leben wieder vergisst."
Krank und halb verhungert stand er im Frühjahr auf einem Acker unweit des Lagers Friedland, zehn Kilometer südlich von Göttingen. Hier trafen drei Besatzungszonen aufeinander: die russische, die amerikanische und die britische Zone. Genau an dieser Schnittstelle hatten die Briten im September 1945 eine Registrierstelle für Flüchtlinge und Kriegsheimkehrer eingerichtet – das Grenzdurchgangslager Friedland. Im Jahr 1948 war Rolf Zick einer von ungefähr 180.000 Kriegsheimkehrern, die Friedland erreichten:
"Wir haben uns untergehakt und haben sagt, das haben wir geschafft, dann werden wir den Rest auch schaffen. Als Schuhe hatten wir Holzbretter, Segeltuch draufgenagelt – das waren unsere Schuhe. Das war im April und so über den Acker, wir waren so ungefähr 300 Heimkehrer. Und dann kommen wir hier an den Schlagbaum und durch den Wellblechtunnel. Und da drüben stehen die Rotkreuzschwestern – und die sagen herzlich willkommen in der Heimat, herzlich willkommen in der Heimat. Und als die dann noch kamen, die Rotkreuzschwestern kamen mit Brot, deutsches Schwarzbrot mit Marmelade beschmiert – das hatten wir doch seit zehn Jahren nicht mehr gekannt – wir haben gedacht, wir sind im Himmel."
Marmeladebrote in Friedland und eine frisch bezogene Schlafstelle im Lazarett. Nach Krieg und Gefangenschaft war das für Rolf Zick der Neubeginn. Er blieb in Göttingen, wurde Reporter bei der örtlichen Zeitung und berichtete über jeden Heimkehrer-Transport, der bis 1955 im Grenzdurchgangslager eintraf:
"Und das hab ich gerade auch in Friedland erlebt – bei jedem Heimkehrer-Transport kamen Hunderte, meistens Frauen und Kinder mit großen selbstgemachten Schildern, Name drauf, habt ihr meinen Mann gesehen, habt ihr meinen Sohn gesehen. Das war so schrecklich."

Tausende Menschen kamen in dieser Zeit in Friedland an. 1945 waren es 8.000, ein Jahr später fast 45.000 Kriegsheimkehrer. Und immer dann, wenn ein Zug mit Heimkehrern ankam, läutete eine Glocke, die Friedlandglocke. 1955 traf der letzte Zug mit Soldaten in Friedland ein – nach zähen Verhandlungen hatte Bundeskanzler Konrad Adenauer die letzten 9.626 deutschen Kriegsgefangenen nach Hause geholt.
Kriegsheimkehrer nehmen im Lager Friedland eine Mahlzeit zu sich, im Hintergrund die als Nissenhütten bezeichneten Unterkünfte.
Kriegsheimkehrer nehmen im Lager Friedland eine Mahlzeit zu sich, im Hintergrund die als Nissenhütten bezeichneten Unterkünfte.© dpa
(Radioreportage 1955:) "Hell klingt die Glocke des Heimkehrerlagers Friedland zu uns herüber. Es ist ein schöner, warmer Herbstmittag und die Sonne verwischt die ernste, vielleicht ein wenig schwermütige Stimmung in Friedland."
... berichtet der Radioreporter Hans-Joachim Bade aus Friedland. Nach tagelanger Zugfahrt kamen die Männer aus dem russischen Lager Asbest an und wurden von Bundespräsident Theodor Heuss begrüßt:
"Liebe Landsleute, das Grußwort, das ich für das deutsche Volk zu sprechen habe, kann ganz einfach sein: ein herzliches Willkommen."
Den Zoo-Effekt vermeiden
Friedland wurde das "Tor zur Freiheit", eine Beschreibung, die abgenutzt wirkt und trotzdem passt. Mindestens aber markiert Friedland für viele einen Wendepunkt im Leben, den Neuanfang nach langer Ungewissheit. Und das galt damals ebenso wie heute, sagt Oliver Krüger, Projektleiter im niedersächsischen Innenministerium. Denn die Geschichte des geplanten Museums werde in Friedland täglich fortgeschrieben:
"Das ist die große Herausforderung des Museumsbetriebes, das ist auch ein Alleinstellungsmerkmal in Deutschland beim Aufbau von Museen und Gedenkstätten. Die Geschichte, die wir hier erzählen, wird in der Praxis 100 Meter weiter fortgeschrieben. Wir wollen damit sehr behutsam umgehen, um auch die Menschen, die als Flüchtlinge nach Deutschland kommen, die auch viel durchgemacht haben und traumatisiert sind, dass wir dort mit hoher Sensibilität aufeinander Rücksicht nehmen. Wir denken auch darüber nach, dass der Weg über den Museumspfad in pädagogischen Führungen gestaltet wird. Über den gesamten Planungen steht, wir wollen in keinster Weise eine Form von Zoo-Effekt."
15 Millionen Euro will Niedersachsen in das Museum investieren. Geplant sind drei Bauabschnitte, ein Museumspfad, später eine Akademie, in der auch zu Fragen der Flüchtlingspolitik debattiert werden soll. Herzstück aber wird ein Zeitzeugenprojekt im Bahnhof sein. Denn die Grundidee von Abschied, Ankunft und Neubeginn werde nirgendwo so treffend zusammengeführt wie in einem Bahnhof, wie in diesem Bahnhof, sagt der Berliner Museumskurator Joachim Baur:
"Abschied, Ankunft, Neubeginn – dieser Dreiklang ist eigentlich etwas, das ganz viele Gruppen und Geschichten, die hier in Friedland zusammenkommen, zusammenheftet. Abschied, Ankunft, Neubeginn – das trifft zu für die Vertriebenen, das trifft zu für die Kriegsheimkehrer, die irgendwo weggegangen sind und in einer neuen Gesellschaft angekommen sind, es trifft die Aussiedler, die seit den 1950er-Jahre kamen, das trifft zu für die internationalen Flüchtlinge. Dieser Dreiklang schafft etwas Verbindendes und diese verbindende Betrachtung von unterschiedlichen Gruppen, die einmal hier durch dieses Lager gegangen sind, das ist etwas, das uns interessiert und da steht der Bahnhof symbolisch dafür."
Für den ersten Museumsabschnitt im historischen Bahnhof hat das Land Niedersachsen das größte Zeitzeugenprojekt seiner Geschichte gestartet. Der Verein "Gedächtnis der Nation" zeichnet Interviews mit Frauen und Männern auf, die in den vergangenen 70 Jahren mit Friedland in Verbindung standen. Seit gut zwei Jahren kommt der silbergraue Zeitzeugenbus immer wieder ins Dorf – ein rollendes Fernsehstudio:
"Die Tasche können Sie da auch hinlegen, der Stuhl ist noch so bequem, aber er quietscht nicht. Das ist schon mal gut."
Herbert Schröder stellt seine Aktentasche ab, aber einen Ordner hält er in der Hand und wird ihn auch später nicht weglegen. Es sind die Lebenserinnerungen des 85-Jährigen. Er hat sie auf Drängen seines Sohnes hin aufgeschrieben. Der Titel: "Erinnerungen an Groß-Pomeiske – Auf der Flucht".
"Sie kriegen jetzt ein Ansteckmikrofon, das würde ich Ihnen gern unter den Pullover durchziehen und das kommt dann oben wieder raus, dann klemme ich Ihnen das da fest."
Vladimir Maijdanschitsch ist Kameramann im Zeitzeugenbus, er plaudert mit dem Gast:
"Herr Schröder, Sie bekommen ein wenig Puder, wo die Lampen glänzen, die Lampen sind recht stark. Das ist nicht schlimm, man sieht es gar nicht."
Das "Gedächtnis der Nation" sammelt und archiviert die persönlichen Erinnerungen von Frauen und Männern aus einem Jahrhundert. Die Idee dahinter: Neben der wissenschaftlichen Geschichtsforschung sind die erlebten Geschichten ein wichtiges Zeugnis für nachfolgende Generationen. Die mit einer Videokamera aufgezeichneten Gespräche werden aufbewahrt und ins Internet gestellt. Oder, wie im Fall Friedland, später im Museum gezeigt. Für das Friedland-Projekt wurden inzwischen 130 Interviews aufgezeichnet.
"So, nun kann ich die Brille wieder aufsehen? Ja, das Bild sieht gut aus, der Ton ist auch da, so bitteschön."
Der Gast aus Hamburg wird von Historiker Johannes Humann interviewt:
"Letzten Ende ist es so, dass so ein Gespräch nicht hundertprozentig durchgeplant ist. Manchmal fallen auch Zeitzeugen Dinge ein, an die sie schon lange nicht mehr gedacht haben – also insofern ist das eine halboffene Form. Ich habe zwar Fragen vorbereitet, aber am spannendsten finde ich es immer, wenn etwas passiert, was man vielleicht nicht so erwartet hat.
Herr Schröder, ich freue mich, dass Sie den weiten Weg von Kröppelshagen nach Friedland bei Göttingen hierhergekommen sind. Sie sind in Groß Pommeiske in Hinterpommern geboren, können Sie mal erzählen, wie Sie dort die ersten Jahre ihrer Kindheit verbracht haben."
Herbert Schröder berichtet von seiner Kindheit in Ostpommern, vom Leben auf dem Hof des Großvaters und vom Kriegsbeginn im September 1939, als plötzlich so viele Soldaten im Dorf waren:
"Anfang 45 rollte dann die Ostfront an, richtig, und dann hieß es, wir müssen packen, es geht los. Am 21. Januar 1945 wurde ich noch von der Hitlerjugend eingezogen und da mussten wir Pimpfe alle antreten und wurden noch auf unseren Führer vereidigt. Wir waren noch stolz drauf, so ungefähr war es damals."
Nach Kriegsende 1945 kam Herbert Schröder mit einem Flüchtlingszug in der Nähe von Friedland an. Kurz vor dem Lager, erinnert er sich, hätten Einheimische gestanden, die das Gepäck der Flüchtlinge gegen Geld ins Lager bringen wollten. Aber Geld hatten die Flüchtlinge auch keines.
So wie Ute Lutze, die heute in der Nähe von Göttingen lebt. Sie floh bei Kriegsende mit Mutter und Geschwistern aus ihrer Heimat in Pommern:
"So Achtung, jetzt machen wir mal die Vorhänge zu, geht gleich los.
Meine Mutter wusste nun nicht, was wir machen sollten, und dann kam der Bescheid, dass wir ausgewiesen werden sollten, weil wir 1938 nicht in dem Dorf gelebt hatten. Naja, und dann sind wir halt los und wieder lange unterwegs gewesen, immer in Postwagen und ich weiß auch nicht, wie lange wir unterwegs waren, für mich war das alles unheimlich lange, und da sind wir bis Nordhausen gekommen und da ging es nicht weiter."
Ein paar Tage saß die Familie in Nordhausen im heutigen Thüringen. Auf einem Pferdewagen ging es nach langem Warten weiter in Richtung Westen:
"Es kamen ja auch Heimkehrer schon mit. Und wir hatten einen dabei, einen jungen Bauernjungen aus dem Rheinland, das können Sie sich nicht vorstellen, wie der aussah – das sah aus, als wenn ein Toter, ein Gerippe, ein Totengerippe auf dem Kutschbock saß. Ich hoffe, dass dieser Mann durchgekommen ist, das war so furchtbar."
Ute Lutze war damals zwölf Jahre alt, aber den fremden Jungen auf dem Wagen hat sie nicht vergessen:
"Und als wir dann in Friedland ankamen, haben die erst mal unseren Koffer rausgeschmissen, der ist aufgebrochen und alles lag im Schmutz. Da waren dann so Nissenhütten, da kriegten wir eine Strohschütte zum Schlafen und dann wurden wir entlaust, kriegten so ein Entlausungspulver vorn und hinten in den Ausschnitt gespritzt, dann wurden wir registriert."
Lebensgeschichten wie die von Rolf Zick oder Ute Lutze sollen die Besucher heranführen an die "schwere Kost um Krieg, Flucht, Vertreibung und Neubeginn", sagt der Projektleiter für das Museum, Oliver Krüger:
"Wir wollen den Betrachter auf einer emotionalen Ebene erreichen, dass hinter den Zahlen, Flüchtlingszahlen, oder abstrakt, wenn man von Kriegen und kriegerischen Auseinandersetzungen weltweit hört, dass man dieses Abstrakte aus den Nachrichten runterbricht auf das Individuelle und auch sieht, wir wollen ein Verständnis bilden für Menschen mit anderem kulturellem Hintergrund, dass wenn die Menschen nach Deutschland kommen und dort eine neue Heimat finden, so ein bisschen auch den Boden für eine gemeinsames Zusammenleben, das Fundament wollen wir legen."

Die Familie von Joachim Mrugalla hat in Deutschland ihre Heimat gefunden. Deutschland ist immer das Land ihrer Träume gewesen. Joachim Mrugalla wurde vier Jahre nach Kriegsende im heutigen Polen geboren, in Opole. Für die deutschstämmige Familie blieb es Oppeln, Oppeln in Oberschlesien:
Eine rumänische Familie von "Spätaussiedlern" aus Lovrin bei Temesvar kurz nach ihrer Ankunft in Friedland im März 1990.
Eine rumänische Familie von "Spätaussiedlern" aus Lovrin bei Temesvar kurz nach ihrer Ankunft in Friedland im März 1990.© dpa / picture alliance / Wolfgang Weihs
"Das war selbstverständlich, dass meine Eltern ausreisen wollten und natürlich wir als Kinder dann mit. Und deshalb: Die Genehmigung war da aus den 50er-Jahren, aber die letztendliche Ausreise gelang uns erst im Juli 71."
Joachim Mrugalla war fast 18, als er nach Deutschland kam. Einer von mehr als 28.000 Aussiedlern und sogenannten rückgeführten Deutschen, die allein 1971 über Friedland in die Bundesrepublik kamen. Für den jungen Joachim öffnete sich in Friedland eine neue Welt:
"Was habe ich hier erlebt im Lager? Ich habe einen Farbfernseher gesehen. Kann man jetzt schmunzeln darüber, war in der damaligen Zeit etwas Besonderes – übrigens auch in der Bundesrepublik. Was hab ich sonst noch gesehen? Wunderschöne Autos, 200 auf der Autobahn bin ich mit meinem Onkel gefahren, der hat uns hier in Göttingen zum Essen eingeladen. Das ist die Erinnerung an die ersten Tage in der Bundesrepublik."
Viele Jahre später kam Joachim Mrugalla nach Friedland zurück, um hier zuarbeiten. Seit 1990 leitet er die Außenstelle des Bundesverwaltungsamtes, das ist die Behörde, die Familie Mrugalla 1971 als Deutsche registriert hat:
"Bin jetzt zuständig, und das erfüllt mich mit besonderem Stolz, für die Verwaltung des Registrierscheines meiner Eltern. Der ist irgendwo unten bei den 28.000 Leitzordnern, die wir da noch haben."
Registrieren, Erstversorgen, Hoffnung geben
An den Aufgaben des Grenzdurchgangslagers hat sich in den 70 Jahren Lagergeschichte nichts geändert: Registrieren, Erstversorgen, Hoffnung geben. Hinter jedem Aktenzeichen, sagt Joachim Mrugalla, steckt ein menschliches Schicksal – alle, die hier ankamen, suchten eine gute Zukunft, viele gaben ihre Heimat dafür auf. Seit 1950 kamen rund 4,5 Millionen Aussiedler nach Deutschland, die meisten aus Kasachstan oder der Ukraine. Allein 1990, ein Jahr nach dem Mauerfall und der Öffnung des Ostens, kamen 400.000. Hochzeit in Friedland.
Alte Mütterchen mit Kopftuch und junge Familienväter standen Schlange in der Kantine oder vor der Lungen-Untersuchung. Noch heute hängen überall im Lager stumme Zeugen dieser Zeit: Die Hinweistafeln in den Sammelunterkünften oder auf den Toiletten sind auch in kyrillischer Schrift verfasst. Neben den Aussiedlern kamen viele Flüchtlinge aus aller Welt: 1956 Ungarn-Flüchtlinge, in den 70er-Jahren Boat-People aus Vietnam. Sie wurden in Friedland mit offenen Armen empfangen.
Kontrovers diskutiert wurde aber die Aufnahme von Chilenen. Kommunisten wollte man eigentlich nicht hier haben. Einige wurden dann doch aufgenommen. So wie Payo Orellana. Nach dem Putsch des Diktators Pinochet wurde er in Chile verfolgt und 1974 ins Gefängnis gebracht. Irgendwie kam er frei und nach Friedland:
"Ich weiß bis heute nicht, warum ich aussortiert wurde. Das war Zufallsprinzip. Mit mir wurden damals 80 Leute befreit und wurden vorgelagert in Argentinien und warteten auf irgendein Land, das uns aufnehmen konnte. Das Ganze wurde organisiert vom Hohen Kommissariat für Flüchtlinge der Uno. Das war ein absoluter Zufall, man hat nicht die Möglichkeit und auch nicht Absicht gehabt zu wählen, ich möchte dahin, nein."
Er habe nicht gefragt, wohin die Reise geht, nicht überlegt, ob er Deutschland gut findet oder deutsches Essen mag. Er habe nur die helfende Hand ergriffen:
"Da winkt eine Zuflucht. Also ab dahin! All diese Fragen sind absolut nicht so schlimm, können nicht so schlimm sein wie das, was hinter uns liegt als Flüchtlinge."

Unterricht in der Schule des Grenzdurchgangslagers Friedland: Mädchen und Jungen aus Syrien lernen zählen, die Buchstaben des deutschen Alphabets, und die Wochentage. Nebenan singen die jüngeren Kinder, sie malen, lernen, sich vorzustellen und "Guten Tag" und "Auf Wiedersehen".
Eine syrische Familie bei ihrer Ankunft in Friedland im September 2013.
Eine syrische Familie bei ihrer Ankunft in Friedland im September 2013.© dpa / picture alliance / Swen Pförtner
"Wie heißen die Wochentage? Versteht ihr die Frage? Ja. Ihr versteht die Frage, wie heißt du..."
Lehrerin Svetlana Steirika hat früher vor allem Kinder von Spätaussiedlern unterrichtet – seitdem die Flüchtlinge aus Syrien nach Friedland kommen, unterrichtet sie syrische Kinder. Die Kinder kommen gern, sagt sie, sie wollen lernen, zusammen das machen, was Kinder in diesem Alter machten sollten: lachen, toben, singen. Nach den Kriegserlebnissen in der Heimat, Flucht in den Libanon und der Ankunft in Friedland geben die paar Stunden in der Schule dem Alltag der Kinder eine Struktur.
Zum Unterrichtsende kommen die Kinder aus allen Klassen in einem großen Raum zusammen, stellen sich im Kreis auf und singen. Nur ein Junge steht nicht dabei, er sitzt abseits, hat die Beine auf den Stuhl gezogen und guckt abwesend in den Raum. Der Zehnjährige hat eine Kriegsverletzung – eine Gewehrkugel hat sein Bein getroffen. Manchmal ist der Krieg in Syrien in Friedland ganz nah.
Der Syrer Amin Samar und seine Familie gehören zu den sogenannten syrischen Kontingentflüchtlingen – das sind die 20.000 Syrer, die in Deutschland ein vorübergehendes Bleiberecht bekommen. Amin Samar ist ein ausgewählter Mann – und froh, in Sicherheit zu sein:
"Also ich hatte in Syrien einen Laden, meine Kinder sind zur Schule gegangen, wir haben ein normales Leben geführt, aber – bis der Krieg ausbrach, dann war es für uns nicht mehr möglich, dort zu bleiben und wir sind in den Libanon geflohen, dort haben wir auch in Angst gelebt. Jetzt sind wir froh, in Deutschland zu sein und Gott sei Dank sind wir hier wohlauf."
Auch Saba Sakis und ihre Familie sind glücklich, nach Krieg und Flucht in Friedland zu sein. Die Augen der jungen Frau strahlen, wenn sie erzählt:
"Es geht uns sehr gut und den Kindern auch, seit wir in Deutschland sind, ich fühle mich, dass ich neu geboren bin."
Im Hof spielen syrische Jungen und Mädchen Verstecken, ihre Väter stehen zusammen, rauchen. Bis vor einigen Jahren haben hier vor allem Frauen und Männer aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten gestanden oder in den 50er-Jahren haben hier auf dem Platz Frauen und Kinder die aus dem Krieg heimgekehrten Väter begrüßt. Im Jahr 2014 kommt eine Frau vorbei – vollkommen verhüllt im schwarzen Tschador. Auch ihre Geschichte wird im Museum Friedland einen Platz haben. Das Museum werde eine Bereicherung sein, eine großartige Chance, die deutsche Geschichte mit der Lebenserfahrung verschiedener Menschen zu verknüpfen und erlebbar zu machen, sagt der langjährige Leiter des Grenzdurchgangslagers Friedland, Heinrich Hörnschemeyer:
"Ich glaube, dass Themen wie Flucht, Vertreibung, Neubeginn, Migration Dinge sind, die uns in Zukunft beschäftigen. Friedland hat sich den Namen das Tor zur Freiheit erworben. Und wenn man an die Aufnahme von Flüchtlingen aus Syrien denkt, könnte ich mir keinen besseren Ort vorstellen als Friedland. Der Ort, dessen Name schon Frieden in sich birgt, der für Freiheit und Sicherheit steht, das ist schon etwas, was auch Symbolkraft hat."
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