Durchfahrverbote für alte Diesel

Aufatmen in Hamburg?

Schilder verkünden Fahrverbote für Diesel-Fahrzeuge in Hamburg
Schilder verkünden Fahrverbote für Diesel-Fahrzeuge © dpa / Daniel Bockwoldt
Von Axel Schröder · 31.05.2018
In Hamburg schaffen Verkehrsschilder Tatsachen: Sie weisen an zwei Straßen Fahrverbote für Dieselautos aus, die nicht die strengste Abgasnorm erfüllen. Das soll helfen, Grenzwerte für giftiges Stickoxid einzuhalten. Aber die Maßnahme ist umstritten. 
Charlotte Lill atmet auf. Die ältere Dame wohnt in einem Seniorenstift in Hamburg direkt an der Max-Brauer-Allee. Und seit Jahren engagiert sie sich für bessere Luft vor ihrer Haustür. Die im Internet veröffentlichten Werte für Stickstoffdioxid kennt sie gut.
Und die Grenzwertüberschreitungen bei diesem gesundgefährdenden Stoff ebenso: "Seit acht Jahren sind die Werte hier sowas von erhöht. Und sie sind seit Jahrzehnten erhöht. Nur, dass nicht gemessen wurde. Das ist der Unterschied: jetzt wird gemessen. Und wir können täglich verfolgen im Internet, stündlich sogar, wie sich das entwickelt."

Wieviel Grundgesetz steckt im Fahrverbot

Stickstoffdioxid führt vor allem bei älteren Menschen, Kindern und Jugendlichen zu Schleimhautreizungen. Asthmatische Beschwerden treten bei den Betroffenen heftiger auf. Nach Studien der Helmholtz-Gesellschaft steigt die Gefahr, an Diabetes zu erkranken, wenn dauerhaft zu viel Stickstoffdioxid eingeatmet wird.
Die beiden Strecken, auf denen nun die Durchfahrverbote seit Mitternacht gelten, sind eng begrenzt: Auf der Max-Brauer-Allee gilt das Verbot auf einem 580 Meter langen Abschnitt für PKW und LKW, die nicht die Schadstoffnorm Euro 6 erfüllen. Auf der vierspurigen und ebenso von Wohnhäusern gesäumten Stresemannstraße gilt das Verbot nur für entsprechende Laster auf 1,7 Kilometer Länge. Hamburgs Umweltsenator Jens Kerstan verteidigte nun die Durchfahrtbeschränkungen. Ohne diese Maßnahme seien die Stickstoffdioxidwerte nicht einzuhalten: "Dieseldurchfahrtbeschränkungen sind ein starker Eingriff in Eigentumsrechte von Bürgerinnen und Bürger, die verfassungsrechtlich geschützt sind, die man nicht so einfach 'mal eben verhängen kann, die man auch nicht einfach so überall verhängen kann. Sondern es geht darum, die Gesundheitsinteressen der Bevölkerung, die auch durch das Grundgesetz geschützt sind – und die aus unserer Sicht höherrangige Rechte als Eigentumsrechte sind – gegen Eigentumsrechte und verkehrliche Belange abzuwägen."
Tatsächlich würden durch die Ausweichverkehre nun an anderen Orten die Belastungen steigen, so Jens Kerstan. Nach den Berechnungen unabhängiger Gutachterbüros aber nicht so stark, dass auch dort die Grenzwerte überschritten werden.

Abgestuft und angemessen

Den Durchfahrtverboten voraus ging eine umfassende Analyse der Situation durch Verkehrsexperten. Dass der Senat danach die vor allem bei Autofahrern unpopuläre Maßnahme durchgesetzt hat, liegt vor allem an den Gerichtsurteilen, die Anwohner der schwer belasteten Straßen zusammen mit dem Bund für Umwelt und Naturschutz angestrengt haben. Manfred Braasch vom BUND begrüßt die Fahrverbote. Ausreichend seien sie aber nicht: "Die Fahrverbote, die heute Umweltsenator Kerstan für Hamburg verkündet hat, sind ein Schritt in die richtige Richtung, ganz klar! Aber das reicht aus meiner Sicht nicht, weil wir an anderen Teilen Hamburgs eine sehr hohe Belastung mit Stickoxid haben und passiert relativ wenig."
Bestätigt wurde die Zulässigkeit von Fahrverboten auch durch das jüngste Urteil des Leipziger Bundesverwaltungsgerichts. Die Verbote müssten allerdings abgestuft und angemessen konzipiert werden. Deshalb gibt es eine ganze Reihe von Ausnahmen von den Hamburger Diesel-Durchfahrtverboten: Anwohner und Besucher von Anwohnern sind davon nicht betroffen. Auch Pizzaboten, Taxifahrer, Busse oder Handwerker, die einen Auftrag vor Ort haben, sind auch mit alten Diesel-Modellen vom Durchfahrtverbot ausgenommen.

Die CSU und der Bürgerwille

Die harsche Kritik an den Durchfahrtbeschränkungen durch Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer konterte Hamburgs Umweltsenator Jens Kerstan: "Wenn Bundesverkehrsminister Scheuer möchte, dass diese Dieselfahrverbote aufgehoben werden, dann ist er derjenige, der sofort dafür sorgen kann, indem er Nachrüstungen zu Lasten der Autokonzerne anordnet. Ich finde es äußerst bedauerlich, dass ganz offenkundig das CSU-geführte Bundesministerium in der Priorität die Gewinne der Autokonzerne wichtiger sind als die gesundheitlichen Belange der Bürgerinnen und Bürger an den betroffenen Straßen und an den Wertverlusten der Dieselfahrzeugbesitzer, die ja von den Autokonzernen betrogen wurden."
Diejenigen, die seit Jahren den viel zu hohen Stickstoffdioxidkonzentrationen ausgesetzt waren, hoffen nun darauf, dass sich die Luftqualität schnell verbessert. Heute, am ersten Tag der Durchfahrtbeschränkungen war der zulässige Wert von 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid mit 82 Mikrogramm um mehr als das Doppelte überschritten.
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