Durch die Steppe Kasachstans

Von Jörg Taszman · 11.12.2007
Ein Mann um die 40 steigt aus, fährt ins ferne Kasachstan und stiefelt allein durch die Steppe. Für den Regisseur Volker Schlöndorff ist das eher ein ungewöhnlicher Filmstoff. Doch weil aus seiner großen Literaturverfilmung "Die Päpstin" nichts wurde, widmete er sich ganz dem kleinen Projekt aus Kasachstan. Das Ergebnis kommt als "Ulzhan" in die Kinos.
Er raucht eine dünne Zigarre und hat keine Streichhölzer dabei. Volker Schlöndorff gibt sich gut gelaunt und ist gespannt, wie sein neuer Film "Ulzhan" nun aufgenommen werden wird. Er freut sich, mit X-Filme einen guten Verleih gefunden zu haben, bedauert jedoch, dass es kaum Plakate und keine Fernseh- und Radiowerbung für seinen Film gibt.
Dafür hat ihm der Verleih eine Kinotour organisiert, und nun wird Schlöndorff in den nächsten Tagen seinen Film persönlich in sieben deutschen Städten - unter anderem in Dresden, München und Hamburg - vorstellen. Für Schlöndorff ungewöhnlich ist die Geschichte. Ein Mann um die 40 steigt aus, fährt ins ferne Kasachstan, will nur allein sein und stiefelt durch die Steppe wie einst Harry Dean Stanton in "Paris-Texas" von Wim Wenders.

"Na, das war für mich ganz klar, das ist beinahe wie ein Zitat, auch der schönste Moment von Paris Texas: dass da einer durch die Wüste kommt und quer über die Straße und weiter durch die Wüste. Harry Dean Stanton. Und obwohl ich ganz andere Filme mache als der Wim, hab ich viele seiner Filme sehr, sehr gemocht: diesen und 'Alice in den Städten' und den 'Himmel über Berlin' natürlich.
Aber ich habe ja immer andere Geschichten erzählt, beziehungsweise ich habe mich eben mit Romanen auseinandergesetzt, und da muss man ja viele komplexe Erzählstränge bedienen und die Konflikte aufbauen und abbauen und die Themen behandeln. Oder es ist Geschichte oder es ist Politik, und da hat man ja nie die Freiheit, jemandem mal einfach nur so zu folgen durch die Wüste, um zu sehen: was wäre, wenn er jetzt einer schönen Nomadin begegnet."

Es klingt schon ein wenig nach Altherrenfantasie, wenn sich der 76-jährige Drehbuchautor Jean-Claude Carriere eine Geschichte ausdenkt, in der ein lebensmüder Franzose in den Weiten Kasachstans von einer jungen Nomadin zurück zum Leben geführt wird.
Aber glücklicherweise hat sich der eher nüchterne Volker Schlöndorff noch ins Drehbuch eingemischt, und so ist es eher eine platonische Liebesgeschichte geworden. Mit dem 42-jährigen französischen Hauptdarsteller Philippe Torreton fand Schlöndorff dazu eine optimale Besetzung. Torreton, der einst von Schlöndorffs Freund dem Regisseur Bertrand Tavernier für das Kino entdeckt wurde, lobt dann auch die Zusammenarbeit mit dem deutschen Filmemacher.

"Es gab da eine Form der Zusammenarbeit, die noch bereichernder für mich war als die Arbeit mit Bertrand Tavernier. Dabei geht es jetzt nicht darum, dass der eine talentierter als der andere wäre, sondern ich hatte zum ersten mal in meinem Leben das Gefühl, einen Film mit jemandem zusammen zu machen - und nicht nur in einem Film von jemandem mitzuspielen. Das ist ein wichtiger Unterschied.

Wir haben diesen Film jeden Tag zusammen entwickelt, auch wenn es ein gut geschriebenes Drehbuch von Jean Claude Carrière gab. Aber Carrière sagte uns selber: 'Nehmt das Buch nur als Theorie, und nun geht in die Praxis. Macht, was ihr wollt, verändert das Buch, zerreißt es. Auf jeden Fall muss sich dieses Drehbuch dem Land anpassen - und nicht Kasachstan dem, was ich geschrieben habe.'"

Der Film ist vor allem in seinem ersten Drittel wirklich überzeugend, wenn man indirekt auch etwas über das Land, die Ausbeutung seiner Ölfelder, die Retortenstadt Astana erfährt. Volker Schlöndorff gibt freimütig zu, nicht einmal gewusst zu haben, wo dieses zentralasiatische Land, das fast so groß ist wie Indien, aber nur 13 Millionen Einwohner hat, überhaupt liegt. Die Dreharbeiten gestalteten sich dann als schwierig.

"Das war menschlich wunderbar. Das sind spontane Nomaden. Es war professionell katastrophal. Die wollen nicht planen oder können nicht planen. Sie haben einfach auch nicht die Ausbildung, diese Art Filme zu machen. Sie haben ab und zu sowjetischen Zeiten einen Film gemacht. Das dauerte dann drei Jahre. Dann wird eine Sequenz gedreht, und dann wird drei Wochen die nächste Sequenz vorbereitet. Also: die fielen aus allen Wolken, als wir gesagt haben, wir wollen das hier in acht Wochen abdrehen, und es wird jeden Tag gedreht."

Auch wenn Volker Schlöndorff den verwöhnten Regisseur aus dem Westen heraushängen lässt, gibt er durchaus selbstkritisch zu, dass er ja eigentlich einen Film habe drehen wollen, in dem es darum ginge, sich wieder Zeit im Leben zu nehmen, zu verweilen und Trauer wieder zu zulassen. So stehen die Herstellung des Films und seine Aussage im absoluten Widerspruch zueinander, meint Schlöndorff lachend.

Ernster wird der Filmemacher, wenn man ihn auf das gescheiterte Projekt "Die Päpstin" anspricht. Im Sommer war er von Bernd Eichingers Constantin Film gefeuert worden, weil er sich als Regisseur eines Mischprojekts sah, das Kinofilm und Mehrteiler war und so befürchtete, zum Schludern gezwungen zu werden. Aber gab es nicht Beispiele in der Filmgeschichte, dass Fernsehmehrteiler und Kinofilme wie bei Ingmar Bergmans "Fanny und Alexander" durchaus kompatibel sein können?

"Bergman ist Bergman, und Fanny und Alexander war von vornerein als eine Fernsehserie angedacht, und er hat dann daraus diesen Spielfilm gemacht, weil es eben so gut war. Aaber das war nicht eine mehr oder weniger zynische Finanzierungsspekulation. Und vor allen Dingen habe ich gesehen und gerochen und gespürt, dass dann als nächstes alle Fernsehmehrteiler sagen: wir machen einen Kinozusammenschnitt und kommen damit an die Kinoförderungen.

Denn der ganze Streit war kein ästhetischer Streit, was mir sehr Recht gewesen wäre, sondern das war nur ein Streit um Fördermittel. Und der geht erst richtig los, wenn das neue Filmförderungsgesetz verabschiedet wird. Wie wird da definiert, was ist ein Kinofilm und was ist ein Fernsehfilm?"

Diesen Kampf für das Kino und gegen das Fernsehen mag Schlöndorff verloren haben, aber er wirkt weder resigniert noch nostalgisch. Alle haben es heute schwerer, Filme zu machen, auch Hans Weingartner oder Tom Tykwer, meint Schlöndorff. Mit "Ulzhan" konnte er nun immerhin einmal wieder stilistisch überraschen, und so gönnt man Volker Schlöndorff auch wieder einen großen Film. Es muss ja nicht gleich wieder eine Literaturverfilmung sein.
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