Durch China auf dem Weg zu sich selbst
An seinem 26. Geburtstag bricht Christoph Rehage, Student an der Pekinger Filmhochschule, auf. Sein Ziel: Von Peking nach Hause, ins niedersächsische Bad Nenndorf, wandern. Er kommt bis Ürümqi, in die Hauptstadt der Uiguren in Westchina. Er braucht dafür 360 Tage, läuft dabei 4646 Kilometer, dokumentiert das während der Reise täglich im Internet und bietet nun im Buch das Beste aus einem langen Jahr.
Der Fußmarsch nach Hause ist zweierlei: Eine großartige und eine naive Idee. Und genauso ist Christoph Rehages Buch - wundervoll und unbedarft.
Die Dramaturgie ist festgelegt durch die Strecke, und am Wegesrand findet Rehage seine Geschichten. Er besucht eine Kampfkunstschule, in der das Kinderleben vorwiegend aus Disziplin besteht – was den meisten Eleven angeblich gefällt.
Er nimmt an einer Beerdigung in der Provinz teil, bei der die Toten mit Böllerschüssen verabschiedet werden, er wundert sich über die immer noch anhaltende offizielle Mao-Verehrung, die zugleich mit einem hohen Desinteresse in der Bevölkerung einhergeht, er sieht übelste Umweltverschmutzung und registriert, dass der wirtschaftliche Fortschritt die heilige Kuh der Chinesen ist, dem man klaglos alles unterordnet.
So markiert beispielsweise parallel einer Straße über zig Kilometer eine Linie, bis wohin die Straße verbreitert werden soll – widerspruchslos wird das hingenommen, auch von denen, deren Häuser abgerissen werden.
Der Leser begleitet Rehage in winzigen Garküchen, in billige Absteigen und in Luxushotels. Man ist dabei, wenn er in der Wüste zeltend Sandstürmen trotzt, schwitzend und frierend heilige Berge ersteigt oder staunend die Große Mauer. Er erfährt, dass man ältere Menschen auch ohne verwandtschaftliche Beziehung gern mit "Onkel" oder "Tante" anspricht und dass Chinesen zwar ihr Land selbst kritisieren, es aber nicht mögen, wenn Ausländer das tun.
Rehage hat eine wundervolle, naive Offenheit. Er spricht fließend chinesisch und kommt mit allen ins Gespräch: mit Bauern auf dem Land und Bankern in der Stadt, mit Wanderarbeitern, Kindern, Mönchen und Prostituierten. Er kann lebendig, etwas dialoglastig schreiben und vermittelt in vielen kleinen Szenen chinesischen Alltag.
Allerdings werden Themen oft nur angetupft, aber nicht vertieft. Pflichtgemäß bemüht er die Geschichte, erzählt von alten Kaiserreichen, der Kulturrevolution und ihren Opfern, erklärt, wo die fünf heiligen Berge des Daoismus stehen – in allen vier Eckpunkten und der Mitte des alten Reiches – und macht einen kurzen Exkurs zur Minderheitenpolitik Chinas. Dann aber folgt hastig die nächste Episode.
So reiht sich entlang der Wanderroute ein Erlebnis an das nächste, alles steht nebeneinander in der gleichen Wichtigkeit und wird überschattet von zu viel persönlicher Erzählung – Rehage leidet an Liebeskummer und wandert nicht nur durch China, sondern auch zu sich selbst. Dieses Mischmasch muss man mögen: Es ist, als ob man viele köstliche Gerichte nacheinander probiert.
Besprochen von Günther Wessel
Christoph Rehage: The longest way. 4646 Kilometer zu Fuß durch China
Malik Verlag, München 2012
446 Seiten, 16 Fotoseiten, 22,99 Euro
Die Dramaturgie ist festgelegt durch die Strecke, und am Wegesrand findet Rehage seine Geschichten. Er besucht eine Kampfkunstschule, in der das Kinderleben vorwiegend aus Disziplin besteht – was den meisten Eleven angeblich gefällt.
Er nimmt an einer Beerdigung in der Provinz teil, bei der die Toten mit Böllerschüssen verabschiedet werden, er wundert sich über die immer noch anhaltende offizielle Mao-Verehrung, die zugleich mit einem hohen Desinteresse in der Bevölkerung einhergeht, er sieht übelste Umweltverschmutzung und registriert, dass der wirtschaftliche Fortschritt die heilige Kuh der Chinesen ist, dem man klaglos alles unterordnet.
So markiert beispielsweise parallel einer Straße über zig Kilometer eine Linie, bis wohin die Straße verbreitert werden soll – widerspruchslos wird das hingenommen, auch von denen, deren Häuser abgerissen werden.
Der Leser begleitet Rehage in winzigen Garküchen, in billige Absteigen und in Luxushotels. Man ist dabei, wenn er in der Wüste zeltend Sandstürmen trotzt, schwitzend und frierend heilige Berge ersteigt oder staunend die Große Mauer. Er erfährt, dass man ältere Menschen auch ohne verwandtschaftliche Beziehung gern mit "Onkel" oder "Tante" anspricht und dass Chinesen zwar ihr Land selbst kritisieren, es aber nicht mögen, wenn Ausländer das tun.
Rehage hat eine wundervolle, naive Offenheit. Er spricht fließend chinesisch und kommt mit allen ins Gespräch: mit Bauern auf dem Land und Bankern in der Stadt, mit Wanderarbeitern, Kindern, Mönchen und Prostituierten. Er kann lebendig, etwas dialoglastig schreiben und vermittelt in vielen kleinen Szenen chinesischen Alltag.
Allerdings werden Themen oft nur angetupft, aber nicht vertieft. Pflichtgemäß bemüht er die Geschichte, erzählt von alten Kaiserreichen, der Kulturrevolution und ihren Opfern, erklärt, wo die fünf heiligen Berge des Daoismus stehen – in allen vier Eckpunkten und der Mitte des alten Reiches – und macht einen kurzen Exkurs zur Minderheitenpolitik Chinas. Dann aber folgt hastig die nächste Episode.
So reiht sich entlang der Wanderroute ein Erlebnis an das nächste, alles steht nebeneinander in der gleichen Wichtigkeit und wird überschattet von zu viel persönlicher Erzählung – Rehage leidet an Liebeskummer und wandert nicht nur durch China, sondern auch zu sich selbst. Dieses Mischmasch muss man mögen: Es ist, als ob man viele köstliche Gerichte nacheinander probiert.
Besprochen von Günther Wessel
Christoph Rehage: The longest way. 4646 Kilometer zu Fuß durch China
Malik Verlag, München 2012
446 Seiten, 16 Fotoseiten, 22,99 Euro