Dunkle Energie für helle Köpfe

Rezensiert von Dirk Lorenzen |
Was sind eigentlich Dunkle Energie und Dunkle Materie? Dieses Rätsel der modernen Astronomie wollen die Physiker und Autoren des Bestsellers "Kosmologie für Fußgänger" in ihrem Buch für jedermann erklären. Doch wer kein Fan mathematischer Formeln und physikalischer Fachtermini ist, wird nach dem Lesen nicht unbedingt erleuchtet sein.
"Mehr Licht!" wünschen sich in Anlehnung an Goethes angebliche letzte Worte die beiden Astronomen Harald Lesch und Jörn Müller im Universum, doch damit ist die "Kosmologie für helle Köpfe" nicht vorbei, sondern fängt erst richtig an:

Das Universum hat sich in den letzten Jahren als von recht dunklen Mächten beherrscht herausgestellt. Unsere normale aus dem Alltag vertraute Materie macht kaum 5 Prozent des gesamten Kosmos aus - mehr als 90 Prozent entfallen auf Dunkle Materie und Dunkle Energie. Was sich dahinter verbirgt, wissen nicht einmal die Autoren. Das beruhigt den Leser sicher, der ansonsten oft "Mehr einfache Erklärungen!" rufen wird.

Die beiden Autoren versuchen letztlich Unmögliches: Sie möchten den aktuellen Forschungsstand der Kosmologie darstellen, also jener Teildisziplin der Astronomie, die sich mit dem Kosmos als Ganzem befasst, mit seiner Entstehung und seiner Entwicklung. Die Autoren wollen zugleich allgemein verständlich aber eben auch wissenschaftlich präzise sein - das ist fast schon der Versuch der Quadratur des Kreises.

So ist dieses Taschenbuch keineswegs immer "anschaulich formuliert und in jedem Fall erhellend", wie der Verlagstext verspricht. Es gibt nur wenige Schwarz-Weiß-Fotografien von Himmelskörpern, dafür aber viele Grafiken, die Fachartikeln entnommen sind und durchaus wissenschaftliche Grundkenntnisse erfordern, um ihren Inhalt voll zu erfassen.

Dass im Text etliche Formeln vorkommen, wird die Verständlichkeit des Buches für Nicht-Physiker sicher nicht erhöhen. Ein Anhang mit den Friedmann-Gleichungen zur Allgemeinen Relativitätstheorie ist in einem Goldmann-Taschenbuch ebenso kurios wie unnötig. Wer sich mit diesen Gleichungen beschäftigen will, wird sicher zu einem Fachbuch greifen.

Der Astronom Harald Lesch ist ein versierter Wissenschaftskommunikator und durch seine Sendereihe "Alpha Centauri" im Bayerischen Rundfunk sehr bekannt. Die wunderbare Leichtigkeit, mit der Lesch dort astronomische Themen präsentiert und seine Zuschauer in den Bann schlägt, will sich in auf den 224 Seiten nicht recht einstellen. Die "Kosmologie für helle Köpfe" - geschrieben mit Co-Autor Jörn Müller - ist sicher kein "Begleitbuch" zu der sehr populären und auch stets sehr anschaulichen Sendung.

Im Vorwort führen die beiden Autoren in die Thematik ein und stellen sie in einen größeren historischen und philosophischen Zusammenhang. Dann geht es 80 Seiten lang um die Dunkle Materie. Dunkle Materie leuchtet nicht selbst, das heißt, sie ist in den Teleskopen der Astronomen prinzipiell nicht zu sehen. Aber die Dunkle Materie wirkt anziehend, so wie wir das im Alltag von der "normalen" Materie kennen.

Die Astronomen sehen im Kosmos oft die Wirkung der Dunklen auf die sichtbare Materie - und können so auf deren Existenz schließen. Sind exotische Elementarteilchen für die Dunkle Materie verantwortlich? Oder doch die geisterhaften Neutrinos, die in jeder Sekunde zu Myriaden durch unsere Erde sausen wie durch Butter? Oder bedürfen gar die Grundlagen der Newtonschen Physik einer Ergänzung?

Nach einer ausgiebigen Behandlung dieser Fragen widmen sich die Autoren im Hauptteil des Buches der Dunklen Energie. Sie ist eine Art abstoßende Materie und treibt so den Kosmos immer schneller auseinander. Die Astronomen haben keine Ahnung, was physikalisch dahinter steckt. Lesch und Müller beschreiben, welche Beobachtungen und Analysen die Astronomen anstellen, um etwas über die Dunkle Energie zu erfahren, die gut zwei Drittel des Kosmos ausmacht!

Der Text ist über weite Strecken flott geschrieben, in vielen Bereichen durchaus anschaulich und mit manchen Wortspielen oder Anekdoten angereichert. Aber die umfangreichen theoretischen Ausflüge mit den immer wieder eingestreuten Formeln schmälern den Lesegenuss für Laien erheblich. Man kann diese Stellen nicht einfach überspringen, ohne etwas zu verpassen.

Wem die Fachbegriffe der Physik völlig fremd sind, der muss erst einmal Vokabeln lernen - Sätze wie "In der kosmischen Hintergrundstrahlung sind diese Parameter für die so genannten primären Temperaturanisotropien aus der Epoche der Reionisation verantwortlich, das heißt, hauptsächlich diese Parameter prägen das Bild des Leistungsspektrums" sind durchaus typisch. Einmal erklärte Begriffe setzen die Autoren im weiteren Text fast immer als bekannt voraus.

Die "Kosmologie für helle Köpfe" ist eine durchaus unterhaltsame Tour durch die moderne Kosmologie. Wer allerdings seine hellsten Momente nicht gerade in den Bereichen Mathematik und Physik hat, für den wird in diesem Buch vieles im Dunkeln bleiben. Ein Buch mehr für Spezialisten als für jedermann - und dieses Buch ist sicher nichts für den Nachttisch.

Harald Lesch und Jörn Müller: Kosmologie für helle Köpfe - Die dunklen Seiten des Universums
Goldmann Taschenbuch 2006
224 Seiten. 8,95 Euro