Syrien und der Wiederaufbau

Das Leben in Kriegstrümmern

21:18 Minuten
Motorradfahrer vor Häuserruinen in der syrischen Stadt Duma.
Duma liegt in Trümmern. Das Leben muss trotzdem weitergehen. © Deutschlandradio / Anne Allmeling
Von Anne Allmeling · 13.03.2019
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Die Armee von Syriens Machthaber Assad kontrolliert mit Unterstützung Russlands und des Irans den Westen des Landes. Seit einem Jahr auch die Stadt Duma. Von Wiederaufbau kann aber keine Rede sein, meinen Hilfsorganisationen.
Der Lärm aus der Schmiede dringt bis auf die Straße. Yassin und seine Brüder haben das Rollgitter hochgezogen. Ihre Werkstatt grenzt an den Bürgersteig und gleicht einer Garage. An der Wand lehnen Spaten. Ein paar Hämmer und Äxte hängen von der niedrigen Decke. Yassin und die anderen arbeiten an Schleifstein und Amboss. Das Geschäft laufe gut, sagt der Schmied und fügt hinzu: Besser könne es kaum sein.
"Wir haben alles, und Schritt für Schritt wird es noch besser. Jetzt haben wir wieder regelmäßig Strom."
Regelmäßig Strom – für die Menschen in Duma ist allein das viel wert.

Die Stadt, etwa 15 Kilometer östlich von Damaskus gelegen, ist komplett zerstört. Jahre lang lieferten sich hier bewaffnete Aufständische und Regierungstruppen heftige Gefechte. Tausende Menschen flohen aus der Stadt, viele kamen ums Leben.
Ein Mann steht in der syrischen Stadt Duma an einem Schleifstein. 
Langsam beginnt in der syrischen Stadt Duma auch wieder das Arbeitsleben. © Deutschlandradio / Anne Allmeling
Seit April 2018 kontrolliert die syrische Armee Duma. Kaum ein Haus ist noch intakt. Wo früher Fenster waren, klaffen riesige Lücken. Hauswände sind eingerissen. Ganze Etagendecken hängen herab. Aber dort, wo wenigstens ein Erdgeschoss noch heil blieb, haben sich Händler niedergelassen. Einer verkauft Mandarinen und Kohl, ein anderer Minze und Thymian – frische Ernte aus der Umgebung.
"Während der Krise gab es gar keine Arbeit", erzählt Yassin, der Schmied, über die lange Zeit von Belagerung und Kämpfen.
"Wir arbeiten mit den Bauern zusammen. In der Krise gab es nichts, aber jetzt bewirtschaften sie ihre Ackerstücke wieder."

Kaum Aufbauhilfe aus Russland, Iran und dem Westen

Eine Kundin, von Kopf bis Fuß verschleiert, kauft bei Yassin einen neuen Hammer. Es gibt viel zu tun für die, die in Duma geblieben sind. Die Straßen sind voller Schlaglöcher, die Bürgersteige kaputt, es riecht nach verbranntem Diesel. Ein paar Soldaten haben sich ein kleines Feuer unter einem Wellblechdach gemacht. Die Häusergerippe am Straßenrand lassen erahnen, wie schön Duma früher einmal gewesen sein muss.

Wer etwas wiederaufbauen will, muss selber Hand anlegen. Dem syrischen Staat mangelt es an Geld. Seine Verbündeten Russland und Iran halten sich mit Aufbau-Hilfen zurück, der Westen gibt auch wenig – aus politischen Gründen.
In der syrischen Stadt Dum laufen Mädchen auf einer Straße mit zerstörten Gebäuden.
Auch die meisten Schulen sind im Krieg zerstört worden und müssen in Duma wieder aufgebaut werden.© Deutschlandradio / Anne Allmeling
Am Rande der Stadt hat vor kurzem ein Café eröffnet: ein großes Plastikzelt mit ein paar Heizstrahlern, Tischen und Stühlen. Drei junge Paare haben sich in den Familienbereich zurückgezogen, rauchen Wasserpfeife, flüstern leise.
"Ich habe in den vergangenen acht Jahren viel durchmachen müssen", erzählt einer von ihnen, der 22-jährige Qais.
"Es war katastrophal. Aber nun – Gott sei Dank – und Dank der syrischen Armee ist alles in Duma wieder so wie vorher. Und es wird noch viel, viel besser werden, so lange Dr. Bashar Al-Assad an der Spitze dieses Landes ist."
Qais sagt das, während ihn ein Mann vom Informationsministerium und weitere fünf Soldaten beim Interview beobachten. Die Genehmigung für die Interviews muss eingeholt werden, allein dürfen sich Reporter nicht bewegen.

"Auch für mich als Frau gibt es Arbeitsmöglichkeiten"

Qais Freundin Marwa ist froh darüber, dass in Duma nicht länger islamistischen Extremisten das Sagen haben.
"Das Leben ist schöner geworden. Wir haben alles. Es gibt wieder mehr Arbeitsmöglichkeiten – auch für mich als Frau. Ich kann wieder arbeiten, rausgehen oder sogar mein Studium beenden. Unter den Extremisten war es unmöglich, dass wir als Frauen irgendetwas machen."
Marwa wünscht sich, bald einen Job zu finden, um ihre Familie zu unterstützen – denn auch ihr Vater ist seit Jahren arbeitslos. Nur mit Hilfe von Freunden und Verwandten können sie sich über Wasser halten.
In einem kleinen Geschäft an der Hauptstraße herrscht reger Betrieb. Ahmed macht keine Pause, während er spricht – er muss zusehen, dass die frisch gebackenen Teigtaschen und Mini-Pizzen schnell verpackt und verkauft werden. Seit vier Jahren arbeitet der junge Familienvater in der Bäckerei.
Drei Männer stehen an einem Ofen und backen in Duma Pizza.
Widrige Umstände, aber eine starke Sehnsucht nach Normalität: Pizzabäcker in Duma.© Deutschlandradio / Anne Allmeling
"Früher war es sehr schwierig mit der Arbeit, wegen des Krieges und wegen des Beschusses. Außerdem gab es Mangel an Lebensmitteln wie Mehl, mit dem wir ja arbeiten. Auch andere Zutaten wie Fleisch und Käse fehlten, womit wir unser Geschäft machen. Jetzt ist es besser: Die Zutaten, die wir brauchen, sind nun gesichert."
Um die Ausgaben für seine Frau, seine drei kleinen Kinder und sich selbst zu decken, braucht Ahmed umgerechnet sechs Dollar pro Tag. Dafür arbeitet er jeden Tag acht bis zehn Stunden.

Geldgeber für Syrien treffen sich in Brüssel

Damit die Menschen in Syrien ihr Land wieder aufbauen können, braucht es auch Hilfe von außen und vor allem einen Friedensschluss und Stabilität im gesamten Land. Darüber sprechen zurzeit in Brüssel Hilfsorganisationen und Geberländer. Auch die Diakonie Katastrophenhilfe ist dabei. Ihr Syrien-Büro leitet Vera-Magdalena Voss:
"Wenn man sich die Bedarfe in Syrien anschaut, ganz klar, die sind riesig. Das heißt, wir hoffen auch in diesem Jahr, dass die Summen der Geldgeber zumindest gleich bleiben. Natürlich haben wir immer noch die Hoffnung, dass die Bundesregierung und die EU größere Zusagen machen, aber zumindest brauchen wir das auf ähnlichem Niveau."
Vera Voss leitet das Syrien-Büro der Diakonie Katastrophenhilfe und reist von Jordanien aus immer wieder in das Land. Hier ist sie lächelnd in einem Büro.
Vera Voss leitet das Syrien-Büro der Diakonie Katastrophenhilfe und reist von Jordanien aus immer wieder in das Land.© K. Schwanke-Adiang/Diakonie Katastrophenhilfe
Die Hilfsorganisationen sind in einer schwierigen Situation, denn die EU-Geberländer wollen keinesfalls das Assad-Regime unterstützen. Schicken sie Hilfe, dann könnte das als Plus auf Assads Konto verbucht werden. "Bevor es keine politische Lösung gibt, wird es deshalb keine größeren Infrastrukturprojekte geben. Wir orientieren uns strikt an den Bedarfen, eine Lösung für Syrien muss die Politik finden", so Voss. Hilfsorganisationon wie Oxfam klagen, es sei kontraproduktiv, wenn Brot verteilt wird, statt Bäckereien aufzubauen. "Die Menschen in Syrien möchten sich selber helfen".

Von Wiederaufbau keine Spur

11,7 Millionen Syrer sind von der humanitären Hilfe abhängig und werden es wohl auch noch eine ganze Weile bleiben. Von Wiederaufbau ist bisher nichts zu spüren. "Eine Rückführung von Flüchtlingen, die zurzeit im Ausland sind, wird in nächster Zeit nicht möglich sein", so Voss.
Hinter den Kulissen hat sich indes einiges getan. Die Tatsache, dass sich Assad immer noch hält, hat in der Arabischen Liga zum Umdenken geführt. Syrien wurde 2011 aus der Liga ausgeschlossen, soll aber jetzt wieder aufgenommen werden, obwohl die handelnden Personen noch dieselben sind. Ein Flirt mit Assad ist wieder opportun – schließlich warten lukrative Aufträge, wenn mit dem Wiederaufbau begonnen wird.
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