Dulce Maria Cardoso: "Die Rückkehr"

Neuanfang im Mutterland

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Das abstrakte Buchcover zeigt eine Schwarzweiß-Kugel, deren schwarze Hälfte aug weißem und deren weiße Hälfte auf schwarzem Grund liegt.
Die Menschen als Getriebene der Umstände: Nach "Die Rückkehr" will man unbedingt mehr von Dulce Maria Cardoso lesen. © Deutschlandradio/Secession Verlag
Von Dirk Fuhrig · 27.03.2021
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Ein Junge erlebt die beschwerliche Rückkehr seiner Familie aus der Kolonie Angola nach Lissabon. Die portugiesische Schriftstellerin Dulce Maria Cardoso schöpft für diese sensibel und eindringlich erzählte Geschichte aus ihrer eigenen Biografie.
"Die Rückkehr" ist die Geschichte einer Vertreibung. Im Jahr 1975 flohen die portugiesischen Siedler europäischer Abstammung aus der einstigen Kolonie Angola - in die USA, nach Südafrika oder Brasilien, manche ins "Mutterland" Portugal.
Dort hatte im Jahr zuvor die "Nelkenrevolution" nach fast einem halben Jahrhundert die Salazar-Diktatur beseitigt. In der Folge löste sich das Kolonialreich auf, das zuletzt im Wesentlichen noch aus Mozambik und Angola bestanden hatte.

Aus der Perspektive eines Kindes

Dulce Maria Cardosos bereits 2011 im Original erschienener Roman handelt von der Evakuierung einer Familie aus Luanda nach Lissabon. Die Geschichte ist angelehnt an ihre eigene Biografie. Kurz nach ihrer Geburt 1964 in Portugal kam die Autorin nach Angola, wo sie die ersten zehn Jahre ihrer Kindheit verbrachte. Mit dem Exodus der Siedler kehrte auch ihre Familie wieder zurück nach Europa.
Cardoso schildert die erzwungene Heimkehr aus der Perspektive eines kleinen Jungen. Rui erlebt mit, wie seine Eltern von bewaffneten Freiheitskämpfern aus ihrem Haus in Luanda vertrieben werden, darunter einstige Arbeiter im Betrieb seines Vaters Mario, der mit Kaffee und Baumwolle gehandelt hatte.
Während die Mutter mit den Kindern auf einen freien Platz in einem der rettenden Flugzeuge nach Europa wartet, wird Mario verhaftet. Als auch er Monate später in Lissabon eintrifft, ist sein Körper mit Narben übersät, Zeugnisse einer brutalen Folter. Was genau ihm widerfahren ist, darüber schweigt er.

Das Leid der Rückkehrer

Die Kolonialgeschichte Portugals ist hierzulande wenig präsent. Cardoso deutet die historischen Entwicklungen nur insoweit an, als sie aus der Kinderperspektive verständlich sind. Die Wirren des Unabhängigkeitskampfs in Angola, der zu einem Bürgerkrieg zwischen verfeindeten Bevölkerungsgruppen führte, kommen nur am Rande zur Sprache.
Im Vordergrund steht das Leid der Rückkehrerfamilie, die Haus und Hof in Angola verloren hat und in Portugal völlig neu anfangen muss. Das fällt nicht leicht in einem Land, das sich selbst erst aus der jahrzehntelangen materiellen und mentalen Depression unter der Diktatur befreien muss.
Der Junge Rui empfindet das "Mutterland", das aus der Ferne so glänzend erschienen war, als rückständig. Die Straßen der Hauptstadt sind eng und voller Schlaglöcher, die Wirtschaft ist desolat. In der Schule müssen die Kinder aus den einstigen Kolonien alle in derselben Reihe sitzen, die strengen portugiesischen Lehrerinnen - vom alten Schlage - diskriminieren sie als Schüler zweiter Klasse.

Man will mehr von dieser Autorin lesen

Cardosos Sprache ist wie ein langer ruhiger Fluss. Die üppig ausufernden Sätze hat Steven Uhly in einem kühl-berichtenden, eindringlichen Duktus übersetzt. Die Zeitläufte sickern in die Gefühlswelt des sich erinnernden Jungen ein, der als Heranwachsender erste Erfahrungen mit der Sexualität sammelt.
"Die Rückkehr" ist ein sensibel konstruierter Entwicklungsroman, der die Menschen als Getriebene der Umstände zeigt. Dulce Maria Cardoso hat bereits ein knappes Dutzend Bücher geschrieben. Man möchte mehr von ihr auf Deutsch lesen.

Dulce Maria Cardoso: "Die Rückkehr"
Aus dem Portugiesischen von Steven Uhly
Secession Verlag, Berlin/Zürich 2021
255 Seiten, 24 Euro

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