Dürers Haarpracht, Dürers Selbstbewusstsein

02.05.2013
24 Künstlerpersönlichkeiten stellt Hanno Rauterberg in "Ich, der Künstler" vor. Er macht auch für Laien klar, was das Einzigartige an manchem alten Meister ist. Eine "Geschichte der Kunst" ist seine Porträtsammlung dennoch nicht.
Die Italienreise 1496 hatte den Künstler verändert. Nicht nur seine Palette war eine andere geworden, auch sein Äußeres hatte sich gewandelt. Aus dem Süden kehrte Albrecht Dürer mit Bart zurück. Seine Freunde beschrieben die neue Haartracht als "Schnabelbart", der "gleich Eberzähnen von ihm absteht."

Eben diesen Bart wählt Hanno Rauterberg als Einstieg in sein Dürerporträt. Eine ungewöhnliche Idee, doch tatsächlich braucht der renommierte Kunstkritiker der Wochenzeitung die "ZEIT" nur einen kurzen Absatz, um über die Besonderheit der Haare zur Einzigartig des Künstlers zu kommen. Dürers entschiedenen Wunsch nach Andersartigkeit, sein Bedürfnis nach Originalität, sein ungeheures Selbstbewusstsein und schließlich die Größe seiner Kunst – all das wird Rauterberg im Folgenden beschreiben, und der imposante Schnabelbart dient ihm dabei als Metapher.

Das Dürerporträt ist eine von insgesamt 24 Künstlerstudien, die Hanno Rauterberg in seinem neuen Buch "Ich, der Künstler" versammelt hat. Von Albrecht Dürer und Leonardo da Vinci über Vincent van Gogh, Joseph Beuys und Georg Baselitz bis hin zu Andreas Gursky und Ai Weiwei erzählt er darin – so der selbst formulierte Anspruch – "eine Geschichte der Kunst".

Strukturelles interessiert den Autor dabei nicht, er wirft keine ökonomischen oder sozialhistorischen Fragen auf und kümmert sich nicht um Fachtermini und Stilbegriffe. Einzig die Künstlerpersönlichkeit an sich und die Eigenwilligkeit der Werke stehen im Mittelpunkt dieser Aufsatzsammlung.

Manche Studie gelingt glänzend. Etwa wenn Rauterberg Giorgione als einen Maler beschreibt, der "im Grunde die Kunst selbst erfunden habe". Losgelöst von christlich-antiken Motivkonventionen und emanzipiert vom Zwang einer bis dahin vorgegebenen Bildlogik, habe der Italiener seine eigene Bildwelt entworfen, konstatiert der ZEIT-Autor und erläutert diese meisterhaft anhand Giorgiones berühmtestem Werk "Das Gewitter".

Meist verwebt Rauterberg minutiöse Bildbeschreibungen mit Informationen zu Mal- und Arbeitsweise und Details zu Leben und Haltung der einzelnen Artisten. Mancher alte Meister und Gegenwartskünstler, beispielsweise Dürer und Tizian oder Claas Oldenbourg und Ai Weiwei kommt so derart fein in den Blick, dass auch für Laien nachvollziehbar wird, worin seine Einzigartigkeit besteht.

Dennoch lässt sich mit dem Buch hadern. So variieren die Porträts sowohl in der Länge als auch in der Tiefe um einiges. Über Damien Hirst, Andreas Gursky oder Georg Baselitz etwa erfährt man nichts, was man nicht schon woanders gelesen hätte. Und auch die Auswahl der durchweg männlichen (bis auf das Duo Anna und Bernhard Blume) Künstlerpersönlichkeiten ist wenig überzeugend.

Wer berücksichtigt, dass sämtliche Studien bereits in der ZEIT veröffentlicht wurden, versteht zwar die Orientierung des Autors an den wichtigen Ausstellungen der letzten Jahre, aber nicht seine Behauptung "eine Geschichte der Kunst" geschrieben zu haben. So hinterlässt das Buch trotz seiner Qualitäten einen zwiespältigen Eindruck.

Besprochen von Eva Hepper

Hanno Rauterberg: Ich, der Künstler. Eine Geschichte der Kunst, von Albrecht Dürer bis Ai Weiwei
Belser Verlag, Stuttgart 2013
160 Seiten, 24,95 Euro