Dürer als Puzzle auf dem Marktplatz

Von Thomas Senne |
Die Stadt Nürnberg nahm die Italien-Reise ihres größten Sohnes, Albrecht Dürer, vor 500 Jahren zum Anlass, ein ganzes Wochenende Dürer zu feiern. Größte Attraktion war dabei das weltgrößte Dürer-Puzzle auf dem Marktplatz. Zugleich fand eine hochrangig besetzte Expertenrunde statt, die die Einflüsse der italienischen Renaissance auf Dürers Werk untersuchte.
Sie sind 45 mal 38 Zentimeter groß, fünf Millimeter dick, mit einer wetterfesten Vinylfolie überzogen und stammen von einer Schweizer Firma: Faserplatten. Insgesamt 1700 verschiedene Teile, die jetzt innerhalb von Absperrgittern auf dem Sebalder Platz ausgebreitet werden, nur einen Steinwurf vom Dürer-Haus entfernt. Viele Kinder und Erwachsene haben sich eingefunden, um auf 300 Quadratmetern das größte Dürer-Puzzle der Welt zusammenzusetzen, nach einem Riesentransparent als Vorlage.

Zwei Tage und zwei Nächte haben sie dafür Zeit, dann soll Dürers 1505 in Venedig gemaltes "Brustbild einer jungen Venezianerin", das als Motiv einst den Fünf-Mark-Schein zierte, als gigantische Reproduktion vorübergehend den Platz in der Altstadt schmücken. Eine Hommage an Nürnbergs größten Sohn und an dessen zweite Italienreise vor 500 Jahren.
Nach den zahllosen Dürer-Hasen aus Plastik, die im vergangenen Jahr den Hauptmarkt bei einer Kunstaktion bevölkerten und dem real sprießenden Rasenstück des Meisters auf der Münchner Bundesgartenschau - als grüner Werbeträger für die Fußballweltmeisterschaft 2006 - soll der berühmteste deutsche Maler nun offenbar als Puzzlekünstler den Eingang ins Guiness-Buch der Rekorde finden. Ist das nicht vielleicht ein wenig des Guten zu viel? Nein, sagt die Nürnberger Kulturreferentin Julia Lehner.
"Zunächst einmal wird man sich so intensiv wie kaum mit einem Gemälde Albrecht Dürers befassen können, also jede Schattierung, jeder Pinselstrich wird letzten Endes in die Hand genommen und eben versucht zusammen zu einem großen Gemälde wiederum zusammengefügt zu werden. Und das ist doch – wie ich denke – eine sehr intensive Beschäftigung, was aber natürlich auch mehr oder weniger mit etwas Augenzwinkern und durchaus spielerisch und vor allem barrierefrei, generationsübergreifend, passieren kann. "
Auch ein Dürer-Quiz ist bei diesem Wochenende angesagt und wer will, kann sogar ein Dürer-Diplom erwerben und mit seinen Kenntnissen glänzen. Na bitte, die Stadt tut also etwas für die Kultur. Natürlich auch für die Steigerung des eigenen Marktwertes.

Wem dies allerdings etwas zu populistisch und profan vorkommt, der hat am Samstag immerhin die Möglichkeit eine Tagung zu besuchen, die einen seriösen wissenschaftlichen Unterbau für die Reisen des Malers anbietet. Die Creme de la creme der Dürer-Forschung hat sich angesagt und will in verschiedenen Fachreferaten neue Erkenntnisse präsentieren. Zum Beispiel über "Regelverstöße" Dürers, der dem Humanisten und Patrizier Willibald Pirckheimer, in erotisch gefärbten Briefen schon mal Ratschläge im Umgang mit Buhlschaften gab.
"Da geht’s ja um die ersten volkssprachlichen Briefe überhaupt. Und wir wissen ja alle, dass er sich in einem sehr erstaunlichen Ton an seinen Freund Pirckheimer gewandt hat, teilweise übertrieben höflich, teilweise aber auch scherzhaft bis unflätig. Man hat dann immer überlegt: Warum kommunizieren die eigentlich miteinander so? Ist das eine humanistische Tradition? Oder ist es eben eine Art von Freundschaft, die sich hier kundtut? Und Heike Sahm aus der Universität Köln, die ist dort wissenschaftliche Assistentin, die hat sich sehr in ihrer Doktorarbeit mit dem Thema der kleinen Texte Dürers auseinander gesetzt und wir erwarten von ihr jetzt eine neue Antwort und sind da sehr gespannt, was sie uns präsentiert. "
Dürer-Expertin Anna Scherbaum vom Kunst- und Kulturpädagogischen Zentrum im Germanischen Nationalmuseum ist Moderatorin bei der Dürer-Tagung und weiß, dass dort auch die Einflüsse der italienischen Renaissance auf die Aktdarstellungen des Nürnberger Meisters näher unter die Lupe genommen werden. Ebenfalls: seine Landschaftsaquarelle.
"Bei den Landschaftsaquarellen, da gab’ s ja immer die Frage: Ist das jetzt eine eigene Kunstgattung? Was macht Dürer hier? Waren das ursprünglich Hintergründe für Gemälde, die nie ausgeführt wurden? Also man muss sich vorstellen, dass die Geographie um 1500 plötzlich eine ganz neue, große Rolle gespielt hat. Man hat versucht, alles zu vermessen und auch zu benennen. Und die Geographie hat eben auch Künstler dazu gebracht, bis ins kleinste Detail zu gucken, also z. B. eben auch auf den Hasen und sein Haar, beim Feldhasen, oder auf das Rasenstück oder eben auch auf so ein Stück Landschaft, was eben auch als Stück gesehener Umwelt dann gezeichnet wird und also so seinen Sinn macht."
Auch Dürers Aufenthalt in den Niederlanden möchte das in Nürnberg versammelte Expertengremium genauer untersuchen – als Beispiel für einen frühen Kulturtourismus und Kunsttransfer.
"Der reife Dürer hat ja dann diese große Reise in die Niederlande gemacht und hat dort also die verschiedenen großen und wichtigen Städte besucht und hat dort erstaunlicherweise sich ja gar nicht so um die zeitgenössische Kunst gekümmert, sondern die etwas älteren Kunstwerke waren es, die ihn sehr interessierten. Gleichzeitig ist er natürlich auch aufgenommen worden als ein bekannter und arrivierter Künstler. Die Niederländer sind auf ihn zugegangen und auch Künstler haben ihn besucht. Er hat also da enorm viele Porträtaufträge bekommen, weil er da eben als gemachter Mann ankam. Aber: Er hat durch diesen Besuch sich noch weit mehr in dieses niederländische Bildgedächtnis eingegraben, weil es plötzlich richtig zur Mode wurde, à la Albrecht Dürer zu arbeiten."
Wenn die hochkarätige Gelehrtenrunde am frühen Samstagabend im Nürnberger Albrecht-Dürer-Haus dann ihr Resümee über die Reisen des Künstlers ziehen wird, wer weiß, vielleicht ist es ja dann schon fertig, das größte Dürer-Puzzle der Welt, nur einen Katzensprung vom Vortragssaal entfernt.