Düfte

Die Schulung der Nasen

Von Bettina Kaps · 31.12.2013
Ein Drittel aller Parfums, die weltweit auf den Markt kommen, trägt die Handschrift von Absolventen der Givaudan-Schule: eine Schule für Parfümeure in Argenteuil bei Paris. Ihre Lehrmethode gilt als die Referenz für die Ausbildung exzellenter "Nasen". Sie haben Parfumgeschichte geschrieben - bei Chanel, Guerlain und Hermès zum Beispiel.
Jean Guichard schiebt die vielen Glasflakons beiseite, die seinen Schreibtisch zustellen. Alles Überbleibsel seiner jüngsten Duftkreation, sagt der freundlich aussehende Mann im blaugrauen Anzug. Der Parfümeur ist Anfang 60, aber sein dichtes blondes Haar lässt ihn jünger wirken. Er will jetzt eine Schülerin prüfen. Denn Guichard ist nicht nur „Nase" bei Givaudan, er leitet auch die Parfümeurschule des Konzerns. Paulina, eine Nordamerikanerin, setzt sich ihm gegenüber.
"So what are you working, what kind of accord?"
Paulina hat den Maiglöckchen-Akkord bearbeitet. Allein mit der Nase hat sie 204 verschiedene Kompositionen analysiert. Die 29-Jährige erklärt, welche Inhaltsstoffe sie in jedem einzelnen Duft-Akkord gerochen hat. Guichard notiert die Antworten, nickt zustimmend, nur einmal irrt die junge Frau. Paulina ist seit neun Monaten in der Parfümeurschule. Wie alle Anfänger musste sie sich hier zuerst ausschließlich auf die Rohstoffe konzentrieren.
Jean Guichard: "Unsere Technik wird oft mit dem Schreibenlernen verglichen. In den ersten sechs Monaten müssen unsere Schüler 500 Rohstoffe erlernen, und zwar 150 natürliche und 350 synthetische Stoffe. Das ist das wichtigste Kapitel. Wenn man Parfum mit Literatur vergleicht, dann entsprechen die Rohstoffe dem Alphabet. Wem drei oder vier Buchstaben fehlen, der kann nicht schreiben."
Paulina beherrscht das Duft-Alphabet. Sie kennt die chemische Zusammensetzung der Rohstoffe und kann mit eigenen Worten und Bildern beschreiben, wie sie riechen. Seit drei Monaten beschäftigt sie sich nun mit den Duft-Akkorden. Dabei lernt sie auch, Rohstoffe zu mischen, erst zwei, dann drei, vier und mehr, sagt ihr Lehrer.
Guichard: "Beim Vergleich mit dem Schreibenlernen entsprechen die Duft-Akkorde den Wörtern. Anschließend gehen wir zu Sätzen über: Damit meine ich die Einordnung in Geruchsfamilien. Es gibt drei Familien, die wir als natürlich bezeichnen: Zitrus, blumige und holzige Noten. Und drei Familien, die etwas komplizierter sind, weil sie von Parfümeuren erfunden wurden, und zwar Chypre-Noten, Farn und orientalische Noten."
Im zweiten Jahr studieren die Schüler Klassiker wie "L´Air du Temps" mit seinen 120 Ingredienzien, und weltweit bekannte Kosmetika wie die Nivea-Creme. Im letzten Jahr beschäftigen sie sich im Labor der Firma mit Chromatographie, einem chemischen Verfahren zur Analyse und Herstellung von Düften, und mit Qualitätskontrolle.
Paulina hat den Test bestanden. Sie geht in einen lichtdurchfluteten Raum, wo bereits drei junge Kollegen arbeiten. Ein junger Mann riecht mit geschlossenen Augen an einem Teststreifen, dann macht er Notizen. Walter stammt aus Brasilien, sagt der Schulleiter.
Guichard: "Aufgabe der Schule ist es, Parfümeure für unsere Firma auszubilden. Dazu machen wir jedes Jahr eine Rundreise durch unsere Niederlassungen in Paris, New York, Sao Paulo, Shanghai, Singapur und Dubai und fragen, welchen Bedarf sie dort haben."
Die zukünftigen Parfümeure werden kostenlos ausgebildet, sie bekommen sogar ein Gehalt. Im Gegenzug verpflichten sie sich, nach der Ausbildung mindestens fünf Jahre für Givaudan zu arbeiten.
Wie eine zweite Haut
Durch eine Glaswand ist das Labor der Parfümeurschule zu sehen. Dort steht ein dünner junger Mann mit Stoppelhaar und Stoppelbart. Quentin Bisch ist Schüler im dritten Jahr. Der Straßburger zieht einen weißen Kittel über, setzt eine Schutzbrille auf.
Quentin Bisch: "Ich will einen Duft oder einen Effekt erzielen, den ich mir vorher ausgedacht habe. Ich muss also an meiner Formel und an meiner Technik feilen, bis ich exakt verstehe, wie die einzelnen Rohstoffe aufeinander reagieren. Ich will genau das Resultat erzielen, das ich anstrebe, und zwar möglichst schnell."
Quentin nimmt eine Pipette, spritzt Alkohol in einen Flakon, wiegt Essenzen und Duftöle ab. Die meisten seiner Kollegen haben einen Universitätsabschluss in Chemie oder Pharmazie. Er nicht. Dabei war er schon früh von Parfum begeistert.
Bisch: "Ich hatte ein Schlüsselerlebnis, als ich mit elf Jahren ins Gymnasium kam: Meine Französischlehrerin trug ein wunderbares Parfum. Ich fragte sie nach dem Namen, daraufhin hat sie mich aus der Klasse geworfen. Ich habe dann in einer Parfümerie an so vielen Flakons gerochen, bis ich herausfand, was es war: Opium von Yves Saint Laurent. Später habe ich mit dieser Frau viel über Duft und Literatur gesprochen. So bin ich zu meinem Berufswunsch gekommen."
Quentin studierte zuerst einmal Theaterwissenschaft. Aber nach dem Diplom war er immer noch von Parfum fasziniert, und bewarb sich bei Givaudan. Seine Hartnäckigkeit überzeugte den Schulleiter: Er nahm den jungen Elsässer auf.
Quentin hat seine Formel abgewogen und zusammengemischt. Für seine Abschlussarbeit muss er ein Männer- und ein Frauenparfum komponieren, außerdem zwei Düfte für Gebrauchsgüter: einen Weichspüler und ein Massageöl. In Kürze steigt er als Juniorparfümeur bei Givaudan ein. Dann beginnt ein neues Kapitel: Er wird an echten Ausschreibungen für neue Düfte teilnehmen.
Quentin:"Ich stelle mir vor, dass ich eines Tages in die Metro steige, ins Kino gehe oder ins Theater, und plötzlich rieche: Eine Frau trägt ein Parfum, das ich komponiert habe. Ich male mir aus, wie sich eine Frau mit meinen Duft kleidet, so als sei es ihre zweite Haut. Das ist mein Traum."