DSO Berlin unter Kent Nagano

Die Umarmung unseres Planeten

Kent Nagano, Generalmusikdirektor der Hamburger Staatsoper und Chefdirigent des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg, 2021.
Kent Nagano war von 2000 bis 2006 Chefdirigent des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin, mit dem er nun wieder in der Philharmonie Berlin zu erleben war. © picture alliance / dpa / Christian Charisius
Moderation: Volker Michael · 17.10.2021
Ein Musikprogramm mit stark französischer Note präsentiert das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin an diesem Abend in der Philharmonie der Bundeshauptstadt. Zu Gast sind der ehemalige Chefdirigent Kent Nagano und die Pianistin Mari Kodama.
Solchen Konzerten blicken die Musikerinnen und Musiker des Orchesters stets gelöst und freudig entgegen: Wenn ihr ehemaliger Chefdirigent Kent Nagano zurückkehrt, um ein Konzert zu leiten. Von 2000 an stand er sechs Jahre in den Diensten des Orchesters – momentan ist Kent Nagano ja Generalmusikdirektor der Hamburger Staatsoper. Vorher leitete er unter anderem die Bayerische Staatsoper in München.

Neues Klavierkonzert

Musikalisch gesehen geht es tatsächlich überwiegend französisch zu. Auch wenn der Komponist des Werks, das im zweiten Teil zu hören ist, Richard Strauss heißt. Aber er hat sich Molières "Le Bourgeois Gentilhomme" gewidmet, dem Bürger, der einen auf Edelmann macht. Der erste Teil bringt ein neues Klavierkonzert aus Frankreich. Der Komponist Rodolphe Bruneau-Boulmiers (Jahrgang 1982) hat es geschrieben.

Überraschungspaar einer Hochzeit

Das Programm beginnt mit einer Ouvertüre zu einer komischen Oper des Komponisten Hector Berlioz. "Béatrice et Bénédict" heißt diese Opéra comique – für den Zauberer abgründiger und hexenhafter Tongemälde ist das eine eher ungewöhnlich leichte Form von Musik, und ein unverfänglicher Stoff. Berlioz hat die dramatische Vorlage "Viel Lärm um Nichts" von Shakespeare selbst entschlackt, umgeschrieben und eine unterhaltsam-unverfängliche Fassung davon hergestellt.
"Beatrix und Benedikt" sind quasi ein Überraschungspaar auf der Hochzeit eines anderen Paares. Man hat aus Spaß über die beiden behauptet, sie liebten sich. Und am Ende tun sie das tatsächlich. Berlioz hat das Stück für das neue Theater im Kurort Baden-Baden geschrieben. Aufregung oder gar Aufruhr und schwierige Themen waren für die erholungsbedürftigen Seelen der Reichen und der Schönen nicht vorgesehen. Was nicht heißt, dass dieses Schauspiel banal wäre, zumindest die Musik ist typischer Berlioz – ungemein klug und farbig komponiert.

Ein Konzert für unsere Erde

Selten noch geschieht es, dass heutzutage ein neues Klavierkonzert entsteht – hier ist es eines mit dem Titel "Terra Nostra" (Unsere Erde). Und gemeint ist das Ganze wirklich wie eine Umarmung unseres Planeten. Denn der Komponist hat es für Solo-Klavier, Streicher, drei Schlagzeuger und drei Trompeten geschrieben. Sein Name ist Rodolphe Bruneau-Boulmier. Der Komponist ist Mitglied verschiedener Jurys in Frankreich, die Musikpreise und Stipendien vergeben, und hat ein eigenes Klavierfestival geschaffen. Sein Haupt- oder sagen wir Brotberuf ist allerdings der des Musikredakteurs und Moderators bei Radio France Musique.
"'Terra nostra' ist mein erstes Klavierkonzert. Es entstand auf Anregung von Mari Kodama, mit der ich schon viel zusammengearbeitet habe. Ich habe mich darüber sehr gefreut, weil ich das Klavier ganz besonders liebe. Stolz bin ich auch, dass dieses Konzert vom Deutschen Symphonie-Orchester Berlin gespielt wird. Auf France Musique präsentiere ich eine Sendung mit neuen CDs, und da habe ich viele Aufnahmen des DSO unter Robin Ticciati vorgestellt. Es ist auch eine Ehre, von einem Dirigenten wie Kent Nagano aufgeführt zu werden, einem Dirigenten, den ich sehr schätze. Uns verbindet die Liebe zur Musik von Johannes Ockeghem, von dem es einige Zitate in meinem Konzert gibt. Der Titel "Terra nostra" geht zurück auf ein Buch von Carlos Fuentes. Es handelt von der Eroberung Spaniens, es ist eine Geschichte Spaniens, eine Geschichte der iberischen Halbinsel. Und gerade die spanische Kultur inspiriert mich sehr. Das Buch von Carlos Fuentes hat meiner Meinung nach eine musikalische Dimension, es überlagern sich verschiedene zeitliche und geschichtliche Ebenen, und das findet sich auch meiner Partitur.
Dieses Werk ist für mich auch noch aus einem anderen Grund besonders. Der dritte Satz ist ein sehr fröhlicher Satz, mit Anklängen von Flamenco und brasilianischen Schlagzeugklängen. Während der Komposition ist meine Mutter gestorben. Ich habe diesem dritten Satz dann einen Ausschnitt aus dem Requiem von Ockeghem vorangestellt. Ein Moment, der dann noch einmal wiederkehrt. Ein Requiem als eine Art Totentanz, der sich am Schluss in Freude wandelt. Das Werk hat auch eine ganz besondere Besetzung: Streicher, drei Schlagzeuger, drei Trompeten. Das ist fast wie im ersten Konzert von Schostakowitsch für Klavier und Trompete, nur verdreifacht. Und wenn die drei Trompeten am Ende sich erheben, dann ist das ein bisschen wie in der Bibel, wenn bei der Offenbarung die Engel Trompete spielen."

Versierte Pianistin mit Ortskenntnis

Die Solistin im neuen Klavierkonzert ist Mari Kodama. Die aus Japan stammende Pianistin hat sich einen Namen gemacht als breit aufgestellte Musikerin, die Werke aller Epochen im Repertoire hat. Besonders intensiv hat sie sich mit Beethoven beschäftigt. Alle 32 Sonaten des Meisters hat sie eingespielt. Und auch alle Klavierkonzerte und Werke für Klavier und Orchester zusammen mit dem DSO Berlin und Kent Nagano. Sie ist mit dem Dirigenten verheiratet. Sie haben eine Tochter, die ebenfalls als Pianistin tätig ist. Mari Kodama spielt seit ihrem zweiten Lebensjahr Klavier und hat frühzeitig – quasi gegen den Willen ihrer Eltern – durchgesetzt, dass sie dieses Instrument auch professionell lernen kann. Sie hat in Paris studiert, mit ihren Eltern aber in Deutschland und der Schweiz gelebt.

Blaues Blut zieht immer

Die Schauspielmusik "Der Bürger als Edelmann" von Richard Strauss ist länger als die Suite und hat einige spezielle Teile mit Chorpassagen und Einschüben türkischer Musik. Richard Strauss brachte sie bei der Uraufführung 1912 in Stuttgart zusammen mit der Oper "Ariadne auf Naxos" keinen Erfolg. Die Orchestersuite hat er einige Jahre später zusammengestellt. Sie hat sich im Konzertsaal durchgesetzt. Es sind die besten Teile der Schauspielmusik. In ihr findet sich ein für Strauss eher ungewöhnlicher neoklassischer Stil. Diese Musik ist sehr schlank und kammermusikalisch, dabei aber vielfältig und herausfordernd.
Die Klänge, die er mit den ziemlich wenigen Instrumenten erzeugt, sind reich und variabel. Zu diskutieren wäre, ob Richard Strauss für den politsatirischen Sarkasmus eines Molière und auch eines Komponisten namens Jean Baptiste Lully, der vor ihm das Ganze vertont hat, und ob Richard Strauss für die Türkenmode des späten 17. Jahrhunderts gleich viel übrig hatte. Dass aber zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als Strauss seine Musik komponierte, immer noch viele Leute scharf auf Adelstitel waren und das Renommee des blauen Blutes bewunderten, verleiht der Musik quasi ewige Aktualität.
Live aus der Philharmonie Berlin
Hector Berlioz
Ouvertüre zur Oper "Béatrice et Bénédict"
Rodolphe Bruneau-Boulmier
"Terra Nostra", Konzert für Klavier, Streicher, Schlagzeug und Trompeten (Uraufführung)
Richard Strauss
Orchestersuite aus der Bühnenmusik zu "Der Bürger als Edelmann"
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