DSO Berlin mit Osmo Vänskä

Plagiat und Dankopfer

Der Dirigent Osmo Vänskä
Der Dirigent Osmo Vänskä © Kaapo Kamu/DSO Berlin
09.10.2015
Kaum war das Musikfest Berlin mit seinem Schönberg-Nielsen-Schwerpunkt vorbei, widmete sich das DSO Berlin in seinem ersten regulären Saison-Konzert der "klassischen Moderne" - unter einem ausgewiesenen Spezialisten für die Sinfonien Nielsens und Sibelius'. Der finnische Maestro Osmo Vänskä leitete ein Programm mit Igor Strawinskys "Le Sacre du printemps" und Dmitrij Schostakowitschs Erstem Klavierkonzert, zwei Stücken, die oft und gern gespielt und gehört werden.
Das war freilich nicht immer so. Igor Strawinskys Ballettmusik "Le Sacre du printemps" - die Schilderung eines fiktiven Dankopferrituals aus dem "heidnischen Russland" - sorgte wohl vor allem wegen ihrer tänzerischen Darstellung bei seiner Uraufführung im Jahr 1913 in Paris für einen legendären Skandal, bei dem einzelne Besucher im Publikum wutentbrannt aufeinander los gingen. Dem Ruhm des Werks hat es nur genützt – und längst ist der einstige Aufreger ein – zu Recht – allseits geschätztes Repertoirestück geworden, dessen rhythmische Vitalität so manches Rockkonzert in den Schatten stellt. Bis heute ist aber ein versierter Dirigent vonnöten, um das vielschichtig verschachtelte Werk adäquat darbieten zu können. Mit Osmo Vänskä, dem langjährigen Chefdirigenten des Minnesota Orchestra, stand dem DSO Berlin ein solcher Dirigent zur Verfügung.
"Le Sacre du printemps" bildete den ekstatischen Abschluss des Abends, der so ganz anders begonnen hatte. Zu Beginn gab es nämlich das "Konzert für Streicher" von Nino Rota. Dieser Mailänder Komponist ist vor allem als Lieferant der Soundtracks der Fellini-Filme bekannt geworden. Sein Streicherkonzert entstand fünf Jahrzehnte später als Strawinskys Ballett, stilistisch zählt es dennoch zur "klassischen Moderne". Rota bezieht sich auf historische Vorbilder, das Concerto grosso und die (italienische) Musik des 18. und 19. Jahrhunderts, die er mit musikalischen Zutaten des 20. Jahrhunderts würzt. Der unbedingte Wille zum Neuen, der solche Komponisten wie Arnold Schönberg antrieb, war Rotas Sache nicht. "Es gibt keine Plagiate in der Musik. Das musikalische Material ist gemeinsamer Besitz. Wenn jemand es nimmt und sich zu Eigen macht, ist er seinem Vorgänger nichts weiter als Dank schuldig."
Dieses Credo Rotas ist zwar juristisch bedenklich, künstlerisch aber oft ausgesprochen tragfähig. Auch der junge Dmitrij Schostakowitsch – als Pianist im Stummfilmkino ohnehin mit dem Recycling traditioneller Musikstile vertraut – hatte wenig Scheu, in seinem Ersten Klavierkonzert (eigentlich einem Konzert für Klavier, Trompete und Orchester) seine musikgeschichtlichen Kenntnisse zu dokumentieren. Beethoven, Haydn, aber auch romantische Walzerseligkeit fanden ihren Platz in diesem Konzert. Es ist ein vor Vitalität sprühendes Werk, dessen Solopart der Komponist, der auch ein begnadeter Pianist war, bei der Uraufführung selbst spielte. Im Konzert des DSO Berlin war Igor Levit der Solist, in Russland geboren und seit seinem achten Lebensjahr überzeugter Bürger der Niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover. Er hat eine beeindruckende Karriere begonnen, spätestens seit seinem Triumph beim Rubinstein-Wettbewerb 2005 gehört er zu den gesuchten Pianisten im Musikleben unseres Landes und darüber hinaus.
Philharmonie Berlin
Aufzeichnung vom 27. September 2015
Nino Rota
Konzert für Streicher
Dmitrij Schostakowitsch
Konzert für Klavier, Trompete und Streichorchester Nr. 1 c-Moll op. 35
ca. 20.55 Uhr Konzertpause, darin: Osmo Vänskä im Gespräch mit Volker Michael
Igor Strawinsky
"Le Sacre du printemps" Bilder aus dem heidnischen Russland
Igor Levit, Klavier
Joachim Pliquett, Trompete
Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
Leitung: Osmo Vänskä