Aus den Feuilletons

Wohnungsbau flop, Kultur top

Berlin: Der Koalitionsvertrag liegt bei Sitzung im Fraktionssaal im Bundestag auf dem Tisch. Union und SPD haben sich auf die Verteilung der Ministerien verständigt und eine Einigung in den Koalitionsverhandlungen geschaffen.
Titelseite des Koalitionsvertrages, aufgenommen am 7.2.2018 im Bundestag in Berlin © picture-alliance / dpa /Britta Pedersen
Von Adelheid Wedel · 12.02.2018
Verschiebebahnhof: Das Hin und Her bei der Besetzung des Bauministeriums zeige, dass der großen Koalition beim Thema Wohnungsbau kaum etwas einfällt, schreibt die "SZ". Der "Tagesspiegel" freut sich hingegen über eine Stärkung der Kultur im Koalitionsvertrag.
Halbherzige Regierungsbildungsvorschläge und Koalitionseinigungsversuche beschäftigen uns in Deutschland seit einiger Zeit. Nun liegt mit dem Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD ein Ergebnis vor, das beurteilt werden kann – auch in den Feuilletons.
In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG macht Laura Weissmüller ihrem Ärger Luft. Sie schreibt: "Dass eines der wichtigsten Ministerien, das Bau-Ressort, mal diesem und mal jenem Minister zugeschlagen wird, ist Ausdruck dafür, dass der Politik und nun auch der großen Koalition zum Thema Wohnungsbau kaum etwas einfällt."
Sie erinnert daran, dass das Ressort von Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, wo es seit 2013 eher unglücklich angesiedelt war, nun hin zu Heimat und Inneres wandert. Und kommentiert: "Als ginge es beim Bauen wirklich nur um Zierrat – und nicht um etwas, das unser Land für Jahrzehnte prägen wird."

Soziale Gerechtigkeit zeigt sich in der gebauten Umwelt

Diesen Verschiebebahnhof nennt sie verantwortungslos, "denn nirgendwo sonst lässt sich die soziale Gerechtigkeit einer Gesellschaft so sehr studieren wie in ihrer gebauten Umwelt." Geradezu fatal nennt die Autorin die Vorstellung der großen Koalition, man könnte die Wohnungskrise lösen, indem man die private Bauwirtschaft durch steuerliche Anreize und Geldgeschenke stärkt.
"Das Gegenteil ist der Fall", meint Weissmüller und führt aus: "Es ist die falsche Antwort auf die Frage, wer bezahlbaren Wohnraum vorrangig braucht. Das ist nicht die Mittelschicht, das sind die Wenigverdienenden, Alleinstehenden und Alleinerziehenden. Das sind arme Alte, Auszubildende und Geflüchtete." Der Staat wird von ihr aufgefordert zu bestimmen, "mit welchen Zielen gebaut wird – für die Gemeinschaft oder fürs private Konto."

Kontinent der Anerkennung, des Respekts und der Solidarität

"Der Koalitionsvertrag stärkt die Kultur", lobt der Präsident des Goethe-Instituts im TAGESSPIEGEL im Ergebnis seiner Analyse. Klaus-Dieter Lehmann bricht den neu formulierten Auftrag an die Kultur auf sein Institut herunter und stellt erfreut fest, dass die Anforderungen der Verhandlungspartner mit den Möglichkeiten und Intentionen des Goetheinstituts trefflich überein stimmen.
Dafür zählt er zahlreiche Beispiele auf, so die stärkere "Verschränkung der Innen- und Außenkulturpolitik, die erweiterte Definition von Mitteln für humanitäre Hilfe in den Flüchtlingslagern", die Vernetzung durch das Partnerschulprogramm , auszudehnende kulturelle Zusammenarbeit mit Afrika.
Lehmann zitiert aus dem Koalitionsvertrag den Satz: "Europa ist auch ein kulturelles Projekt" und verweist darauf, das sei für das Goethe-Institut lebendige Wirklichkeit. Bis 2020 will es zehn deutsch-französische Institute gründen. "Europa muss wieder ein Kontinent der Anerkennung, des Respekts und der Solidarität werden", formuliert Lehmann. "Kein Europäer soll sich in einem europäischen Land als Fremder fühlen."

Große Filmfestivals als kollektive Erfahrungen

In wenigen Tagen wird Berlin für eine Weile das Zentrum eines europäischen Kulturfestivals sein. Die Berlinale wirft ihre Schatten voraus und lässt so manchen fragen: Wozu das? Die Tageszeitung DIE WELT lässt diese Frage von einem Filmspezialisten aus Frankreich beantworten, von Serge Toubiana, dem Direktor von Unifrance, der weltweiten Exportorganisation des französischen Films. Im Gespräch mit Hanns-Georg Rodek klagt der 68-Jährige, in Frankreich eine Kritikerlegende:
"Es ist etwas im Blick der Zuschauer verloren gegangen, in ihrer Fähigkeit zu sehen, selbst bei den Kritikern. Sie können keine Filme mehr ansehen. Sie sehen einen Film – und vergessen ihn sofort wieder. Die Geschwindigkeit des Filmkonsums ist eine Katastrophe."
Hier käme den großen Filmfestivals eine Rolle zu. "Sie bleiben ein Schaufenster für die Kunst", meint Toubiana.
"Die großen Festivals sind große kollektive Erfahrungen. Wenn man darauf verzichtet, geht ein fundamentaler Teil des Kontrakts zwischen Film und Zuschauer verloren. Das Festival ist ein zeremonieller Ort. Man feiert den Film, aber auch das Publikum und die Beziehung zwischen den beiden."
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