Drohende Destabilisierung im Libanon

"Ein Spielball auswärtiger Konflikte"

Präsident Michel Aoun (rechts) bei einem Treffen mit Ex-Premier Saad al-Hariri.
Der Präsident ein Christ, der (Ex-)Ministerpräsident ein Sunnit - im Libanon ist die Machtverteilung sorgsam nach Religion austariert. © dpa / EPA / Wael Hamzeh
Christian Hanelt im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 14.11.2017
Der Nahostexperte der Bertelsmann-Stiftung, Christian Hanelt, warnt vor einer Destabilisierung Libanons vor allem durch Saudi-Arabien. Das kleine Land, in dem jeder vierte ein Flüchtling ist, sei wieder zur Arena für Stellvertreterkriege des Nahen Ostens geworden.
Liane von Billerbeck: Er war von seinem Amt als Ministerpräsident zurückgetreten mit der Bemerkung, er fürchte, dass er das Schicksal seines Vaters teilen würde, der 2005 ermordet worden war. Deshalb, sagt Saad Hariri, hatte er sein Amt niedergelegt und war in die saudische Hauptstadt gereist – eine Reise, die Gerüchten Nahrung gab von Entführung oder zumindest von starkem saudischem Druck auf ihn. Nun gab es die Ankündigung, Hariri könnte in den nächsten Tagen ins Land zurückkehren.
Warum diese Rückkehr so wichtig wäre für die Stabilität des Landes und welche Rolle der Libanon in der Region spielt, was das alles mit uns zu tun hat, das kann unser Gesprächspartner uns jetzt erklären. Das ist Christian Hanelt, Nahost-Experte der Bertelsmann Stiftung, und er war vor gar nicht allzu langer Zeit selbst im Libanon.
Christian Hanelt: Schönen guten Morgen, Frau von Billerbeck!

Im Libanon gibt es 18 offizielle Religionsgemeinschaften

von Billerbeck: Warum bitte ist Hariri so extrem wichtig für den Libanon?
Hanelt: Saad Hariri ist arabischer Sunnit und er steht für die sunnitische Komponente in diesem ganz sensiblen Regierungssystem im Libanon. Man muss sich vorstellen, der Libanon ist so groß wie Hessen, fünf Millionen Einwohner, jeder Vierte ist ein Flüchtling. Und das kleine Land wird regiert von einem Ministerpräsidenten, der ist christlich, Saad Hariri ist Sunnit und der Parlamentspräsident ist Schiit.
Ein Checkpoint an der syrisch-libanesischen Grenze in der Nähe von Qalamoun.
Ein Checkpoint an der syrisch-libanesischen Grenze in der Nähe von Qalamoun.© dpa/picture alliance/RIA Novosti
Und in diesem Regierungssystem, in dem es 18 offizielle Religionsgemeinschaften gibt und die drei wichtigsten sich die drei wichtigsten Posten teilen, ist die sunnitische Komponente, also eine stabile Regierung, sehr wichtig, um das Land überhaupt regierungsfähig zu halten angesichts dieser großen Herausforderungen, von denen die Flüchtlinge oder der Bürgerkrieg in Syrien nur eine der wenigen sind.

Außenpolitische Einmischung ins libanesische Gleichgewicht "sehr riskant"

von Billerbeck: Aber könnte nicht ein anderer Sunnit seine Rolle genauso gut oder schlecht ausfüllen?
Hanelt: Ja, das könnte er natürlich. Aber Sie müssen sich vorstellen, es hat jetzt sehr lange gedauert, bis vor einem Jahr endlich ein christlicher Präsident gewählt worden ist und danach eben Saad Hariri und seine Future-Partei die Regierungsführung übernommen haben. Und die Regierung besteht eben auch aus Vertretern der unterschiedlichen Parteien, nämlich der christlichen, sunnitischen und schiitischen Vertreter.
Das Problem ist eben, dass diese Regierung eben erst ein Jahr steht und der Ministerpräsident wirklich plötzlich nach Riad abberufen worden ist und diese Gerüchte um seinen Rücktritt und selbst den Rücktritt, den er verkündet hat, angekündigt hat, er würde zurückzutreten, um seine Kündigung einzureichen …
Das bedeutet aber, dass in dem sunnitischen Parteiensystem nach einem neuen Premierminister gesucht werden würde. Und ob man sich dann auf jemanden einigen kann, das kann man sehr schwer vorhersagen. Auf jeden Fall ist die außenpolitische Einmischung in dieses System eben halt sehr riskant für die Regierungsfähigkeit des Landes.

Eine Arena für die Stellvertreterkriege des Nahen Ostens

von Billerbeck: Sie haben gesagt: nach Riad abberufen. Das klingt ja, als ob da der lange Arm von Saudi-Arabien wirklich sehr, sehr lang ist und dass Saudi-Arabien da eine große Rolle spielt in diesem Land Libanon. Warum ist dieses Land so wichtig in der Region?
Hanelt: Dazu vielleicht zwei Gedanken. Der eine ist, der Hariri-Clan ist auch gleichzeitig ein großes Wirtschaftsimperium in Saudi-Arabien. Saad Hariri hat noch einen älteren Bruder, Bahaa Hariri, der wohl anscheinend näher dran ist am saudischen Kronprinzen.
Und es gibt widersprüchliche, aber auch noch unbestätigte Berichte, dass der saudische Kronprinz in diesen Hariri-Konzern hineinregiert und im Rahmen seiner Antikorruptionskampagne dort wohl eher Saad Hariri zurückstellen will und Bahaa, also den älteren Bruder von Saad Hariri promoten möchte. Es soll auch Gerüchte geben, nach denen der ältere Bruder, also Bahaa Hariri Saad ablösen soll als Premierminister im Libanon. Aber ob man das von außen steuern kann, ist sehr fraglich.
Die Landkarte zeigt den Libanon und einen Teil Syriens und Israels.
Die Landkarte zeigt den Libanon und einen Teil Syriens und Israels.© Screenshot Google Maps, 19.8.2017
Auf jeden Fall zeigt uns das wieder, dass der kleine Libanon wieder zur Arena der Stellvertreterkriege im Nahen Osten geworden ist. Man muss sich vorstellen, in den letzten 30 Jahren wurden sieben Stellvertreterkriege und Konflikte in dem kleinen Land ausgetragen und von denen sind noch vier virulent: die ungelöste Palästinenserfrage, der syrische Bürgerkrieg, der in den Libanon hineinreicht, der Gegensatz zwischen Israel und Iran und eben, was Sie angesprochen haben, der gefährliche Machtkampf zwischen Iran und Saudi-Arabien.
Und der Iran hat seine Macht über die Hisbollah in dem Land ausgebaut in den letzten Jahren und der neue saudische Kronprinz nimmt die Herausforderung an und will auch im Libanon Stärke zeigen, dort dem iranischen Einfluss zu begegnen. Und das macht das Land wieder zum Spielball auswärtiger Konflikte.
Vorne eine große Gruppe junger Männer mit Kopftüchern in Tarnfarben, dann die große Plastik einer Faust mit einem Maschinengewehr in der Hand, dahinter eine große Gruppe Männer mit grünen Kopftüchern und in schwarzen Hemden.
Einfallstor für den Einfluss des Iran: Hisbollah-Mitglieder bei einer Parade in der libanesischen Haupstadt Beirut am 12. 10. 2016.© AFP / ANWAR AMRO
von Billerbeck: Warum ist das nun alles so wichtig für uns? Sie haben ja schon das Stichwort "Flüchtlinge" in Ihrer ersten Antwort genannt. Ist es das vor allem, weshalb wir so genau hingucken müssen, was da im Libanon passiert und wer da ein Kräftemessen wagt?
Hanelt: Sie haben völlig recht, Frau von Billerbeck. Wir als Europäer und gerade wir als Deutsche sind die größten Einzelgeber von der Hilfe in der Flüchtlingsfrage. In den letzten fünf Jahren haben Europa und Berlin vier Milliarden Euro in das Land gepumpt, um es überhaupt einigermaßen stabil zu halten, dass zum Beispiel das Gesundheits- und Bildungsministerium überhaupt funktionieren.
Denn Sie haben mindestens 250.000 syrische Kinder, die nicht zur Schule gehen, sondern die irgendwo in Steinbrüchen und auf Feldern arbeiten. Ich konnte mir das angucken, dass eben viele Hunderttausende Syrer in der Bekaa-Ebene, also im Osten des Libanon in flüchtigen Zeltlagern leben. Und es gibt eben die große Herausforderung, dort die humanitäre Lage der Flüchtlinge im Libanon zu verbessern. Wenn man sich vorstellt, dass jeder Vierte Flüchtling im Libanon ist, dann kann man sich vorstellen, was das für eine wirtschaftliche und soziale Herausforderung ist.

Politischer Einfluss Europas in der Region gering

Und wenn dazu eben Konflikte von außen kommen mit der Androhung auch von Saudi-Arabien, dem Land wirtschaftlich und finanziell zu schaden, indem man den Tourismus und auch die Investition zurückfährt, dann bedeutet das zusätzlich zu einer nicht handlungsfähigen Regierung eine Destabilisierung des Libanon, was nicht im Interesse Europas sein kann. Aber was hier wieder fehlt, ist: Der politische und diplomatische Einfluss Europas in der Region ist extrem gering. Und so können wir unsere Interessen, die Stabilität des Libanon und die Stabilität der Flüchtlingslage herzustellen, wenig unterstützen.
von Billerbeck: Einschätzungen waren das von Christian Hanelt, Nahost-Experte der Bertelsmann Stiftung nach dem Fall Hariri. Wir danken für das Gespräch!
Hanelt: Gern geschehen, auf Wiederhören!
von Billerbeck: Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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