Drogenpolitik in Portugal

Bußgeld und Beratung statt Gefängnis

05:24 Minuten
Eine Frau baut mit Marihuana einen Joint (Tüte). Zu sehen sind eine kleine Dose mit Marihuana und auf dem Tisch ein noch nicht gedrehter Joint. Copyright: Julia Imo/ picture alliance/photothek
Wer in Portugal mit unter fünf Gramm Marihuana erwischt wird, kommt mit einem Bußgeld davon. © picture alliance / photothek /Julia Imo
Von Tilo Wagner · 16.11.2021
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Während man in Deutschland über die Entkriminalisierung von Cannabis diskutiert, ist das in Portugal seit 20 Jahren Realität - und gilt weltweit als gutes Beispiel für Hilfe statt Verfolgung. Die Zahl der Drogentoten ist zurückgegangen.
Tiago Praça sitzt am Töpferstein und formt mit seinen glitschig-nassen Händen ein Stück Ton. Der hagere Mann mit den schütteren Haaren konsumiert seit über 30 Jahren harte Drogen. Dass er überhaupt noch lebe, sagt er, habe mit dem portugiesischen Drogen-Modell zu tun, das vor zwanzig Jahren eingeführt wurde.
„Die Leute sterben nicht mehr so häufig am Konsum“, sagt Praça
Ende der 90er-Jahre steckte Portugal in einer schweren Drogenkrise. Rund ein Prozent der Bevölkerung konsumierte Heroin, die Hälfte der 100.000 HIV-Infizierten war damals auf den Konsum harter Drogen zurückzuführen. Und das Viertel Casal Ventoso im Westen Lissabons galt als der größte Drogensupermarkt Europas.

Drogenviertel im Wandel

Praça erinnert sich: „Weißt du, was damals jeden Tag in Casal Ventoso passiert ist? Irgendjemand rannte auf die Straße und rief 'Salz! Salz!' Das war irgend so eine bescheuerte urbane Legende, dass Salz bei Überdosis helfen würde. Aber das war natürlich total gefährlich. Das ist jetzt alles vorbei. Ich habe niemanden auf der Straße mehr nach Salz schreien hören.“
Die Baracken des Drogenviertels Casal Ventoso wurden abgerissen. Unterhalb einer Eisenbahnbrücke sind die Anwohner in Sozialbauwohnungen umgezogen. Der Drogenkonsum hat zwar abgenommen, aber er ist nicht verschwunden. Seit 2001 müssen die Süchtigen nicht mehr fürchten, wegen Besitzes einer kleinen Menge für den Eigenkonsum ins Gefängnis zu kommen.

Hilfe für Abhängige vor Ort

Jeden Tag hält hier der Methadon-Bus eines Sozialvereins und versorgt die vielen ehemaligen Heroinabhängigen mit ihrer täglichen Dosis. Der Bus ist weit mehr als nur eine Ersatzdrogen-Versorgungsstelle, sagt der Sozialarbeiter Hugo Faría.
„Die Drogenabhängigen gehen nicht in die Gesundheitszentren, sie machen keine Vorsorgeuntersuchungen, und das verschärft die Krankheiten, die sie bekommen, wie Krebs oder andere chronische Probleme“, erläutert Faría. „Dank dieses Programms können wir uns besser um sie kümmern. Wir machen das direkt hier vor Ort: Untersuchungen oder Termine bei einem Arzt oder einer Krankenschwester. Das ist heute viel besser als früher.“

Heroin nehmen nur noch die Älteren

Die Koppelung von Methadonausgabe und Gesundheitsversorgung ist vor allem deshalb so wichtig, weil die betreuten Personengruppen in Portugal überwiegend älter als 45 Jahre sind. Unter jüngeren Portugiesen und Portugiesinnen spielt Heroin kaum noch eine Rolle, dafür nimmt der Cannabis-Konsum zu. Haschischraucher werden, genau wie die Konsumenten von harten Drogen, nicht mehr strafrechtlich verfolgt, wenn sie mit kleinen Mengen von der Polizei erwischt werden.
So wie Rodrigo, ein Anfang Zwanzigjähriger, der mit seinen Freunden im Auto am Strand einen Joint geraucht hatte und von der Polizei mit zwei Gramm Haschisch aufgegriffen wurde. Rodrigo sitzt jetzt nicht auf der Polizeiwache, sondern in einem unscheinbaren Büro des Gesundheitsministeriums und füllt einen Fragebogen aus. Es ist das erste Mal für ihn.

Spielregeln des Kosums

Nuno Capaz  von der Drogenkommissionsstelle erklärt ihm die Spielregeln: Wer mit weniger als fünf Gramm erwischt werde, müsse ein Bußgeld bezahlen. Das sei so, wie wenn man Auto fährt und bei der Polizeikontrolle nicht angeschnallt war. Rodrigo nickt, beantwortet noch ein paar Fragen zu seinem Drogenkonsum – und darf dann wieder gehen.
Das Bußgeld von 25 Euro wird nur fällig, wenn er in den nächsten drei Monaten erneut erwischt wird. Seit der Entkriminalisierung des Drogenkonsums werden Suchtprobleme auf einer sehr viel menschlicheren Ebene behandelt, sagt der Drogenberater Nuno Capaz.
„Gerichte und Gefängnisse wurde nicht erfunden, um die Probleme der Kriminellen zu lösen, sondern um die Probleme zu lösen, die die Gesellschaft mit den Kriminellen hat", sagt Capaz. "Dagegen sind die Gesundheitszentren geschaffen worden, um die Probleme der Menschen zu lösen. Deshalb arbeiten wir als Teil des Gesundheitssystems genauso mit Konsumenten. Wir machen eine Suchtrisiko-Evaluierung und leiten die Betroffenen an andere Stellen weiter.“

Kampf gegen den illegalen Drogenhandel

Eine Lösung für den illegalen Drogenhandel und seine weitreichenden Konsequenzen hat aber auch das portugiesische Modell noch nicht gefunden. Das gibt auch der Drogensuchtexperte João Goulão zu, der vor über 20 Jahren das portugiesische Modell auf die Beine gestellt hat.
Allerdings, sagt Goulão, erkenne auch die portugiesische Polizei mittlerweile die Vorteile des Programms an:
„Die Polizei musste sich jetzt nicht mehr um diese vielen Konsumenten mit kleinen Mengen kümmern und hat sie einfach ans Gesundheitsamt verwiesen. Das hat viel Energie und Zeit eingespart, die sie dann nutzen konnte, um bei der Bekämpfung der großen Haie des Drogenhandels viel effizienter und erfolgreicher zu sein.“

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