Drogen im Krieg

Auf Drogen kämpfen, dank Drogen schlafen

Die drei Drogen, die ukrainische Soldaten am häufigsten mindestens einmal im Monat nehmen, sind Cannabis, Amphetamin und das Schlafmittel Lyrica.
Ein ukrainischer Soldat geht durch einen Schützengraben © IMAGO / Funke Foto Services / Andr
Amphetamine, um wach zu bleiben, Cannabis, um runterzukommen – im Krieg nehmen Soldaten Drogen, um die Belastungen des Krieges standzuhalten. So auch im Ukrainekrieg. Die Folgen dabei sind meist verheerend.
Drogen gehören in Kriegen zum Alltag: Amphetamine halten wach, Schmerzmittel betäuben Verletzungen, Alkohol soll Angst und Traumata lindern. Soldatinnen und Soldaten greifen oft zu Substanzen, um in Extremsituationen zu funktionieren – manchmal aus freien Stücken, manchmal aus purer Not. Welche Ausmaßen und Folgen das haben kann, lässt sich im Ukrainekrieg beobachten.
Was kurzfristig hilft, kann langfristig zerstören: Abhängigkeit, Psychosen und gesellschaftliche Folgen nehmen zu. Während einige Armeen den Konsum tabuisieren oder bestrafen, experimentieren andere bereits mit Neurotechnologie, die menschliche Leistungsgrenzen verschieben soll. Welche Rolle spielen Drogen im Militär historisch und aktuell? Wie wird mit dem Problem umgegangen wird – und welche Risiken birgt die Zukunft?

Welche Rolle spielen Drogen an der Front in der Ukraine?

Drogen spielen im Kriegsalltag eine zentrale Rolle – vor allem als Mittel zum Funktionieren. Der ukrainische Soldat „Smartie“ (Name anonymisiert), der unter anderem an der Schlacht um Bachmut beteiligt war, beschreibt eindrücklich, wie Soldaten unter extremem Schlafmangel leiden und dennoch leistungsfähig bleiben müssen: „Im Krieg ist Vertrauen zu deinen Kameraden alles. Ich wollte verlässlich sein. Wer in solchen Situationen keine Battle Meds dabei hatte, hat halt Drogen wie Amphetamin genommen. Und das kann ich komplett nachvollziehen.“ Diese sogenannten „Battle Meds“ – zugelassene Medikamente, die im Krieg zweckentfremdet werden – helfen, wach und kampffähig zu bleiben.
Aktuell gehören im ukrainischen Militär Cannabis, Amphetamine und das Schlafmittel Lyrica zu den meistverwendeten Substanzen. Die Dunkelziffer ist hoch, das Thema bleibt tabu.
Auch, weil die Sanktionen hart sind: Wer nach seinem Tod an der Front positiv auf Drogen getestet wird, riskiert, dass die Familie keine Entschädigung erhält. Eine offizielle Rehabilitationsstrategie für abhängige Soldaten gibt es nicht.
Über den Missbrauch von Substanzen auf russischer Seite lässt sich hingegen wenig sagen. Zwar ist der Drogenkonsum in der ukrainischen Armee offiziell kein anerkanntes Problem, es gibt aber Menschen, die darüber sprechen. Auf russischer Seite wird das Problem einfach vollständig ignoriert. In den russisch besetzten Gebieten der Ukraine seien sogar zuvor bestehende Reha-Zentren für Süchtige geschlossen worden, in denen die Betroffenen den Ersatzstoff Methadon bekommen konnten.

Welche Folgen haben die Drogen langfristig für die Soldaten?

Die langfristigen Folgen sind gravierend – körperlich wie psychisch. Besonders fatal wirken sich neue synthetische Substanzen wie sogenannte „SALTS“ oder „Straßenmethadon“ aus. „Diese Drogen zerstören einen innerhalb eines Jahres psychisch“, warnt der ukrainische Experte Fedir Sydoruk von der Global Initiative Against Transnational Organized Crime, einer internationalen Nichtregierungsorganisation gegen organisierte Kriminalität, die sich auch mit dem Einsatz von Drogen im Krieg beschäftigt: „Jugendliche kommen mit 13, 14 Jahren zu uns – mit Psychosen und einer lebenslangen Behinderung.“
Neben den chemischen Schäden wirken Drogen auch als Verstärker traumatischer Erlebnisse. Veteranen bringen Abhängigkeiten mit in ihre Familien, das Umfeld leidet mit. Zudem verfestige sich in vielen Milieus eine toxische Männlichkeitskultur, in der Schwäche nicht gezeigt werden darf, erklärt Smartie: „Eine Kultur, in der das Eingeständnis von Schwäche einen Mann als minderwertig erscheinen lässt, hilft weder dem Einzelnen noch dem Team.“ Der Griff zur Droge wird dadurch zur letzten scheinbaren Option.

Welche Rolle spielen Drogen und Substanzen in der Bundeswehr?

In der Bundeswehr gilt ein striktes Drogenverbot – für legale und illegale Substanzen. Laut Bundeswehrsprecherin spielen Drogen „regelmäßig keine Rolle“. Doch das offizielle Meldewesen bildet das tatsächliche Ausmaß nur unzureichend ab. Der Drogen- und Suchtbericht 2018 beschreibt ein breites Präventionsangebot mit Seminaren, Aushängen und digitalen Kampagnen. Die Umsetzung erscheint jedoch lückenhaft: 2024 wurden lediglich 60 Multiplikator:innen geschult und nur 20 Anfragen beantwortet – bei rund 260.000 zivilen und militärischen Bundeswehrangehörigen.
Besonders problematisch ist der Alkohol. Der Jahresbericht der Wehrbeauftragten dokumentiert Fälle von Gewalt und Vandalismus unter starkem Alkoholeinfluss. Auch wenn Cannabis in Deutschland mittlerweile teils legal ist – für Bundeswehrsoldat:innen bleibt es verboten. Die Konsequenzen für Drogenkonsum sind hart: Fristlose Entlassungen in den ersten Dienstjahren sind möglich. Die Hemmschwelle, Hilfe zu suchen, bleibt dadurch hoch. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen als die offiziell bekannten 139 Suchtbehandlungen im Jahr 2024.

Wo wurden in der Geschichte bereits Medikamente bei Soldaten eingesetzt?

Beispiele für den gezielten Einsatz von Medikamenten gibt es zahlreich: Im Zweiten Weltkrieg nutzte die Wehrmacht Pervitin, um Kraftfahrer und Offiziere auch bei Nacht marschieren zu lassen. Die Einnahme war dabei streng reglementiert, da Militärärzte früh vor Abhängigkeit und Leistungseinbrüchen warnten. „Wenn man mit diesen Mitteln nicht richtig umgeht, konnte das die Leistung der Truppe zum Negativen beeinträchtigen“, erklärt Militärhistoriker Leonard Kleiber.
In den USA wurden in Afghanistan und im Irak sogenannte „Go-Pillen“ (Amphetamine) an Piloten vergeben, um die Wachheit zu verlängern. Ergänzt wurden sie durch „No-Go-Pillen“ – Schlaftabletten zur Erholung nach Einsätzen. In Somalia oder im Sudan setzten Guerillagruppen sogar Kinder unter Drogen, um sie gefügig zu machen. „Brown Brown“ – eine Mischung aus Schießpulver und Kokain – trieb sie in einen gefährlichen Aggressionsrausch.
Drogen sind dabei keineswegs nur ein modernes Phänomen. Schon in der Antike wurden sie genutzt – etwa Opium versetzter Wein zur Motivation und Schmerzlinderung in der Armee Alexanders des Großen.

An welchen Substanzen und Möglichkeiten wird geforscht, um Soldaten leistungsstärker zu machen?

Die Zukunft der Kriegsführung liegt laut Experten nicht allein in chemischen, sondern zunehmend in technologischen Eingriffen ins Gehirn. Der polnische Politologe Łukasz Kamienski beobachtet zwei Trends: Zum einen die Individualisierung von Medikamenten durch Künstliche Intelligenz. Zum anderen: Gehirnstimulation durch elektrische Impulse – bis hin zu implantierbaren Chips. Geräte der US-Militärforschungseinrichtung DARPA arbeiten bereits mit Schall- und Lichtimpulsen, die Nanopartikel gezielt ins Gehirn leiten sollen.
Die Vision: „Super-Soldaten“ mit maximaler Konzentration, ohne Erschöpfung oder Stimmungsschwankungen. Systeme wie das „assisted closed-loop brain-computer interface“ (Deutsch: unterstützte geschlossene Gehirn-Computer-Schnittstelle) können Hirnaktivitäten automatisch überwachen und stimulieren – ohne dass der Soldat dies bewusst merkt. Kamienski warnt: „Damit kann eine unfreiwillige Erweiterung der menschlichen Fähigkeiten erzeugt werden. Ist man dann noch zu 100 Prozent autonom?“ Mit Blick auf Verantwortung im Krieg plädiert er für ein neues ethisches Verständnis von Autonomie und Identität.

mg