Drogen in der Medizin

Rausch auf Rezept

"Graspirin" als Medikament fordert eine Demonstrantin auf der Hanfparade 2014 in Berlin.
"Graspirin" als Medikament fordert eine Demonstrantin auf der Hanfparade 2014 in Berlin. © dpa / picture alliance / Rainer Jensen
Von Georg Gruber · 05.04.2018
Seit 2017 ist in Deutschland Cannabis auf Rezept erlaubt, der Bundestag verabschiedete im Januar ein entsprechendes Gesetz. Andere Substanzen, wie LSD und MDMA sind weiterhin verboten, obwohl auch diese Stoffe therapeutisch sinnvoll eingesetzt werden können.
Cannabis-Patient: "Damals ging es mir richtig richtig schlecht. Heute, Sie sehen mich, ich bin wohlauf, mir geht’s gut. Ich habe auch keine Selbstmordgedankten mehr, was ich früher eben hatte."
Prof. Kirsten Müller-Vahl: "Ich denke, das ist wichtig, dass man sich da gedanklich frei macht und nicht automatisch reflexhaft sagt, na gut, das wird als Droge genommen, dann kann das ja keinen medizinischen Nutzen haben, das ist glaube ich unsinnig."
LSD-Patient: "Ich durfte meinen Emotionen freien Lauf lassen, was sehr befreiend war. Ich konnte endlich mal weinen. Ich konnte wütend sein. Ja, ich war wütend auf meine Krankheit, ich konnte mir Luft machen."
Prof. Tom Bschor: "Und dann taucht natürlich die Frage auf, kommen wir jetzt hier langsam in eine ärztlich verordnete Abhängigkeit, indem wir dieses Medikament, das ja auch in der Drogenszene missbraucht wird, jetzt alle ein bis zwei Wochen ärztlich verordnen, das ist ja keine Depressionsbehandlung dann am Ende mehr, wenn der Mensch am Ende unter Drogen gesetzt wird."
Jahrhundertelang haben Heilpflanzen in der Medizin eine wichtige Rolle gespielt, Kräuter wurden getrocknet und als Tee getrunken oder zu Salben weiter verarbeitet. Oft hatten diese Heilpflanzen auch berauschende Wirkung. Im 19. Jahrhundert begann dann ein neues Zeitalter der Arzneimittelforschung: Deutschen Chemikern gelang es als ersten, reine chemische Wirkstoffe aus Arzneipflanzen zu isolieren. Zum Beispiel Morphium aus Rohopium oder Kokain aus den Kokablättern.
"Bisher schien es ein erprobtes Vorrecht des Muselmannes zu sein, sich mit Hilfe des Opiums hinüber zu schwingen in das Reich ungetrübter Genüsse."
(Zitat aus Bericht über Vortrag auf 48. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte, aus dem Jahr 1875, zitiert nach Michael de Ridder, Heroin. Vom Arzneimittel zur Droge, S. 27)
... konstatierte ein Redner 1875 auf einer Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte.
"Glieder unserer gebildeten und höheren Stände (...) beginnen indes im Anschluß an den medicamentösen Genuß des Narcoticums ebenfalls des vom Koran verpönten Saftes der Rebe überdrüssig zu werden. Auch sie ziehen es vor, ihr Dasein mit Opium zu würzen."

Freuds Selbstversuch mit Kokain

Kokain galt im 19. Jahrhundert noch als vielseitiges Medikament, es wurde beispielsweise zum Morphinentzug empfohlen - unter anderen von Sigmund Freud. Er stellte im Selbstversuch fest, dass Kokain Depressionen aufhellen und die Konzentration verbessern kann. 1898 wurde schließlich ein neues chemisch hergestelltes Medikament von den "Farbenfabriken vorm. Friedrich Bayer & Co" beim Reichspatentamt registriert: Heroin. Es war vor der Markteinführung getestet worden - an Werksangehörigen und an Kindern.
"Ähnlich günstige Erfolge bewirkte das Heroin in 3 Fällen von Keuchhusten. Es handelte sich um 3 Kinder in dem Alter von 3, 4 und 8 Jahren. (...) Von sämtlichen Kindern jedoch wurde das Heroin gut vertragen, ohne eine Spur von ungünstigen Nebenwirkungen."
(Therapeutische Monatshefte 1899, zitiert nach de Ridder, S. 45)
Tom Bschor: "Heroin und Kokain wurden früher medizinisch eingesetzt, mit tollen Erfolgen und begeistert war die Ärzteschaft, die Patienten waren es auch. Später hat man die negativen Folgen stärker gesehen, vor allen Dingen die Abhängigkeitsentwicklung, heute sind es illegale Drogen, die nicht besessen werden dürfen."
Professor Tom Bschor, Chefarzt der psychiatrischen Abteilung der Schlosspark-Klinik in Berlin und Sprecher der Arbeitsgruppe "Psychiatrie der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft". Was eine illegale Droge ist und was ein Medikament, sei, so sagt er, bis heute Ergebnis eines gesellschaftlichen Diskurses, in dem nicht nur Nutzen und Schaden der Substanz abgewogen würden. Entschieden werde am Ende vom Gesetzgeber und der Arzneimittelzulassungsbehörde:
"Aber wie die entscheiden, hat viel damit zu tun, gibt es Skandalberichte in der Presse über die eine oder andere Substanz, gibt es einen öffentlichen Aufruhr, dass etwas gefährlich sei oder gar nicht, gibt es einen pharmazeutischen Hersteller, der eine bestimmte Substanz auf den Markt bringen möchte und Studien konzipiert, die dann am Ende einen medizinischen Nutzen zeigen, wie ist im Moment die gesellschaftliche Situation gegenüber Drogen oder nicht. Von solchen Dingen, die dann zusammen einen Entscheidungsprozess katalysieren, hängt das ab. Man muss sich absolut von der Vorstellung verabschieden, dass das einem klaren transparenten, nüchternen nur wissenschaftlich gesteuerten Prozess folgen würde, den gäbe es auch nicht. Es ist nicht mit klaren wissenschaftlichen Mitteln zu sagen, wo ist die Grenze, dass eine Substanz mehr schadet als nützt oder andersherum."
Zum Beispiel Cannabis. Hanf war lange eine ganz normale Nutzpflanze, deren Blüten in Asien, Europa und den USA als Heilmittel genutzt wurden, zum Beispiel gegen Migräne oder Schlafstörungen. Erst in den 1930er Jahren wurde Cannabis in den USA und anschließend fast weltweit verboten - wegen seiner berauschenden Wirkung. Der Konsum von Drogen, der lange lediglich als "moralische Schwäche" betrachtet worden war, galt nun als Gefahr für die Gesellschaft, wie der Historiker Jakob Tanner in seiner Studie über die Geschichte der Drogenprohibition im 20. Jahrhundert schreibt:
"Spätestens in den 1920er Jahren verfügte der durchschnittliche Doktor über die fixe Idee, bei Drogenkonsum handle es sich um ein psychopathisches Phänomen. Die Betroffenen seien psychisch gespaltene, bewusstseinsgestörte, potenziell gefährliche Individuen, für die doch wohl eher Polizei und Justiz zuständig seien."
(Jakob Tanner, aus: Kurze Geschichte und Kritik der Drogenprohibition im 20. Jahrhundert. Zeitenblicke 9, 2009, http://www.zeitenblicke.de/2009/3/tanner)

Ausnahmegenehmigung für 1000 Deutsche

Ein lang währendes Verbot: Bis Anfang 2017 war auch in Deutschland die Einnahme von Medikamenten auf Cannabisbasis nur nach einem aufwändigen Genehmigungsverfahren erlaubt. Peter Müller, der in Wirklichkeit anders heißt, ist einer der rund 1000 Patienten mit so einer Ausnahmegenehmigung. 32 Jahre alt, Beruf Makler, Diagnose: ADHS und paranoide Schizophrenie. Er hörte Stimmen, hatte Selbstmordgedanken und nahm über Jahre verschiedene Psychopharmaka.
Cannabis-Patient: "Meine Konzentration ist tatsächlich mit diesen Medikamenten gestiegen gewesen, aber die Schlafstörungen, die haben mir einfach dann ein geregeltes Leben unmöglich gemacht. In der Frühe um 6 Uhr aufstehen und in der Arbeit stehen, das war dann nicht mehr, wenn ich erst um 5 Uhr in der Frühe einschlafen konnte. Ich war auch in dieser Zeit die ganze Zeit nicht arbeitsfähig, habe eigentlich gar nichts auf die Reihe gebracht und jetzt ist das einfach anders."
Anders ist es, seitdem er statt der Psychopharmaka Cannabis einnimmt. Seit zweieinhalb Jahren bezieht Peter Müller legal Blüten über eine Apotheke und verarbeitet sie zu einem Extrakt, das er mit einer E-Zigarette konsumiert. High wird er davon nicht.
Cannabis-Patient: "Ich habe eine elektronisch gesteuerte Zigarette, das heißt ich kann pro Zug gar nicht mehr Wirkstoff aufnehmen, somit kann ich immer eine gleichbleibende Wirkung garantierten."
Seine Krankheitssymptome sind seitdem deutlich zurückgegangen:
"Zum einen hab ich mein ADHS gut im Griff, das heißt ich kann mich konzentrieren, ich kann ein normales Leben führen, ich kann in der Frühe aufstehen, wenn ich möchte. Wenn ich nicht möchte, dann kann ich auch lang schlafen. Bei der Schizophrenie ist es so, ich meine, dass jetzt mit dieser Langzeitbehandlung auch langsam die Symptome weniger werden, also das heißt diese Stimmen, die ich immer gehört habe oder heute auch noch hin und wieder hintergründig wahrnehme, das wird weniger. Also ich meine, wenn’s so weiter geht, habe ich in einem Jahr oder so gar keine Stimmen mehr, die ich höre."

Was Patienten in der Sprechstunde erzählen

Kirsten Müller-Vahl ist Neurologin und Psychiaterin in der Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie der Medizinischen Hochschule Hannover. Als Expertin für Tic- und Tourette-Erkrankungen hat sie schon vor Jahren Behandlungsversuche mit Cannabis-basierten Medikamenten unternommen, auch weil ihr immer wieder Patienten in der Sprechstunde erzählten, dass ihnen Cannabis helfe:
"Was wir besonders bemerkenswert fanden, dass sich eben nicht nur die Tics gebessert haben, sondern bei vielen Patienten auch psychiatrische Begleitsymptome, die für diese Erkrankung sehr typisch sind. Bei vielen Patienten haben wir dann zusätzlich noch gefunden, dass sie beispielsweise besser schlafen konnten, dass sie weniger depressiv waren, dass Symptome einer begleitenden ADHS sich gebessert haben oder dass sich Zwänge gebessert haben."
Dabei zeigten neurologische Tests, dass die Patienten durch das Cannabis nicht gedämpft oder betäubt sind. Doch was genau Cannabis im Gehirn bewirkt, ist bis heute unklar:
"Wir glauben nun, dass der Effekt auf eine Wirkung im körpereigenen sogenannten Cannabinoid-System zurückzuführen ist. Wir wissen ja heute sehr gut, dass das weit im Körper verbreitet ist und insbesondere auch im Gehirn vorhanden ist. Und hier finden wir Bindungsstellen dieses Cannabinoid-Systems im Gehirn, besonders in den Regionen, die für das Tourettesyndrom eben vermutlich verantwortlich sind. Und wenn man cannabisbasierte Medikamente oder Cannabis einnimmt, dann wirkt das eben an diesen im Gehirn vorhandenen Bindungsstellen und verstärkt dort die Wirkung dieses vorhandenen Systems und so denken wir ist die Wirkung auch bei Patienten mit Tourettesyndrom zu erklären."
Offen ist auch noch, warum Cannabis bei so vielen verschiedenen Symptomen Linderung bringen kann, zumal das ungewöhnlich für ein einzelnes Medikament ist:
"Wenn man in eine Liste schaut der Bundesopiumstelle, wegen welcher Erkrankung und Symptome dort Genehmigungen für eine legale Selbsttherapie mit Cannabis erteilt wurden, dann stößt man auf 50 bis 60 verschiedenen Indikationen. Das reicht von Augenerkrankungen bis hin zu Hauterkrankungen, neurologische Erkrankungen, psychiatrische Erkrankungen, Magen-Darm-Erkrankungen, also ein ganz breites Spektrum. Und das wird die Aufgabe der nächsten Jahre sein, genau zu untersuchen, bei welchen dieser Erkrankungen, bei welchen dieser Symptome Cannabis wirklich eine Behandlungsalternative darstellt."
Seit Anfang 2017 darf Cannabis vom Hausarzt auf Rezept verschrieben werden. Doch trotz einstimmigem Bundestagsbeschluss ist es für Peter Müller – wie für viele andere Cannabis-Patienten auch - schwer, einen Arzt zu finden. Vielerorts scheint der Ruf von Cannabis als einer illegalen Freizeitdroge noch zu überwiegen.
Cannabis-Patient: "Also, ich werde von den Ärzten in der Regel nur schräg angeschaut, und hab es dann einfach sehr, sehr schwierig und sehr, sehr viele andere berichten im Selbsthilfenetzwerk darüber, dass sie keinen Arzt finden können."
Und THC, also der Rausch bewirkende Bestandteil der Hanfpflanze, könne ja auch gerade für junge Erwachsene und Jugendliche tatsächlich gefährlich sein, warnt Tom Bschor, Chefarzt in der Schloßpark-Klinik Berlin:
"Das haben wir jeden Tag: Patienten mit schwerer Cannabisabhängigkeit. Das führt dann dazu, dass diese meist jungen Menschen ihr Leben überhaupt nicht mehr auf die Reihe bekommen, keinerlei Ausbildung, keinerlei Tagesstrukturen nachgehen, von Zuwendung Harz IV leben, keine Ausbildung machen, sich nicht um ihre Zukunft kümmern oder schwere Psychosen entwickeln mit Wahnvorstellungen, Halluzinationen, die zu erheblichen Leid, schlimmen Ängsten, auch zu gefährlichen Situationen führen. Das ist ein kleiner Teil der Menschen, die Cannabis konsumieren, es ist so, dass die meisten Menschen Cannabis gelegentlich konsumieren können, damit wieder aufhören können, aber es gibt einen nicht zu vernachlässigenden kleinen Teil, der diese schlimme Abhängigkeit mit dem Versanden des Lebens oder Psychosen entwickelt und so differenziert muss man das auch betrachten."

Die Partydroge Ketamin

Ketamin ist eigentlich ein Narkosemittel - aber seit langem auch als Partydroge äußerst beliebt. Es wird geschluckt, geschnupft wie Kokain oder gespritzt. Vor allem bei den 15- bis 25-Jährigen ist es unter den Top Five, sagt Professor Malek Baijbouj. Er beschäftigt sich seit fünf Jahren an der Berliner Charité mit neu entdeckten positiven Effekten des Narkosemittels: Ketamin wirkt als stimmungsaufhellendes Antidepressivum. Eine Hoffnung besonders für therapieresistente Patienten.
Malek Baijbouj: "Es schließt halt so eine Versorgungslücke ja. Wir als Psychiater sind wir ja immer dadurch gehandicapt gewesen, in der Behandlung, dass wir Patienten sagen mussten, wir starten mit einer Behandlung, aber jetzt warten wir erst mal zwei bis drei Wochen, bei einem Medikament. Und dann kommt plötzlich eine Substanz, die das Potential hat, innerhalb von Stunden wirken zu können, das fehlte irgendwie im Portfolio an möglichen Behandlungen, was wir unseren Patienten anbieten wollen, deswegen verbreitet es sich aus meiner Sicht gegenwärtig und wird von immer mehr Kliniken getestet, eingesetzt."
Die Patienten erhalten Ketamin als Infusion:
"Ich erinnere mich sehr lebhaft an einen Patienten, wo ich neben seinem Bett stand, während er die Infusion bekommen hat und er dann sagte: Herr Doktor, Herr Doktor, was ist los, Sie werden immer größer, Sie werden immer größer! Das ist eben so eine Wahrnehmungsverzerrung ausgelöst durch dieses Ketamin. Und dann kommt es dann therapeutisch sehr darauf an, wie die Umgebungssituation ist. Man muss für eine ruhige, angenehme, positive Umgebungssituation sorgen, dann wird dieser Zustand als angenehm und positiv erlebt. Wenn Sie das in einem Wachsaal machen, neben einer Intensivstation, wo es dauernd piept und das Telefon klingelt und nervöse Schwestern und Pfleger durch den Raum laufen, dann wird das zum Horrortrip und das sollte man verhindern."
In den USA sind auf Ketamin-Behandlung spezialisierte Zentren bereits weit verbreitet, anders als in Deutschland.
Malek Baijbouj: "Es ist von der Anzahl von Patienten, die darauf ansprechen aus unserer Perspektive gar nicht viel wirksamer, als andere Antidepressiva: Ein Drittel aller Patienten sprechen an, ein Drittel teilweise, ein Drittel nicht. Und es hat noch den großen Nachteil, dass man am Ende, wenn jemand angesprochen hat, dass man gar nicht weiß, wie man weiter behandelt. Man kann, wenn man es als Infusion gibt, kann man das natürlich nicht unendlich weitergeben als Infusion, so dass man da in Schwierigkeiten in der Langzeitbehandlung kommt."
Dazu kommt, dass selbst die medizinische Anwendung zu Abhängigkeit führen kann.

Die Renaissance von LSD

Auch bewusstseinserweiternde Substanzen wie LSD oder das in einigen Pilzarten vorkommende Psilocybin und MDMA, in der Clubszene als Ecstasy bekannt, erleben eine Renaissance in der Medizin und in der Forschung, nachdem sie jahrzehntelang verpönt waren.
"Psychoaktive Substanzen sind Stoffe, die das Erleben und die Wahrnehmung verändern und zwar so, dass starke intensive Emotionen, eine bessere Selbstwahrnehmung entsteht, dass die Wahrnehmung sich verändert oder dass Denkprozesse verlangsamt, verschnellert, verzerrt, intensiviert werden."
Henrik Jungaberle. Er ist Präventions- und Drogenforscher und hat 18 Jahre am "Institut für medizinische Psychologie" des Universitätsklinikums Heidelberg gearbeitet:
"Ich finde, diese Substanzen sind wertvolle Werkzeuge der gesellschaftlichen und persönlichen Entwicklung. Und sie sind zu Unrecht von Menschen illegalisiert worden, die nicht verstanden haben, was sie gemacht haben. Wir können diese Werkzeuge brauchen."
MDMA, für das die Firma Merck bereits 1914 ein Patent erhielt, gehört zur Gruppe der Amphetamine. In den 1970er-Jahren wurde es vor allem in den USA von Psychotherapeuten eingesetzt, um in den 80er-Jahren zur Partydroge zu avancieren – seitdem feiert MDMA unter dem Namen Ecstasy einen weltweiten Siegeszug, der auch durch das Verbot von MDMA nicht gestoppt werden konnte. Gestoppt wurde durch das Verbot für lange Zeit die wissenschaftliche Erforschung der therapeutischen Effekte.
Tom Bschor: "MDMA ist ein schönes Beispiel dafür, wie artifiziell, wie künstlich die Trennung zwischen Medikament und Droge ist. Es gibt ja Amphetamine, die als Medikamente zugelassen sind, die sie verordnen können als Arzt, die bestimmte sehr enge seltene Krankheiten, zum Beispiel eine Krankheit, die Narkolepsie heißt, kann man damit behandeln. Oder natürlich das sehr viel bekanntere Aufmerksamkeitsdefizithyperaktivitätssyndrom der Kinder, was ja mit Methylphenidat behandelt wird, besser bekannt unter dem Handelsnamen Ritalin, das ist auch ein Amphetamin. Also da gibt es verordnungsfähige, zugelassene Medikamente und das MDMA ist dem eigentlich sehr ähnlich."
MDMA wird oft als Herz öffnend beschrieben, weil ein sehr typisches Erlebnis ist, dass soziale Öffnung sehr leicht fällt. Wir alle laufen durch die soziale Welt mit einer Maske, einer Fassade. Unter der MDMA-Wirkung ist zeitweise eine Öffnung dieser Maske möglich. In der Therapie bedeutet das, dass die sehr wichtige therapeutische Beziehung verbessert werden kann, dass aber auch wenn der Patient sich so geöffnet erlebt, er das übertragen kann auf seine normalen sozialen Beziehungen.
In den USA wird MDMA seit einigen Jahren wieder im Rahmen von Studien erprobt, etwa in der Behandlung von Vergewaltigungsopfern und traumatisierten Kriegsveteranen, erklärt Henrik Jungaberle. MDMA wird dabei nicht als Dauermedikation, sondern im Rahmen einer Therapie während zwei oder drei Sitzungen verabreicht:
"Man muss sich vorstellen, dass diese Patienten unter schlimmsten, man nennt das "Intrusionen" leiden, das heißt während ihres Alltags werden sie überfallen von traumatischen Erinnerungen, die es unmöglich machen für sie einem geregelten Alltag nachzugehen. Und unter der Wirkung von MDMA können sie sich dieses Trauma anschauen, ohne diese verrückten, im wahrsten Sinne des Wortes, Symptome zu haben. Und oftmals gelingt es dann mit der Nachbearbeitung, der sogenannten Integration, diese Traumata dann aufzulösen, eine neue Haltung dazu zu finden, mit ihnen zu leben."

Wirklich ein Horror-Trip

LSD und Psilocybin werden für die Behandlung von Angststörungen und Depressionen getestet. Beide Substanzen wirken auf die Botenstoffe im Gehirn. Der Schweizer Chemiker Albert Hofmann hatte LSD 1938 entwickelt – und fünf Jahre später im Selbstversuch getestet:
"Es kam so stark und es war wirklich dann ein Horror-Trip. Ich hatte das Gefühl, das Ende ist da, es war eine total andere Welt und ich habe mir gesagt: Donnerwetter, jetzt hast du eine große Erfindung gemacht, und jetzt musst Du gehen und hast eine junge Familie. Es war so intensiv, es war so anders."
Ein neuartiges Mittel für die Erforschung der Psyche war gefunden:
"Das ist eine außerordentlich interessante Substanz für die Psychiatrie. Die Psyche wird verändert, das Bewusstsein wird verändert. Man hat ein neues Instrument in der psychiatrischen Forschung."
Bis in die 60er-Jahre konnte LSD legal in der Psychotherapie und für Studien eingesetzt werden. Gefeiert auch von Intellektuellen wie Aldous Huxley, Alain Ginsberg oder Ernst Jünger und propagiert von dem Harvard Psychologen Timothey Leary wurde LSD neben Cannabis zu dem Rauschmittel der Hippie- und Gegenkultur: Halluzinationen und bunte Träume statt Vietnam und bürgerlichem Aufstieg. Timothy Leary sah in LSD einen Weg, die konservative amerikanische Gesellschaft zu verändern:
"Turn on, tune in, drop out"
Das weltweite Verbot der Substanz Anfang der 70er Jahre war das Ergebnis politischer Bestrebungen, die der konservative US-amerikanische Präsident Richard Nixon eingeläutet hatte, mit seinem "War on drugs", dem Krieg gegen die Drogen. Selbst Forschungsvorhaben sind seitdem nur mit Ausnahmegenehmigungen möglich und die werden nur sehr selten erteilt. Einer der wenigen, der seinen Patienten – nach Antrag – LSD geben darf, ist der Schweizer Psychologe Peter Gasser.
Seine Patienten konsumieren LSD nicht dauerhaft, sondern erhalten es zwei, drei Mal im Rahmen einer Therapie als Einzeldosen:
"Die herkömmlichen Antidepressiva, die sollen die Symptomatik der Depression lindern, und LSD, das ist Psychotherapie, da muss man auch mit dem Bewusstsein und der eigenen Person arbeiten."

Den psychotherapeutischen Prozess vertiefen

2007 bekam Peter Gasser die erste Genehmigung für eine Studie mit schwerkranken Patienten, die psychotherapeutische Unterstützung brauchten. Der erste Patient jener Studie hatte Magenkrebs. Nach der Operation bekam Stefan Bauer, der eigentlich anders heißt, eine schwere Angststörung. Im Internet stieß er auf Informationen über Peter Gassers geplante Studie - und reiste in die Schweiz.
LSD-Patient: "Damals war ich vielleicht ein bisschen ungeduldig, als ich dann nach 25/30 Minuten nichts wahrnahm, dachte ich schon, ich hätte ein Placebo bekommen, aber dem war dann nach einer gewissen Zeit doch nicht so."
Peter Gasser: "Es geht nicht darum, dieses Medikament einzunehmen und das macht dann die ganze Arbeit sozusagen. Es ist wie ein Katalysator, es ist eine Substanz, die hilft, einen psychotherapeutischen Prozess zu vertiefen oder zu intensivieren."
LSD-Patient: "Ich konnte mich selbst von außen betrachten und so stand ich auch nicht mehr so im Mittelpunkt meiner selbst, konnte also getrost die Lage beruhigend von außen anschauen. Um einfach zu erkennen, was hat mich in diese anscheinend ausweglose Situation gebracht nach der Diagnose."
Peter Gasser: "Diese Erfahrungen dauert einen ganzen Tag, weil die Wirkdauer dieser Substanz ist recht lang, das dauert acht bis zehn Stunden, die LSD-Wirkung. Und in dieser Zeit sind sie bei mir in der Praxis und ich bin bei ihnen, ich betreue sie, spiele Musik. Das ganze ist recht meditativ und in dieser Zeit macht der Patient diese Reise nach innen und ich bin sozusagen der Reisebegleiter, der schaut, dass er sich sicher fühlen kann oder wenn er das Bedürfnis hat zu sprechen, führen wir kurze Gespräche, aber sehr lange Zeiten spricht man auch gar nicht, ist einfach Stille oder Musik."
Patient: "Ich war einfach ruhig und gefasst, obwohl es da auch immer wieder Themen gab, die plötzlich hochkochten, dadurch kam ich allerdings auch an meine Gefühle heran. Ich konnte plötzlich weinen wie ich es als Kind das letzte Mal konnte. Ich konnte mich ärgern und das kam alles so spontan, dass ich schon beeindruckt war, so eine Reaktion von mir überhaupt zu sehen - und das von außen, das ist noch mal etwas anderes, als wenn man jetzt mit der Situation gefangen gewesen wäre."
Peter Gasser: "Und am anderen Tag oder kurz danach machen wir dann eine Nachbesprechung, wo das ganze mit Worten dann irgendwie aufgearbeitet und bearbeitet wird und verstanden wird."
LSD ist nach Ansicht von Peter Gasser ein wirkungsvolles therapeutisches Hilfsmittel, aber er schränkt auch ein: Es ist nicht für jeden Patienten gleichermaßen geeignet.
"Das Hauptrisiko von LSD liegt auf der psychologischen Ebene, indem Leute die psychisch labil oder die verletzlich sind für schwere psychische Erkrankungen in eine Instabilität bis hin zu einer Psychose kommen können. Sprich gerade junge Menschen, die noch wenig gefestigt sind und die diese Substanzen nehmen, die haben schon ein Risiko, dass ihnen das mehr Probleme als Lösungen gibt, wenn sie diese Substanzen nehmen. Und Leute, die gefährdet sind, eine Schizophrenie, eine Psychose zu entwickeln, bei denen ist die Einnahme von LSD ein Risiko, dass diese eben Psychose ausgelöst wird."

Großer Hunger nach neuen Methoden

LSD, Psilocybin und MDMA haben trotz des Verbots nie ihren Reiz verloren. Es gibt eine illegale Szene, in der bewusstseinserweiternde Drogen auch von Psychologen therapeutisch eingesetzt werden - bei falscher Dosierung auch mit tödlichen Folgen.
Jungaberle: "Niemand hat je eine Untersuchung gemacht und machen können, um heraus zu finden, wie groß diese Szene ist. Ich gehe davon aus, dass das mehrere hundert bis wenige tausend Psychotherapeuten sind in Deutschland."
Für den Drogenforscher Henrik Jungaberle ist genau das ein Argument für die Liberalisierung und Entdämonisierung psychoaktiver Substanzen:
"Es gibt in der Psychotherapie einen großen Hunger nach neuen effektiven Methoden, es ist dringend notwendig, diesen Menschen mit professioneller Ausbildung und Supervisionen zu begegnen, damit solche Vorstellungen von Allheilmitteln verschwinden und damit sie lernen, jene Patienten auszusieben, für die diese Substanzen wirklich nichts sind."
Henrik Jungaberle hat deshalb "MIND", die "European Foundation for Psychedelic Science" ins Leben gerufen, die wissenschaftliche Expertisen bündeln soll. Demnächst wird eine Studie über MDMA als Heilmittel in der Psychotherapie beginnen. Und auch der Schweizer Psychologe Peter Gasser glaubt an eine Renaissance psychoaktiver Substanzen in der Medizin:
"Ich glaube, dass wir so an der Schwelle sind, dass diese Substanzen auch in breiteren akademischen Kreisen wieder auf Interesse und Beachtung stoßen, weil es sich doch zeigt, dass man mit diesen Substanzen etwas Vernünftiges machen kann."
Tom Bschor: "So was muss natürlich ordentlich angekuckt werden, dann vertrete ich immer einen pragmatischen Ansatz in dem sehr komplexen Feld der psychiatrisch- psychotherapeutischen Behandlung: Was hilft und nicht schadet sollte man doch auch anbieten. Aber es gilt eine Einschränkung: Die Sorge, wenn Substanzen legalisiert werden, kommen sie am Ende auch wirklich ausschließlich in dem vorgegebenen Rahmen bei dem Menschen an oder schaffen wir eine Situation wie wir es bei den Benzodiazepinen haben, den Tranquilizer, das sind also Substanzen wie Diazepam, Valium, das ärztlich verordnet von Apotheken verkauft, von der Krankenkasse finanziert, wir hier eine gesellschaftlich relevante Sucht unterhalten, so ist das nämlich mit den Benzodiazepinen und ein großer Teil der Verordnungen gilt der Aufrechterhaltung von Sucht, das kann nicht sein, schon gar nicht von der Krankenkasse bezahlt."
... gibt Tom Bschor zu bedenken. Stefan Bauer, der inzwischen als Altenpfleger wieder Vollzeit arbeiten kann, hat die LSD-Therapie geholfen:
"Sie hat mich einfach wieder zurück ins Leben gebracht, hat mir Lebensmut gegeben, und ich will nicht sagen, das Leben bunter gemacht, hat mir wieder einen Anreiz gegeben ans Leben zu glauben, wie vielfältig das Leben doch sein kann, immer an sich selbst glauben, auch mit Hilfe anderer, das hat mich gestärkt, wieder zurück ins Leben gebracht."
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